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"Ist doch ein geiler Verein". Christoph Ruf
Читать онлайн.Название "Ist doch ein geiler Verein"
Год выпуска 0
isbn 9783895336621
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Pfullendorf ist so dörflich, wie es sein Name suggeriert. 13.000 Einwohner zählt das Städtchen, aber auch nur, wenn man die eingemeindeten Örtchen Denkingen (mit Andelsbach, Langgassen, Straß und Hilpensberg), Aach-Linz (mit Reute und Sahlenbach), Gaisweiler (mit Tautenbronn und Bethlehem), Großstadelhofen (mit Kleinstadelhofen, Krähenried, Sylvenstal, Furtmühle und Wattenreute), Mottschieß, Otterswang (mit Litzelbach und Weihwang) und Zell-Schwäblishausen mitzählt. Pfullendorf selbst hat einen Wasserskipark und die Nähe zum 20 Kilometer entfernten Bodensee zu bieten. Das Konrad-Kujau-Museum, das Werke des durch die »Hitler-Tagebücher« bekannt gewordenen Fälschers zur Schau stellte, ist hingegen seit Februar 2006 geschlossen.
Im Winter kann es in Pfullendorf eisig werden, und der Winter beginnt hier deutlich früher als unten in der Ebene, weshalb Freiburger oder Stuttgarter gerne von »Badisch Sibirien« sprechen, wenn mal wieder eine Reise in die Provinz ansteht. Dann wäre da natürlich noch der SC Pfullendorf – der Fußballverein, der dem Ort erst zu einer bescheidenen überregionalen Bekanntheit verholfen hat.
Eine Frage der Perspektive
Es gibt tausende von Vereinen wie den SCP, jeweils regionale Mittelzentren mit weitgehend unspektakulären Spielstätten wie dem – allerdings wunderschön gelegenen – Waldstadion. Die meisten davon spielen in den Ligen fünf bis sieben. Pfullendorf würde es genau so gehen, wenn der Hauptsponsor, ein überregional agierender Kücheneinrichter, nicht einen Etat zur Verfügung stellen würde, der auch größere Sprünge erlaubt. Zumindest so große, dass man in der Regionalliga mithalten kann, für größere Begehrlichkeiten reichen die Sponsorengelder nicht. Von 1998 bis 2001 und von 2002 bis 2008 kickt der Verein in der dritthöchsten deutschen Spielklasse. Traditionell gehört der Klub zu den drei Vereinen mit dem kleinsten Etat der Liga, dennoch gelang es jedes Mal, mindestens vier Klubs hinter sich zu lassen. Mehr geht nicht in Pfullendorf.
Im Sommer 2008 wird es Pfullendorf erwischen, obwohl sie auch in dieser Saison bestens mithalten konnten. Doch diesmal sollen dank der Reform zehn Vereine absteigen. Überhaupt die Reform, da kann sich Manfred Vobiller richtig in Rage reden. Vobiller ist der Geschäftsführer des SCP und das nicht erst seit gestern. Vobiller sieht aus, wie man sich einen Mittelständler in der Provinz vorstellt: Halbglatze, Pullover, Brille. Alles andere als der Funktionärstyp, der sich ein Amt nach dem anderen aussucht, um möglichst oft in der Zeitung abgebildet zu werden.
Für Leute wie Manfred Vobiller ist ihr Fußballverein eine Herzensangelegenheit, Niederlagen kann er nur schwer verkraften. Aber wenn der Gegner wirklich besser war, sieht er das ein. Zumindest nach ein paar Tagen.
Was er aber überhaupt nicht einsehen kann, ist, wenn eine Allianz von Bürokraten und Lobbyisten mit einem Federstrich beschließt, dass sie seinen Verein einfach nicht mehr in ihrer Mitte haben wollen. Das mit der Ligaverkleinerung sei es ja gar nicht mal alleine. Obwohl er auch das nicht verstehe. Was solle er, Süddeutscher durch und durch, nach Verl oder Lübeck fahren – für ihn beides »norddeutsche Städte«? Die Regionalliga sei schon immer unterfinanziert gewesen, »und jetzt soll ich mit kaum mehr Geld nach Berlin, Hamburg, weiß Gott wohin fahren?« Von Pfullendorf aus betrachtet, klingen plötzlich Berlin und Hamburg wie Sibirien. Auch das also eine Frage der Perspektive.
Vobiller sagt es nicht laut, aber er weiß, dass sein SCP nicht unter die ersten zehn kommen wird: Die Qualifikation könne er also schon verbal abschreiben, aber wie solle er dann bloß seinen Spielern erklären, dass jedes Spiel wichtig sei? »Wir hoffen schon, dass wir die Qualifikation schaffen«, sagt er also tapfer. Damit wäre dann immerhin ein Problem gelöst. Aber nur eines. Denn da wären noch dutzende von Auflagen, die einem kleinen Verein schlaflose Nächte bereiten – vor allem aber Löcher im Konto, die sich in der Fußballprovinz einfach nicht mehr stopfen lassen. Auflagen, die nicht als unverbindliche Empfehlungen zu verstehen sind. Der DFB ist streng. Wer nur eine nicht erfüllt, gefährdet die Lizenz.
