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Wölkchen schwarze Menschenmassen wogen und pilgern über das Feld zu den billigen Plätzen, weithin bis dort wo die Ebene in violettem Dunst mit dem Horizont verschwimmt. Aus dem Musiktempel klingen die Töne des Intermezzos aus der »Cavalleria« und verklingen klagend und jauchzend über dem wimmelnden Gewühl.

      Da zuckt es kurz und rasselnd in dem umzäunten Schalter-Viereck hinter der Tribüne auf. Einmal, zweimal, dann immer häufiger, fast ununterbrochen wie das Feuer einer Schützenlinie. Der Totalisator wird lebendig. Sein Stampfen verschlingt das Intermezzo, es läßt das harmlose Geplauder verstummen und zieht in Hoffnung und Aufregung alles zu sich heran. Die professionellen Sportfreunde drängen sich, ihre Vereins-Karte oder das Totalisatorticket vorweisend, massenhaft durch die Drehgitter. Es ist ein Gewühl, wie um einen Bienenstock am Frühlingsmorgen, wie um ein brennendes Licht, das in der Sommernacht die Motten anlockt.

      Und was sind es mehr als thörichte Motten, die Unerfahrenen alle, die hier in den verzehrenden Glanz hineinflattern! Für die paar Sachverständigen eine ernste Spekulation, für die Mehrzahl des Publikums ein aufregendes, kleines Vergnügen, ist der Gang zum Totalisator für manchen andern ein Schritt auf Tod und Leben. Hier versucht der verschuldete Kaufmann, sich noch einmal herauszureißen, der Defraudant, mit einem kecken Entschluß die Unterschleife zu decken. Hier setzt der übernächtige Caféhauskellner seine Trinkgelder ein, der Commis verspielt seinen Gehalt, der Leutnant opfert seine Gage, der Referendar seinen Wechsel und der Himmel mag wissen, wie beide den Rest des Monats durchkommen werden, wenn ihren kühnen Berechnungen fehlschlagen. Und immer wieder rasselt der Totalisator und immer neue Scharen strömen herzu.

      Schon hat in Westend das erste Hürdenrennen mit dem Sieg der rotgelben Streifen des » Captain Black« geendet, schon liegt die Charlottenburger Chaussee wieder verödet da, nur durch langsam knarrende Lastfuhrwerke und die Wagen der Pferdebahn belebt, da fährt noch ein Nachzügler durch den Tiergarten den Höhen zu.

      Eine hohe, geschmeidige Gestalt, Mitte der Dreißiger, sehnig gebaut, mit einem langen, schwarzen Schnurrbart in dem gebräunten Gesicht, über dem die selbstbewußte Langeweile der high-life wie eingemeißelt liegt. Eine Cigarette qualmt zwischen den Lippen, die lebhaften, scharf blinkenden Augen starren ziellos in das Leere. Graf Parsenow ist offenbar in tiefe Gedanken versunken.

      Er hat auch allen Grund dazu ... schon seit mehr als Jahresfrist. Da stellten sich bei ihm die ersten Anzeichen ein, daß er auf der Kippe stehe. Im Leben eines jeden vom Schlage Parsenow kommt dieser kritische Moment. Die Gäule fraßen ihn nach wie vor in ihren Winterquartieren arm, Erna schickte ihm mit gewohnter Gewissenhaftigkeit ihre Rechnungen zu, die Gläubiger legten denselben Wert auf pünktliche Zahlung der Saldis wie sonst, – aber die Einnahmen blieben aus. Das Spielglück hatte sich von ihm gewandt. Er war zu klug, es erzwingen zu wollen, aber er spielte doch und spielte, und zu Ende des Winters war der größere Rest seines schon ohnedies stark zusammengeschmolzenen Vermögens dahin.

      In der Renn-Campagne des Frühjahrs blieb der ersehnte Umschwung aus. Wo er seine Pferde laufen ließ, kauerte hinter dem Jokey der Mißerfolg im Sattel. Und mehr und mehr schwand das Geld.

      Als er zur Zerstreuung mit Erna um Pfingsten nach Paris fuhr, hatte er noch etwa fünfzigtausend Mark. Das war alles.

      Zu spielen wagte er jetzt nicht mehr. In einer Nacht kann man solch eine Summe und mit ihr das Betriebskapital, die Waffe im Kampf ums Dasein, verlieren. Eine Weile vermochte er sich ja noch zu halten, aber wenn er an den lauen Juni-Abenden über die Boulevards schlenderte, schien ihm seine Lage wie die eines Mannes, dem man die Wahl frei läßt, ob er lieber langsam im Sumpfe untergehen oder rasch von den Wogen verschlungen werden will.

      Er entschied sich für das letztere. Es war da bei einem französischen Züchter für einen hohen Preis ein prächtiger Steepler zu verkaufen. Ihm vertraute er sein Glück an. Er importierte ihn, er meldete ihn bei den großen Herbstrennen an und schloß Wetten auf ihn ab, so hoch er konnte. Er bekam lange Odds; denn das Pferd war auf deutschen Bahnen noch unbekannt, seine Abstammung nicht die beste. Rechtfertigte die Stute das Vertrauen, das er in sie setzte, so mußte sie ihn jetzt im Laufe des September und Oktober retten. Er ging dann mit einem neuen Vermögen in die Karten-Campagne des Winters.

