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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Sie haben doch die Tageskasse ...«
»Ich hatte sie« ... der unglückliche Bühnenleiter sieht vorsichtig um sich ... »vorhin kam wieder der Gerichtsvollzieher ... ich mußte mein ganzes bares Geld hergeben ... wenn die Vorstellung heute Abend nicht stattfindet, kann ich nicht einmal die Billets zurückzahlen.«
»Na schön!« Die Ernesti blickt sinnend vor sich hin, »vor dem Rennen ist mit dem Grafen überhaupt nicht zu reden. Aber nachher, wenn er gewonnen hat ... thut er's schon ...«
»Wie heißt das Pferd?« fragt der Bühnenleiter beklommen.
»Satanella ... er hat es mir zu Ehren so getauft ... nach unserer großen Novität ...«
»Liebstes, bestes Fräulein!«, der Direktor drückt ihre sein behandschuhte Hand, »sehen Sie zu, was Sie machen können ...«
»Es wird schon gehen,« meint die Schauspielerin, »aber Sie wissen ... ich kriege dafür die guten Rollen ...«
»Aussuchen dürfen sie sich, was Sie wollen ... aber schaffen Sie Geld ... so viel Sie können ... «
»Um halb sechs bin ich hier.« Mit flüchtigem Kopfnicken trennt sich Fräulein Ernesti von ihrem Direktor.
Zu diesem sind inzwischen ein paar Männer herangetreten, Abgeordnete des Chors und der Theater-Arbeiter. Die Hüte in der Hand sehen sie den Direktor unsicher an, der sich mit einem plötzlichen Ruck aufrichtet.
»Ich weiß schon, was Sie wollen, meine Herren,« sagte er rasch und leutselig; »noch heute Abend wird die Gage ausgezahlt!«
»Vor der Vorstellung.«
»Vor der Vorstellung. Es ist alles in Ordnung.«
Er glaubt das in diesem Augenblick wirklich, und auch die andern glauben ihm. Gehören sie doch nicht umsonst der Bühnenwelt an, der Welt des Optimismus und des Leichtsinns. Rasch dringt die frohe Kunde durch alle Räume. »Heute Abend«, heißt es überall, »giebts Geld wie Heu!« Wo es herkommen soll, weiß keiner so recht, und das ist gut. Denn bange Zweifel würden doch so manchen beschleichen, wenn er sähe, wie das Schicksal dieser kleinen Welt an den Hufen eines Rennpferdes hängt, einer schmächtigen Stute, die jetzt eben, in Decken gehüllt und sorglich vom Stallburschen geführt, in dem steifen, stelzenden Gang des Vollbluts den Stall ihres Trainers zu Westend verläßt ...
Die paar biederen Leute, die sich an der Vormittags-Kasse ihre Billete holen, schauen scheu und bewundernd Fräulein Ernesti nach, während sie rasch durch den Vorraum hinaus auf die Straße schreitet. Wie geheimnisvoll und romantisch erscheint ihnen die Bühne, wie glücklich die begnadeten Geschöpfe, denen es vergönnt ist, auf den weltbedeutenden Brettern zu wirken!
»Na, Kind ... was machen Sie denn für ein Gesicht?« sagte die hübsche Schauspielerin draußen zu einer Kollegin, die da anscheinend sehr niedergeschlagen auf die Pferdebahn wartet. Sie ist eine recht angenehme Erscheinung, aber ihre blassen Züge sind zu weich für die Bühne und ihr Auftreten ist befangen, fast ängstlich.
»Ach,« seufzte Käthe Krauß, »wäre ich nur am Hof-Theater in Grünstett geblieben! Ich hab' eine Wut auf den Agenten, der mich hierher gebracht hat. Was hilft mir nun die hohe Gage, wenn ich sie nicht bekomme?«
Die andere schaut sie mitleidig, und dabei ein wenig verlegen an. Es ist bekannt, daß die Krauß durchaus solide lebt! Sie haust mit ihrer Mutter, einer verwitweten Steuerrätin oder dergleichen, zusammen in einer bescheidenen Gartenwohnung. Dort kochen sie sich selbst ihr Essen auf dem Ofen, nähen die halben Nächte durch an den Kostümen und während die Rätin morgens das Zimmer fegt, lernt Käthe mit rührendem Eifer an der kleinen läppischen Rolle, die sie in dem neuen Ausstattungsstück spielen soll. Für Erna Ernesti ist dergleichen ein Rätsel. Wenig Talent, gar kein Toupet, dabei noch solide – und das geht zur Bühne! Und sie ist die einzige nicht. Sie hat mehr Leidensgefährtinnen, als man im Publikum glaubt.
