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eine besonders weite, die er gleich über beide Unterhosen streifen würde – und über die Hose, die er schon anhatte.

      Er hängte die Tasche an die Türklinke und zog die Schuhe aus. Der Boden war warm. Noch einen kleinen Moment wollte er dieses Gefühl genießen, wenn schon nicht barfuß, dann wenigstens in Socken. Außerhalb des Flughafengebäudes, in Bengasi, waren es sicher dreißig Grad oder mehr. Auf unbestimmte Zeit war dies hier sein Abschied von der vertrauten Wärme. Bald würde er über dem Mittelmeer sein, und dann, in wenigen Stunden, würde sie ihm entgegenschlagen, die brutale Kälte, von der Frau Dr. Stein gesprochen hatte. Besser jetzt ein bisschen schwitzen, als gleich bei der Ankunft in Europa erfrieren.

      Matomora nahm die leere Tasche und verließ die Zelle. Vierlagig gegen das feindliche Klima geschützt, ging er ein wenig breitbeiniger als zuvor auf das Gate zu. Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße wirkte er von ferne wie ein junger schwarzer Seemann, der bereit war, allem zu trotzen, was ihm begegnen würde.

      Dar es Salaam – Nairobi.

      Nairobi – Entebbe.

      Entebbe – Bengasi.

      Bengasi – London.

      London – Köln.

      Wer 1966 von Tansania nach Deutschland reiste, war Tage und Nächte unterwegs, musste unzählige Male Pass und Visum vorzeigen, schlief auf dieser Bank eine Stunde und auf jener eine halbe. Und wenn er endlich am Ziel war, heilfroh und überglücklich, es trotz aller Hindernisse geschafft zu haben, dann hatte er eine Ahnung davon, wie unfassbar groß die Welt sein musste. Dass man dieselbe Welt schon wenige Jahrzehnte später als globales Dorf bezeichnen würde ... schlicht unvorstellbar.

      Frau Dr. Stein hatte es gut gemeint, aber England lag auch in den sechziger Jahren schon am Golfstrom, und deshalb riss sich Matomora in einer Londoner Flughafentoilette endlich drei der vier Lagen wieder vom Leib. Bis hierhin hatte er es geschafft. Vielleicht war das mit der europäischen Kälte ja auch nur ein Märchen, mit dem man unerfahrenen Afrikanern Angst machen wollte.

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       6 000 Kilometer von zu Hause entfernt und voller Neugierde auf die fremde Welt – Matomora kurz nach seiner Ankunft in Deutschland

      Vielleicht aber auch nicht. Es war Januar, und die beiden Männer, die Matomora am Kölner Flughafen hinter der Absperrung entgegenkamen, waren tatsächlich frostsicher vermummt. Den einen hatte er erwartet, aber Matomora musste ein paar Mal hinschauen, bis er ihn unter dem Hut und hinter dem Schal erkannte: Madevu – der Bärtige. So hatten sie ihn jedenfalls in Tansania genannt.

      »Karibu, mein Junge! – Willkommen!«

      Ja, das war er. Seine Stimme, ganz wie in Tunduru. Matomora umarmte den Mantel, in dem der Freund stecken musste.

      »Herzlich willkommen in Deutschland. Ich bin Lehrer in Wiedenest. Bei mir werden Sie Deutschunterricht haben.«

      Der zweite Vermummte gab ihm eine kalte Hand, von der er zuvor eine dunkle Haut abgezogen hatte.

      Vielleicht war es dieses Gefühl, das Frau Dr. Stein meinte?

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       Erstaunlich, wie klein und wenig stabil die deutschen Autos sind. In Afrika käme man mit ihnen nicht weit

      In einem Auto, das viel kleiner war als alle Autos, die Matomora je gesehen hatte, ging es durch eine vollkommen weiße Welt. Hinaus aus Köln, immer tiefer hinein ins Bergische Land. Was unter dem Weiß steckte? Schwer zu sagen. Fremde Häuser, fremde Bäume, natürlich, auch wenn man ihre Form und Farbe kaum ahnen konnte. Kein Mensch am Straßenrand, nur Blechschilder, die eine Schneemütze trugen.

      »Da sind wir«, klang es aus dem Mantelkragen hinter dem Steuer. Das Auto stand. »Hier ist jetzt dein Zuhause.«

      KAPITEL 2

      Der kleine Herr

      Wie kommt ein Mensch zu seinem Namen? Und welche Rolle spielt er in seinem Leben?

      »Das Kind bekommt einen Namen, der den Eltern gefällt, und muss dann ein Leben lang damit klarkommen«, heißt die europäische Antwort. »Der Name sagt etwas über die Person, seine Familie und Vorfahren und kann sich im Laufe des Lebens ändern«, ist die ganz andere, afrikanische Antwort.

