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hatte er diese Sensationsberichte bisher noch nicht gelesen, da sie ihn nicht sonderlich interessierten. Erst jetzt, beim aufmerksamen Durchlesen der Zeitungen, bekam er ein klareres Bild von der Sache.

      Etwas Geheimnisvolles war eigentlich an der Geschichte nicht. Im Gegenteil, sie schien ihm schon mehr als klar zu liegen. Ein Kellner in einem Gasthof zu Lüneburg hatte der dortigen Polizei einen Verdacht gemeldet. Am 2. September war ein Ehepaar in dem Gasthof abgestiegen, das sich als „Doktor Damm und Frau, Berlin“, ins Fremdenbuch eintrug. Der Kellner hatte nun folgendes beobachtet: Als die Herrschaften Kaffee tranken, schien es einen Streit zwischen den Eheleuten gegeben zu haben. Die Dame war plötzlich aufgestanden, hatte ihrem Mann halblaut etwas gesagt, den Stuhl zurückgestoßen und war auf ihr Zimmer gegangen. Gleich darauf folgte ihr der Herr. Sowohl der Kellner wie das Stubenmädchen hatten bald danach einen heftigen Wortwechsel aus dem Zimmer gehört und neugierig gelauscht. „Und es ist doch so!“, hatten sie die Dame laut und heftig sagen hören. „Du wolltest mich vergiften, damit der Weg zu deiner geliebten Usch frei wird!“ Viel mehr hatten weder Kellner noch Stubenmädchen vernehmen können. Das Ehepaar schien sich jedoch noch weiter gestritten zu haben. Nach einer knappen halben Stunde war die Dame herausgekommen, in Hut und Handschuhen, und hatte ohne ein Wort und sichtlich sehr aufgeregt, den Gasthof verlassen. Zehn Minuten später war auch der Herr erschienen und rasch aus dem Städtchen gegangen, in der gleichen Richtung, die vorher seine Frau eingeschlagen hatte. Der Kellner hatte ihm eine ganze Weile nachgeschaut. Um 23,30 Uhr abends war dann Doktor Damm allein zurückgekommen. Er hatte klingeln müssen, da die Hoteltür bereits geschlossen war, und der Kellner hatte ihm geöffnet. Letzterer hatte dabei die Beobachtung gemacht, daß Doktor Damm allein und sehr aufgeregt war. Seine Schuhe und der untere Rand seiner Beinkleider waren stark beschmutzt. Doktor Damm hatte dem Kellner ein übermäßig hohes Trinkgeld gegeben und hastig erklärt, er müsse dringender Geschäfte halber sofort nach Berlin zurückfahren. Der Kellner hatte den Hausknecht geweckt, der dann die Garage aufschloß. Nach einer Viertelstunde war Doktor Damm in seinem Wagen abgefahren. Seinen Koffer hatte er mitgenommen, die Sachen seiner Frau jedoch dagelassen.

      Der Kellner hatte, an seine vorhergehenden Beobachtungen denkend, zunächst angenommen, daß es zwischen dem Ehepaar zu einem ernsten Zerwürfnis gekommen sei. Merkwürdigerweise war aber Frau Damm auch bis zum nächsten Morgen nicht wieder in dem Gasthof erschienen. Als sie drei Tage verschwunden blieb und auch niemand sich um ihre zurückgelassenen Sachen kümmerte, war dem Kellner die Sache verdächtig erschienen und er hatte seine Beobachtungen der Polizei mitgeteilt.

      Die örtliche Polizei hatte zunächst den Angaben wenig Bedeutung beigemessen und sich damit begnügt, in Berlin einige Ermittlungen über das Ehepaar Damm anzustellen. Bald aber waren Tatsachen bekannt geworden, die dem Verdacht des Kellners eine ernste Unterlage gaben. Frau Damm war auch in ihrem Heim nicht wieder aufgetaucht. Ihr Mann erklärte auf Befragen, seine Frau habe ihn nach einem schweren, ehelichen Streit verlassen. Wohin sie sich gewandt habe, sei ihm unbekannt. Gleichzeitig wurde jedoch festgestellt, daß Doktor Damm erst vor vier Monaten seine Frau in eine Lebensversicherungsgesellschaft eingekauft habe, und zwar für die hohe Summe von 80 000 Goldmark. Noch verdächtiger wurde die Sache, als eine alte Tante der Frau Damm der Polizei einen Brief vorlegte, den sie vor einiger Zeit von ihrer Nichte Imma erhalten hatte. Es war ein ziemlich konfuser Brief, in dem Frau Imma Damm unter anderem auf das Testament ihrer Tante Bezug nahm. „Es ist lieb von Dir, Tante Margrete, daß Du mich zu Deiner Erbin einsetzen willst, aber ich glaube bestimmt, daß Du länger leben wirst als ich. Vielleicht sind meine Tage schon gezählt. Denke daran, wenn Du hörst, daß ich nicht mehr bin.“

      Es waren auch einige andere schwerbelastende Dinge ans Licht gekommen. Ein Bauer aus der Umgebung von Lüneburg hatte in den Abendstunden ein Paar beobachtet, das auf einem Feldweg in der Richtung des großen Moores ging und sich heftig zu streiten schien. In der Heide, unweit der Moorfläche, hatten die Landjäger einen Seidenschal gefunden, in dem das Personal des Gasthofs in Lüneburg ein Tuch erkannte, das Frau Damm bei ihrem dortigen Aufenthalt getragen hatte. Auch Doktor Damm selbst mußte den Schal als Eigentum seiner Frau anerkennen. Die Hausgehilfin bei Damms bekundete, daß das eheliche Verhältnis zwischen den Gatten seit längerer Zeit getrübt war. Frau Damm hatte ihrem Gatten mehrfach heftige Vorwürfe gemacht über seine Freundschaft mit der Laborantin Ursula Helbis.