      Heute sollte ›Satanella‹ zum ersten Male in dem großen Jagdrennen laufen, und ihr Besitzer – Parsenow mußte es sich mit Beschämung eingestehen – war geradezu erregt, beim Gedanken an die kommenden Ereignisse. So vornehm kühl auch sein Gesicht blieb, innerlich wogten Hoffnung und Zweifel peinvoll auf und nieder. Merken würde das niemand – dazu war er seiner jahrelang geübten Selbstbeherrschung zu sicher – aber unangenehm war diese ganze Lage. Noch hielt ihn alle Welt für gut fundirt, niemand ahnte, daß er niederbrechen könne und er – er mußte beinahe selbst lachen, so komisch erschien ihm die Sache – er trug noch 210 Mark und 50 Pfennige bei sich. Mehr besaß er nicht. Er hatte sich vorhin, in einer Anwandlung dumpfen Erstaunens die Summe auf dem Schreibtisch vorgezählt.

      Nun ... in einer Stunde konnte Satanella die zehntausend Mark gewonnen haben. Ebensoviel hatte er auf sie an verschiedenen Stellen gewettet – mit eins zu vier. Dann hatte er fünfzigtausend Mark ... immerhin ein Anfang.

      Und sein Gesicht hellt sich allmählich wieder auf. Der Wagen hielt. Graf Parsenow sprang elastisch heraus und schritt an der Tribüne vorbei quer über den Sattelplatz zu den Ställen.

      »Satanella da?« fing er hastig beim Eintreten.

      » All right, sir!« antwortete aus dem dunkeln Innern die heisere Stimme der Trainers.

      II

       Inhaltsverzeichnis

      Frau von Braneck blickt suchend umher auf dem weiten, menschenwimmelnden Plan. Wo nur Parsenow bleibt? Eine wahrhaft unerträgliche Ungeduld hat sich ihrer bemächtigt. Am Ende ist er erkrankt oder seinem Pferde etwas zugestoßen ...

      Da ... endlich! Die hohe, straffe Gestalt des Grafen nähert sich von dem Sattelplatz her der Tribünenpromenade. Auf der einen Seite schreitet neben ihm der Trainer, ein magerer, alter Engländer mit mißvergnügtem Gesicht, auf der andern ein junger, schmächtiger Husar, Leutnant von Wendlau. Er soll Satanella, die beim Handicap gut weggekommen ist, steuern. Parsenow vertraut ihm unbedingt. Er sitzt vorzüglich zu Pferd, hat, trotzdem er in diesem Jahr zum ersten Male reitet, schon drei Rennen gewonnen und besitzt das Geheimnis, die widerspenstige und nervöse Satanella ruhig unter seiner leichten Faust gehen zu lassen. Das ist sehr wichtig. Denn Satanella bekundet durch tausend Unarten ihre Abstammung von den ältesten Adelsgeschlechtern der Pferdewelt. Sie bricht vom Start weg, sie hat eine offene Abneigung gegen Wassergräben und springt dafür die Hürden so leichtsinnig, daß sie oft beinahe mit den Vorderbeinen hängen bleibt, kurz, sie erfordert Ruhe und Geduld in hohem Maße.

      Parsenow trennt sich von seinen beiden Begleitern, die, eifrig diskutierend zum Stall zurückkehren, und blickt suchend um sich. Einen Augenblick verschwindet er in dem Gewühl, dann taucht er wieder auf und mit einem eifersüchtigen Schrecken sieht Frau von Braneck, daß eine Dame neben ihm steht. Sie kehrt ihr den Rücken zu. Aber sie erkennt sofort an der Toilette, daß es die Schauspielerin von vorhin ist.

      Was mögen die beiden nur miteinander haben? ... aber schließlich ... Frau Hilda beruhigt sich wieder. Sie weiß ja doch, daß Parsenow kein Tugendspiegel ist, sondern es erst unter ihrem sanften Einfluß werden soll. Nein ... ihr erster Gatte, der ewig Kränkelnde und Hüstelnde, hat sie nicht glücklich gemacht trotz seines peinlich moralischen Lebenswandels ... man darf nun einmal von den Männern nicht allzuviel verlangen – wenigstens vor der Ehe ...

      »Was hast Du denn?« sagt inzwischen Parsenow sehr kurz zu Erna, »Du weißt doch, daß ich das nicht liebe ...«

      »Aber es ist dringend, Konrad,« erwidert die Schauspielerin und ein Rot des Unmuts zieht über ihr hübsches Gesicht.

      »Was ist dringend? Geld natürlich ...«

      »Ja ... aber nicht für mich ... wir müssen ...«

      »Nach dem Rennen! ... jetzt habe ich keinen Groschen ...«

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