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Außerdem interessierte ihn die ganze Sache allmählich.

      Christoph Kind packte gähnend die Zeitungen zusammen und stellte bedauernd fest, daß er den Rest der Kognakflasche genehmigt hatte, während seine Gedanken dem Kriminalfall nachgingen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich nun doch ins Bett zu verfrachten. Trotz der nötigen Schwere konnte er lange nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten hartnäckig um Afrika, quälten ihn mit Erinnerungen an seine eigenen abenteuerlichen Erlebnisse mit Leopardenmenschen. Er sah sich selbst in dem fernen Urwalddorf nachts aus dem Schlaf auffahren, hörte den gellenden Schrei seines Hüttennachbars: „Zu Hilfe!!! Der Maghena hat meinen Vater geholt!“ Er dachte an die Stunde, da er, im Busch versteckt, dem grausigen Tanz der Leopardenmänner um den Bluttopf zusah. Jede Sekunde konnte er selbst entdeckt werden und unter den Messern und Keulen der Wilden enden. Dann sah er wieder die gefangenen Leopardenmenschen, die in schweren Ketten in das Gefängnis zu Kinshassa eingebracht wurden. Ganz deutlich sah er ihre Gesichter vor sich, diese starren, ausdruckslosen. Gesichter mit dem unheimlichen, raubtierhaften Blick.

      „Verflucht und zugenäht! Schon drei Uhr!“

      Christoph Kind griff nach dem Wecker und stellte ihn ein. Dann warf er sich auf die Seite, zog die Decke hoch ans Kinn und befahl sich energisch den Schlaf. Aber auch durch seine Träume geisterte noch der Maghena.

      II

      Kommissar Mohr lacht nicht

      Christoph Kind vergewisserte sich durch einen Blick, daß er vor dem Portal II stand, und durch einen zweiten auf seine Armbanduhr, daß es Punkt elf war. Eben wollte er sich suchend umsehen, als eine junge Dame im dunkelgrauen Kostüm auf ihn zutrat.

      „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Herr Kind!“

      „Bitte?“ Kind musterte überrascht die schlanke, feste Gestalt und das jugendlich frische, wenn auch schmale und fast zarte Gesicht. „Habe ich denn das Vergnügen mit ...“

      „Mit Ursula Helbis – ja.“

      „Die Stimme glaube ich allerdings wiederzuerkennen. Aber alle Achtung, Fräulein Helbis, für Ihre einundfünfzig Jahre haben Sie sich wirklich vorzüglich konserviert!“

      „Verzeihen Sie die Notlüge. Wenn ich am Apparat gesagt hätte, daß ich vierundzwanzig bin, so würden Sie mich wahrscheinlich für ein Mädel gehalten haben, das mit Ihnen anbändeln möchte.“

      „Wahrscheinlich wäre ich auch dann gekommen“, lachte er, „aber die Überraschung ist so natürlich größer. Ich hatte, offen gesagt, eine dolle Spinatwachtel erwartet, und sehe mich nun einer sehr reizenden jungen Dame gegenüber.“

      „Danke für das Kompliment. Sie selbst sehen übrigens auch viel jünger aus, als ich Sie mir vorgestellt habe. Sie haben doch immerhin fünfzehn Jahre Afrika hinter sich ...“

      „Wenn Sie bedenken, daß ich schon mit siebzehn Jahren nach Südwest ging, so kommen, trotz der Tatsache, daß ich seit drei Jahren wieder in der Heimat bin, nur die bescheidene Anzahl von fünfunddreißig Jährchen heraus. Aber nun verraten Sie mir um Gottes willen, wie Sie darauf verfallen sind, ausgerechnet mich anzurufen und meine Mitwirkung in einem Kriminalfall zu wünschen?“

      „Sie waren nicht der erste.“ Ursula Helbis lächelte flüchtig, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Ich hatte vorher schon versucht, alle Herren zu erreichen, die mir als Afrikaner durch Bücher oder Artikel bekannt waren. Herr Benthin war nicht im Telefonbuch aufzufinden, Herr von Osterode meldete sich nicht, Herr Reith war nicht zu erreichen. Sie waren der vorletzte in meiner Liste.“

      „Schmeichelhaft. Aber ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen und bin eigentlich nur hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß meine Kenntnisse über Afrika Ihnen gar nichts nützen können. Ich habe gestern abend noch alles über den Fall Damm nachgelesen, was die Zeitungen gebracht haben, und die Überzeugung gewonnen, daß diese Geschichte nicht das geringste mit Afrika zu tun hat. Wollen wir nicht lieber gemütlich zusammen eine Tasse Kaffee trinken? Oder bestehen Sie immer noch darauf, daß ich mit Ihnen in dies Haus da hineingehe und Doktor Mohr eine Räubergeschichte über Leopardenmenschen auftische?“

