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Ihnen nur auch bloß die Hand drücken, weil ich Sie so lange nicht gesehen. Und das tue ich jetzt – also ...“ Er ging, nachdem er seinem Sohn bedeutsam zugenickt.

      „Dein Alter ist prachtvoll“, sagte Walter, „nachdem er sich überzeugt, daß du moralisch gefestigt bist, schenkt er dir das Vertrauen, dich mit mir allein zu lassen!“

      „Nimm’s ihm nicht übel, er will ja doch nur mein Bestes!“

      „Na ja!“ Walter hatte sich zurückgelehnt und sah sich in der großen Stube um, die wie ein Atelier wirkte. Mit den Zeichnungen und Ölskizzen an den Wänden, dem großen Zeichentisch, der Staffelei.

      „Du tust ja, als wenn du heute hier zum erstenmal bist, und warum siehst du mich so spöttisch an?“

      „Da hast du nun eine Samtjacke an“, sagte Walter, „und eine Schmetterlingskrawatte um, sogar eine Locke in der Stirn, und hier sieht es aus wie bei einem Künstler, und bist doch keiner, willst auch keiner werden! Und das alles ist auch abgeklemmt vom Leben und von der Natur durch das elterliche Schlafzimmer, ach, Volkmar!“

      „Wenn ich durch ein Amt erst sicheren Boden unter den Füßen habe, kann ich nachher auch meinen künstlerischen Neigungen leben!“

      Walter starrte an die Decke, gab sich einen Ruck, reckte sich. „Was hab’ ich heute unterwegs für hübsche Mädchen gesehen! Ach, und die in der Potsdamer Straße! Leider ist sie mir entschlüpft, irgendwo in der Lützowstraße ...“

      „Sicherlich war sie blond!“

      „Ja!“

      „Und aus kleinen Verhältnissen!“

      „Sie sah nicht so aus, aber ...“

      „Wenn die Standesunterschiede zu groß sind – –“

      „Standesunterschiede, einem Mädchen gegenüber? Ob Prinzessin oder Marketenderin, ich will für sie nur Mann, und sie sollen für mich nur Weib sein. Männern gegenüber – ja, da kenne ich Standesunterschiede, ich glaube, daß ich mir immer Distanz erzwungen habe.“

      „Aber ein Liebesverhältnis jetzt, ohne Aussicht auf Heirat, läuft doch glattweg nur auf eine Verführung ’raus!“

      „Sicherlich, ich bin ein Schuft! Mensch, Volkmar, kannst du dir denn nicht vorstellen, daß ich eine Geliebte haben möchte, die mir in ihrer mädchenhaften Keuschheit heilig ist?“

      „Ich denke an die Kellnerin aus dem Pichelsteiner Krug!“

      „Ja, der hab’ ich in meiner Unerfahrenheit meine besten Empfindungen entgegengebracht, hab’ mich lächerlich gemacht!“

      „Und hattest es nicht nötig! Von meiner Cousine weiß ich doch, daß die Mädel von der Potsdamer Brücke bis zum Botanischen Garten dich verhimmeln, selbst jetzt noch, wo du sie nicht mehr durch deine Leutnants-Uniform verrückt machst. Und die Geschichten von deinem flotten Onkel Herbert spuken sogar noch in den Köpfen der Mamas –“

      „Herrgott, ich wollte dir ja was erzählen – deswegen bin ich doch hergekommen, Volkmar, jetzt wirst du staunen, halt’ dich feste! Haste keine Zigarren von deiner Sorte, diese Brasil von deinem Ollen kann ja kein Schwein rauchen! Laß, laß – ich hab’ ja auch selber! In deiner Examens-Aszese hast du dir sicherlich auch das Rauchen abgewöhnt, wenn du nicht mal weißt, wo die Kiste steht. Wenn ich das nächste Mal komme, biste wahrscheinlich Vegetarier geworden!

      Also: Eisrieke, auch ’ne Jeliebte vom flotten Onkel! Selber bis jetzt keine Ahnung davon gehabt! Auf der Eisbahn, mich sehen, aufschreien, vor Entzückung ohnmächtig! Heute bei ihr gewesen, Original von Bruder auch da! Beim Kaffeetrinken plötzlich Portemonnaie in der Hand, unterm Tisch zugesteckt. Dreißig Zwanzigmarkstücke drinne!“

      „Bist du plötzlich verrückt geworden, Eschwege?“

      „Ich war’s, weil ich das Portemonnaie nicht behalten, sondern dem Bruder gegeben habe, und der hat sich’s auch seelenruhig eingesteckt!“