»Hören Sie mal, Krauß,« sagte ihre glänzende Kollegin etwas zögernd, »Sie sind ganz gewiß in Geldklemme ... ich sehe es Ihnen an ... da ... ich leih' Ihnen eine Kleinigkeit... geben Sie mir's wieder, wann Sie wollen ...«
Damit drückt sie der andern ein Zwanzigmarkstück in die Hand, die ein abgetragener, an den Nähten mit Tinte gefärbter schwarzer Glace bekleidet und dann setzt sie, als sie bemerkt, wie die Krauß unwillkürlich zusammenzuckt, halb spöttisch dazu: »Nehmen Sie's nur ... ich kann's mir ja von meiner Gage zurückgelegt haben ...«
Ihr Gegenüber weiß natürlich, daß das Geld von dem Grafen Parsenow stammt, dem bekannten Lebemann, der schon Unsummen auf die Ernesti verschwendet hat. Aber sie will sie nicht kränken und dann ... sie braucht es wirklich so nötig. Mit niedergeschlagenen Augen, als schäme sie sich für die andere, steckt sie das Darlehen in das Portemonnaie.
»Na ... Adieu!« sagt die Ernesti. »ich muß jetzt zum Rennen!«
Mit leichten, wiegenden Schritten geht sie ein kurzes Ende die Straße hinunter bis zur nächsten Ecke. Dort hält eine kleine, elegante Equipage, glatt lackiert, mit blankem Geschirr und einem ernsthaften Kutscher, ganz wie es sich gehört. Sie steigt ein. Der Kutscher dreht sich um und faßt an den Hut. »Nach Charlottenburg ... aber schnell!«
Von dem Perron des vorbeifahrenden Pferdewagens sieht ihr Käthe Krauß gedankenvoll nach. Es muß doch wunderbar sein, solch einen eigenen Wagen zu besitzen! Wenn sie einen hätte, müßten aber Gummiräder daran sein ... und der Kutscher müßte eine große schwarze Pellerine tragen. Vielleicht könnte auch noch ein Diener daneben sitzen und herabspringen, um mit abgenommenem Hut den Wagenschlag aufzureißen. Freilich gehörte auch für sie eine entsprechende Toilette dazu. In Gedanken verloren fängt sie an sich ein reizendes Herbstkostüm zu komoniren, bis ihr plötzlich der vor ihr lehnende und sie unverwandt anstarrende Student eine dicke Tabackwolke ins Gesicht bläst, daß sie erschrocken zusammenfährt ...
Erna liebt es, schnell zu fahren. Auf das Pferd kommt es nicht weiter an. Schlimmstenfalls kauft ihr Parsenow ein neues. Blitzschnell rollt der Wagen durch die breiten Avenuen des Westens, über die Friedrich-Wilhelm-Straße hinein in den Tiergarten. Eine herbe frische Luft weht ihr entgegen, die Sonne flimmert in dem bunten Laub und schläfrig lehnt sich die Schauspielerin in die Kissen zurück. Komisch, wie Erinnerungen zuweilen so ganz unvermittelt auftauchen ... die Begegnung mit der Krauß muß sie darauf gebracht haben. Sie sieht wieder eine finstere Hofwohnung vor sich, weit draußen in einer Mietskaserne der Rosenthaler-Vorstadt, sie hört wieder die heisere Stimme des Vaters, wenn er betrunken des Abends heimkehrte, das Keifen der Mutter, das Wimmern der kleinen Geschwister. Und dann das öde Passementerie-Geschäft, in dem sie zehn Stunden täglich hinter dem Laden stand und die Kunden bediente und auf der Leiter auf und nieder stieg. Sie sieht auch den bebrillten, magern Studenten vor sich, mit dem sie ihr erstes Verhältnis hatte. Gott – war das ein Rauhbein! Unwillkürlich muß sie lächeln bei dem Gedanken, wie vergnügt sie beide waren, wenn sie im Qualm des American-Theaters saßen oder beim Eierhäuschen gondelten, um dann mit der Stadtbahn dritter Klasse zurückzukehren ...
Doch da: ein Rasseln um sie her ... Stimmengewirr ... Menschen ringsum. Sie sind am großen Stern angelangt und schwenken in die Wagenreihe ein, die jetzt in ununterbrochenem Zuge, von einem Wald von wehenden Peitschen überragt, die Charlottenburger Chaussee dahinrollt. Ein Hornstoß ertönt hinter ihr. Ein Viererzug rollt vorbei. Auf dem Deck der Mail-Coach flimmern Uniformen und helle Herrenmäntel. Mit verbindlichem Lächeln grüßen einige der Insassen zu ihr herunter, die andern folgen ihrem Beispiel, und mit anmutiger Kopfneigung dankt die Schauspielerin auf den Gruß, den ihr die Vertreter des Hochadels und der Hochfinanz bieten ...
»Kennst Du die Dame, Kurt?« fragt in der daneben fahrenden Droschke Frau von Braneck ihren Bruder, der schräg auf dem kleinen Klappsitz vor ihr sitzt, mit schimmernder, ganz neuer Ulanen-Uniform angethan und mühsam ein Monocle in dem blutjungen, bartlosen Angesicht balancierend. Der Leutnant blickt seine schöne Schwester etwas verlegen an ... aber schließlich ... sie ist ja Witwe .... schon seit fünfviertel Jahren ... warum soll er es ihr nicht eingestehen, daß er Fräulein Ernesti vom Eden-Theater allerdings