      Ursula Helbis sah ihn aus großen Augen an. Diese Augen waren von einem tiefen, dunklen Blau, sie erschienen fast schwarz. „Sie haben mir versprochen, das zu tun, Herr Kind! Und wieso: Räubergeschichte? Sie sagten mir doch, daß alles auf Tatsachen beruht??“

      „Herrgott, ja, natürlich. Aber an so etwas in Deutschland zu denken ist absurd. Doktor Mohr wird mich gräßlich auslachen.“

      „Ich werde ihm sagen, daß ich es war, die Sie dazu veranlaßt hat. Ich bitte Sie herzlich, Herr Kind, lassen Sie mich nicht im Stich!“

      „Wenn Sie unbedingt wollen ...“ Kind seufzte und wandte sich dem Portal zu. In der halbdunklen, breiten Torwölbung blieb er noch einmal stehen. „Eine Frage noch, Fräulein Helbis, die ich mir aufrichtig zu beantworten bitte: Sie stehen in ... näheren Beziehungen zu Doktor Damm?“

      Ursula Helbis schloß einen Augenblick den schmalen Mund fester. Dann sah sie auf: „Nicht in dem Sinn, wie Sie denken, Herr Kind. Ich weiß, daß die Zeitungen geschrieben haben, ich sei die Geliebte Doktor Damms. Das ist nicht wahr. Zwischen ihm und mir besteht nichts als eine herzliche Kameradschaft, die im täglichen Zusammenarbeiten gewachsen ist. Frau Damm war auf mich eifersüchtig, das ist wahr. Sie hat eine Zeitlang befürchtet, unsere Freundschaft sei mehr, als sie sein dürfte. Zum Glück aber konnte ich sie vom Gegenteil überzeugen. Frau Damm war so vernünftig, mich in meiner Wohnung aufzusuchen und sich offen mit mir auszusprechen.“

      „Das war an dem Tag, an welchem sie vor dem Leopardenkopf so erschrak?“

      „Ja. Darum ist mir ihr Verschwinden so unerklärlich. Frau Damm wußte seit jenem Besuch bei mir, daß ihre Eifersucht unbegründet war. Sie hatte also gar keine Veranlassung, sich das Leben zu nehmen. Noch weniger hatte Doktor Damm einen Grund, seine Frau zu töten, da tatsächlich zwischen ihm und mir nie etwas bestanden hat.“

      „Und die Sache mit der Versicherung?“

      Ein zorniger Blick schoß aus den dunklen Augen des Mädchens. „Ich kenne Doktor Damm seit Jahren. Ihm eine solche Schmutzigkeit zutrauen, das kann nur ein sehr gemeiner oder ein ganz dummer Mensch.“

      „Ihre Menschenkenntnis in Ehren, aber ... na, wir wollen mal in Ruhe mit Doktor Mohr darüber sprechen.“

      Sie mußten auf einer Bank in einem der langen Gänge etwa dreiviertel Stunden warten, bis der vielbeschäftigte Kriminalkommissar sich freimachen konnte. Sie sprachen während dieser Zeit nicht viel, und wenn, nur Belangloses miteinander, aber Christoph Kind musterte des öfteren verstohlen seine Begleiterin. Der Kontrast der dunkelblauen Augen zu dem ganz hellen Haar, das in weichen Wellen fast bis auf die Schultern hing, frappierte ihn. Die gerade, feingemeißelte Nase wäre klassisch schön gewesen, wenn sie nicht ganz zum Schluß einen lustigen kleinen Satz nach oben gemacht hätte. Einen ganz kleinen, winzigen Satz, aber der verlieh ihrem sonst so ernsten Gesicht einen Schimmer von Fröhlichkeit. Der schmale, schöngezeichnete Mund war traurig, und Christoph Kind verspürte plötzlich den Wunsch, ihn zum Lächeln zu bringen, nur um zu sehen, wie sich dieses Lächeln mit dem lustigen Satz der Nase vertragen hätte.

      Endlich erschien Doktor Mohr selbst in der Tür, die auf einem kleinen Schild seinen Namen trug. Er lud Fräulein Helbis höflich ein, näher zu treten, und heftete dann seinen Blick erstaunt auf ihren Begleiter.

      „Sieh da! Kindchen! Wollen Sie auch zu mir?“

      „Ich bin mit Fräulein Helbis gekommen, lieber Doktor Mohr.“

      Ein rascher Blick des Kommissars ging zwischen den beiden hin und her. Ausnahmsweise war Doktor Mohr wirklich einmal erstaunt. „Ich hatte keine Ahnung, daß Sie mit Fräulein Helbis bekannt sind, Kind. Aber bitte, kommen Sie doch herein!“

      Dann saßen sie in dem nüchternen Dienstzimmer vor dem Kriminalkommissar, der rasch noch ein paar Unterschriften erledigte und dem wartenden Assistenten die Akten übergab.

      „So, nun stehe ich zu Ihrer

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