      „Entschuldige, Eschwege, aber ich glaube, bei dir ist ’ne Schraube los – weil du dein Echtes nicht bekommen hast!“

      „Na, dann will ich’s dir in aller Ausführlichkeit erzählen – wie Georg Ebers seine ‚Ägyptische Königstocher‘!“

      Als Walter endlich fertig war, sagte Volkmar: „Jratuliere!“

      „Ja, wenn ich die sechshundert Ems hätte!“

      „Du kriegst das janze Vermögen von der ollen verrückten Schraube, die würde ich immer in dem Glauben bestärken, daß du ihr Geliebter bist!“

      „Dann müßt’ ich sie auch heiraten, außerdem hat sie lichte Momente, und dann ist der Bruder da! Ja, wenn ich noch Leutnant wäre! Aber nee, auf die Weise, das geht mir konträr!“

      „Ist doch aber wie im Märchen – wenn man plötzlich vor der Glücksfee steht!“

      Die Milchmänner von Wilmersdorf, die mit ihren Einspännern oder Hundekarren in aller Frühe den sandigen Priesterweg entlang nach dem Kurfürstendamm zottelten, sahen jetzt täglich die sonderbare Bewohnerin der einsamen Villa oben an einem Fenster stehen, wie sie sehnsüchtig mit einem weißen Taschentuch in die Ferne winkte. Wenn sich aber auch die Milchmänner fast die Hälse verrenkten und die Augen ausguckten, nie konnten sie auf dem Wiesengelände ein Wesen erspähen, dem dieses Winken hätte gelten können. Und wenn dann die Milchleute in der Mittagsstunde wieder zurückkehrten, stand die „verrückte Eisrieke“ immer noch dort oben am Fenster, winkte aber nicht mehr, starrte nur in die Wiesen, die jetzt gelb wurden von den knospenden Dotterblumen.

      Als die Schwester eines Morgens nicht hinunter zum Kaffee kam, stieg Albert hinauf, um sie zu holen. Er fand sie in düsterem Grübeln auf der Bettkante sitzen.

      „Wo bleibste denn? Rieke, wach auf, der Kaffee wird ja janz kalt!“

      „Ach“, sie seufzte schmerzlich – „er ist in einen Abgrund gestürzt!“

      „Ach, das hast du jeträumt! Mach dir man um den keine Sorgen, wo soll er denn hier in einen Abjrund stürzen, höchstens in den Faulen Jraben!“

      Rieke sah den Bruder mitleidig an, so konnte doch nur ein Verrückter sprechen. Um ihn nicht zu reizen, stand sie auf und ging mit ihm hinunter.

      Albert pfiff halblaut vor sich hin, den ganzen Vormittag, aber dieses Pfeifen kannte Rieke. So pfiff der Bruder immer, wenn er sie sicher machen wollte, sie aber heimlich auf Schritt und Tritt belauerte.

      Nach dem Mittagessen sagte Albert: „Ich muß mal heute in die Stadt, nur was besorgen! Eine von die dreitausend piekfeinen Hosen aus die Joldne Hundertzehne, es ist Schleuderausverkauf! Die Dinger hier“ – er wies auf seine Beinkleider – „hab’ ich mir bei die verflixte Arbeit in’n Hühnerstall total rujiniert!“

      „Jehste oder fährste?“ fragte sie, ohne ihn anzusehen. Er überlegte sich die Antwort. „Ich werde laufen“, sagte er endlich, „es ist ja schönes Wetter!“

      Aus ihrem befriedigten Nicken erkannte er, daß sie selbst etwas mit der Kalesche vorhatte. Doch, er wollte ganz sicher sein und sagte deshalb: „Jochen werde ich aber mitnehmen, der kann mir tragen helfen.“

      „Die piekfeine Hose?“

      „Nee, ich hab’ ja ’ne janz lange Liste! ’ne Rolle Dachpappe ist auch dabei, ich werde mir doch damit nicht schleppen.“

      Aus dem düstern Sinnen, in das Rieke nun verfiel, ersah er, daß er mit seiner Vermutung recht gehabt. Sie wollte ausfahren, wohin, war ja nicht schwer zu erraten. Doch, wenn er ihr das Fahren unmöglich machte, würde sie sich heimlich zu Fuß auf den Weg machen, sofort einen Schwarm Spottlustiger hinter sich haben.

      Und so sagte er: „Die Dachpappe kann ja auch noch bleiben, ich werde mir man bloß die Hose besorgen und mir die Haare schneiden lassen.“

      „Wie du willst“, sagte sie, ohne ihn anzusehen, „dann hab’ ich wenigstens mal meine Ruhe vor dein verdammtes Jefeife.“

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