      Hier gab es Christoph Kind einen Ruck. Ursula Helbis ... aber war das möglich? Eine Einundfünfzigjährige? Vielleicht handelte es sich um die Tochter der Dame, die bei ihm angerufen hatte? Aber hatte sie sich nicht selbst als Laborantin des Doktor Damm bezeichnet? Wie alt war denn dieser Doktor Damm eigentlich? Kind blätterte noch einmal die Zeitungen durch. Über das Alter des Verdächtigen war keine Angabe zu finden.

      Jedenfalls war auf Grund all dieser Ermittlungen Doktor Damm in Untersuchungshaft genommen worden. Er selbst bestritt entschieden, über das Verschwinden seiner Frau irgend etwas zu wissen. Ebenso bestritt er, daß die Eifersucht seiner Frau begründet gewesen wäre. Sein Verhältnis zu Fräulein Helbis sei stets nur freundschaftlich gewesen. Befragt, ob er einen Selbstmord seiner Frau für möglich halte, sagte Doktor Damm entschieden, daß er dies für ausgeschlossen halte.

      Dennoch wäre die Polizei geneigt gewesen, an einen Freitod zu glauben, wenn nicht zwei weitere Feststellungen Doktor Damm schwer belastet hätten. Erstens war es Doktor Damm unmöglich, nachzuweisen, welcher Art die Geschäfte waren, die ihn zu dem eiligen Verlassen Lüneburgs und zur Rückkehr nach Berlin zwangen, und zweitens hatten die von Berlin nach Lüneburg entsandten Kriminalbeamten bei einer Untersuchung des Gasthofes einen wichtigen Fund gemacht. In dem Sofa, auf dem das Ehepaar Damm in der Gaststube gesessen hatte, als es seinen Kaffee einnahm, entdeckte einer der Beamten zwischen Polster und Lehne eingeklemmt ein zerknülltes Papierchen, das offenbar als Umhüllung für ein Pulver gedient hatte. In den längst abgespülten Kaffeetassen waren natürlich keine Spuren mehr zu finden, aber die Untersuchung, die im Laboratorium der Kriminalpolizei angestellt wurde, ergab, daß das Papier winzige Spuren von Morphium enthielt. Die vorhandenen leichten Kniffe des Papiers wiesen darauf hin, daß es als Umhüllung für mehrere Morphiumtabletten in der handelsüblichen und auf ärztliches Attest hin verordneten Form diente. Damit gewann der Ausruf Frau Damms: „Du hast versucht, mich zu vergiften!“ eine ernste Bedeutung.

      Doktor Damm war ein bisher unbescholtener, angesehener Gelehrter. Seine Vorgesetzten und Mitarbeiter im Laboratorium des Geheimrates Drusen stellten ihm sowohl als Mensch wie auch als Wissenschaftler ein glänzendes Zeugnis aus. Seine Vermögenslage war gut und durchaus geordnet. Doktor Damm verfügte neben seinem guten Gehalt über ein eigenes, nicht unbeträchtliches Vermögen, das sogar das Vermögen seiner Frau überstieg. Niemand hatte an ihm Neigung zu Verschwendung oder kostspieligen Liebhabereien bemerkt. Es erschien etwas merkwürdig, daß ein solcher Mann einen Versicherungsmord begangen haben sollte. Die Polizei neigte daher auch eher zu der Ansicht, eine Ehetragödie vor sich zu haben. Jedenfalls aber sprachen die Verdachtsmomente stark gegen Doktor Damm. Zur Zeit wurde fieberhaft nach der Verschwundenen gesucht. Aber wen die trügerische grüne Decke des Moores einmal verschluckt hatte, den gab sie nicht wieder her. Polizei und Öffentlichkeit vermuteten, daß Frau Imma Damm irgendwo unter der grundlosen Moorfläche der Ewigkeit entgegenschlief und die Zeitungen waren sich über die Schuld des Doktor Damm einig.

      Christoph Kind trank nachdenklich noch einen Kognak. Er erinnerte sich jetzt, daß vor ein paar Tagen am Stammtisch auch über diesen Fall gesprochen wurde und daß zum Beispiel der Sanitätsrat Ebel von der Täterschaft des Doktor Damm überzeugt gewesen war. Es sah ja auch wirklich so aus, als ob es sich so verhielte. Die Aussagen des Kellners, die kürzlich abgeschlossene Versicherung, die Bekundung der Hausangestellten, das Morphium in der Sofaecke und nicht zuletzt das verdächtige Benehmen des Doktor Damm bei seiner Abreise von Lüneburg – das alles ließ eigentlich keinen Zweifel aufkommen.

      Und nun hatte die Freundin Doktor Damms, Ursula Helbis, bei ihm angerufen und etwas von einem zerrissenen Seidenschal erzählt. Deshalb aber an Leopardenmenschen zu glauben, war Blödsinn! Freilich, Frau Damm war bei dem Anblick des ausgestopften Leoparden erschrocken, aber wer weiß, welche Erinnerung er in ihr auslöste. Wie sollten Leopardenmenschen in die Lüneburger Heide kommen? Ein Glück, daß Doktor Mohr, der alte Bekannte, die Sache bearbeitete. Ein anderer Beamter würde ihn grob anfahren, wenn er Dinge erzählte, die mit dem vorliegenden Fall gar nichts zu tun hatten.

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