      Um zu erfahren, wie es zum Namen Matomora K. S. Matomora kam, muss man in die Geschichte eintauchen – und ein einziges Kapitel wird zur Erklärung nicht reichen.

      Wer gerne Fleisch aß, hatte früher zwei Möglichkeiten: entweder er züchtete Tiere, hegte und pflegte sie, um sie dann zu schlachten und zu essen. Oder er ging auf die Jagd. Daran hat sich in Tansania bis heute nichts geändert. Die dritte Möglichkeit – ein folienverpacktes oder gar tiefgefrorenes Etwas zu kaufen, das nicht verrät, was es früher einmal war – gibt es nicht. Der Name Matomora bedeutet in der Sprache der Ndendeule »erfolgreicher Jäger« und zeigt, für welche der Möglichkeiten sich die Volksgruppe entschieden hatte, zu der seine Familie gehört. Andere Völker, wie die Massai im Norden Tansanias, widmeten sich der mühsamen Viehzucht und aßen dann als Lohn ihrer Mühe ein Leben lang nur zwei Fleischsorten: meistens Ziege, selten Rind. Die Ndendeule und Yao im Süden des Landes, allesamt Jäger, aßen dagegen mal Antilope, mal Büffel, mal Warzenschwein. Dafür hatten sie keine Milch, aber das empfanden sie nicht als Mangel. Es gab hier keine Milchkühe, und wer trinkt schon gerne Ziegenmilch?

      Matomora war der Großvater des Matomora, von dem dieses Buch erzählt. Aber der, der heute den »großen Jäger« gleich zweimal im Namen trägt, hieß nicht von Geburt an nach seinem Großvater. (Wer ist denn auch schon von Geburt an ein guter Jäger?) Erst als junger Mann nahm er diesen Namen an. Als er 1944 geboren wurde, hieß er Kibwana – kleiner Herr. Wenn man ihn von anderen kleinen Herren unterscheiden wollte, die von ihren Müttern auf dem Rücken zur Feldarbeit getragen wurden oder über den Dorfplatz rannten, dann nannte man ihn Kibwana Saidi: Kibwana, Sohn des Saidi. Ein verbindliches System von Vor- und Nachnamen gab es damals nicht; in Zweifelsfällen hängte man zur Klarstellung den Namen des Vaters an den ersten Namen an. Saidi, der Vater, hieß dementsprechend Saidi Matomora, nach seinem Vater, dem ersten Matomora der Familie. Bei Saidi trafen ein muslimischer Name und ein traditioneller afrikanischer Name zusammen. Und nicht nur in seinem Namen, auch in seinem Leben war die Begegnung des traditionellen Schwarzafrikas mit dem arabisch-muslimischen Afrika entscheidend. Als unternehmungslustiger und weltoffener Mann war Saidi nämlich in den zwanziger Jahren nach Sansibar gereist, die Insel im Nordosten Tansanias, auf der Schnittstelle zwischen afrikanischer und arabischer Welt. Elf Jahre hatte er dort gelebt und gearbeitet, die meiste Zeit als Laufbursche für alle möglichen Auftraggeber: Araber, Engländer und Afrikaner. Sansibar liegt im Indischen Ozean und ist über Jahrhunderte hauptsächlich durch arabische Völker geprägt worden. Die Insel vor der Ostküste des Kontinents wurde lange Zeit von Oman aus regiert und war ein wichtiger Handelsplatz, egal, ob es um Gewürze oder um Sklaven für die arabischen Höfe ging. Auf Sansibar war Saidi Matomora von einem religiös uninteressierten »Proforma-Muslim« zu einem engagierten Anhänger des Islam geworden. Schon seit seiner Beschneidung hatte er den Namen Saidi – der Glückliche – getragen, aber hier, im durchweg islamischen Umfeld, begann er, Arabisch zu lernen und sich mit den Wurzeln seines Glaubens und mit der Sprache des Korans zu befassen. Zurück in seiner alten Heimat, ganz im Süden, nahe der Grenze zu Mosambik, heiratete er dann, und zwar zweimal. Zwischen 1939 und 1953 bekam er mit den beiden Frauen sechs Kinder. Die dritte Ehe mit seiner Lieblingsfrau, die er 1958 heiratete, blieb kinderlos.

      Der kleine (spätere) Matomora war der erste Sohn nach zwei Töchtern und erhielt als ganzer Stolz des in die alte Heimat Zurückgekehrten erst einmal den afrikanischen Namen Kibwana. Einen zweiten Namen, der mit seinem Glauben zu tun hatte, würde er erst bei der Beschneidung bekommen, genau wie sein Vater. Kibwana war schon elf Jahre alt, als sein Beschneidungsfest gefeiert wurde; fortan hieß er Mohamedi.

      Die Sprache, die in der Familie der Kinder und Kindeskinder

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