Professionell ist relativ
Eine Rasenheizung, die wäre in »Badisch Sibirien«, wo oft schon im November wegen der Höhenlage die Spiele ausfallen, vielleicht nicht fehl am Platze. Aber warum um Himmels willen solle er ein Stadion haben, in das 10.000 Zuschauer passen müssen? Warum 2.000 Schalensitze, wenn noch nicht mal die Stuttgarter Kickers Schalensitze hätten, sondern nur 1.500 Sitzplätze auf Holzbänken? Vobiller mit seinen 432 Sitzplätzen ist da Realist, übrigens nicht nur da: »Hier werden nie im Leben 10.000 Zuschauer kommen, wir haben einen Schnitt von 1.000, und das ist für uns eine ganze Menge.«
Und dann die Forderung nach einem »professionellen Management«, die auf einer vom DFB angeregten Tagung verkündet wurde, bei der viele redeten, aber nur der Verband entschied. »Professionell«, wieder so ein Wort, das im ersten Moment so gut klingt wie »Reform«. Doch was sich dahinter verbirgt, ist alles andere als gut. Zumindest nicht für Pfullendorf.
»Professionell«. Als Vobiller das Wort hörte, ist ihm so richtig die Hutschnur geplatzt: »Die Leute sind doch fern von jeder Praxis«, stellt er fest und muss erst mal durchatmen. »Ich habe mir erlaubt zu sagen, dass wir seit 30 Jahren alles ehrenamtlich schaffen, und bei diesen sogenannten Traditionsvereinen kommt alle zwei Jahre ein Neuer, der sich profilieren will. Die sollen sich mal fragen, ob unsere Arbeit schlechter ist als ihre.« Im Dialekt sagt Vobiller »wie denen ihre«, was seit Klinsmann und Löw fast schon hochdeutsch klingt. »Das ganze Ding geht zu Lasten der Amateurvereine. Wenn das gewollt ist, verstehe ich nicht das ganze Gerede vom Breitensport und vom Ehrenamt. Gerade das machen sie in Frankfurt doch kaputt.«
Gerne hätte man jetzt einen DFB-Vertreter hier im Geschäftszimmer des Pfullendorfer Stadions, wo in einer Ecke der Wimpel des Südbadischen Fußballverbandes hängt. Oder Uwe Wiesinger, den langjährigen »Präsidiumsberater« von Darmstadt 98, der als einer der Strippenzieher hinter der Reform galt. Wenn sie ehrlich wären, müssten sie Vobiller Recht geben, Vereine wie Pfullendorf würden sie am liebsten nie mehr aus der Nähe sehen müssen. Wiesinger hat es einstweilen geschafft: Seine Lilien stiegen in der Saison 2006/07 hochverschuldet aus der Regionalliga ab, Pfullendorf blieb drin.
Als sich die Vereinsvertreter getroffen haben und am Schluss den Finger hoben zu einem unverbindlichen Meinungsbild, waren außer ihm selbst und den Vertretern der Profi-Zweitvertretungen plötzlich alle für die eingleisige dritte Profiliga. Die Jahre zuvor war das immer anders gewesen: Stuttgarter Kickers und Darmstadt 98 dafür, die Mittelständler dagegen. Plötzlich waren alle Befürworter der eingleisigen dritten Liga. Auch die Elversbergs und Reutlingens und Pirmasense trauten sich offenbar zu, am Tag X zum illustren Kreis dazuzugehören. Die Kickers und Darmstadt stimmten eh dafür – »das sind Traditionsvereine, die spielen natürlich nicht gerne gegen Pfullendorf, Elversberg oder Hinterdupfingen«, kommentiert Vobiller mit ziemlich trockener Stimme.
Man meint, eine nur notdürftig verhohlene Schadenfreude festzustellen, dass auch die Großen nach »Badisch Sibirien« müssen. Ginge es nach ihm, sollen die hohen Herren ruhig weiter fluchen, weil sie ihre Mannschaftsbusse über weithin unerkundete Landstraßen zum Pfullendorfer Waldstadion lotsen lassen müssen. Vobiller betont, dass er sie nicht daran gehindert habe, ihr Glück im Profifußball zu versuchen: »Dann sollen sie sich doch sportlich für die zweite Liga qualifizieren, aber das schaffen sie nicht, dann wollen sie eben so eine graue Maus wie uns draußen haben.«
Tabak im Plastikbeutel
Eigentlich ist es ein Fall von seelischer Grausamkeit, einen netten Herrn wie Manfred Vobiller an einem Tag wie heute zu behelligen. Heute kommen die Bayern nach Pfullendorf zum Pflichtspiel, deren Amateure wohlgemerkt. Trotzdem ist das das Spiel des Jahres. 2.950 Zuschauer wird der Stadionsprecher nachher durchgeben, das ist fast das Dreifache des Durchschnitts.
In eineinhalb Stunden ist Anpfiff, und Manfred Vobiller erhöht nun deutlich die Frequenz, mit der er in einem Plastiksäckchen herumnestelt. Drin ist eine Tagesration Tabak, offenbar eigens abgefüllt zur Verhinderung exzessiven Rauchens. Die Ration, so viel steht jetzt schon fest, wird niemals bis zum Ende des Tages ausreichen. Der Stress wird nicht weniger werden,