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Eisrieke. Erdmann Graeser
Читать онлайн.Название Eisrieke
Год выпуска 0
isbn 9788711592489
Автор произведения Erdmann Graeser
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Während Albert noch erzählte, fühlte Walter, wie ihm von Rieke, unterm Tisch, etwas in die Hand gedrückt wurde. Es war ein dickes, schweres Portemonnaie. Das Bluß schoß ihm ins Gesicht, er versuchte sofort, es zurückzugeben, aber es mißlang, denn gleich darauf erhob sie sich, zwängte sich zwischen Sofa und Tisch durch und sagte: „Es ist zuviel für mich, es jeht mir heute noch alles durcheinander, ich muß mal erst zu mir selber kommen!“
Sie reichte Walter die Hand, fuhr ihm scheu übers Haar, ging, einen frohen Zug im Gesicht, seiderauschend hinaus.
„Leg dir man jleich in die Falle, und nimm Hoffmannstroppen“ – rief ihr Albert nach.
„Hier“, sagte Walter und reichte Herrn Sandbohm das Portemonnaie.
„Bloß jut, daß Sie es ihr nicht wiedergegeben haben. Aber sie war doch janz vernünftig vorhin, es war doch schon in ihrem Kopp drinne, daß Sie nicht Ihr toter Onkel Herbert sind. Und nu macht sie sowas wieder! Sie leidet an bewußtem Wahnsinn, wissen Sie? Der Verstand kann nicht mehr so rasch mit. Als Ihr Onkel damals so plötzlich verschwand, stand alles bei Rieke still, das Herz und der Verstand. Das Herz hat sich ja wieder erholt, wenn es man auch schwach geblieben ist, aber der Verstand nur teilweise. Hätte sie es jleich kapiert, wäre sie ohne Schaden über die Jeschichte wegjekommen, aber jrade über diesen einen Augenblick kam sie nicht hinweg. Ihre Trauer, wie soll ich Ihnen das erklären, fand keinen Auslaß. Darum hat sie sich auch niemals schwarz anjezogen, nee, sojar bunt, weil sie hübsch aussehen wollte, wenn ihr Herbert wiederkäme. Denn ebenso plötzlich, wie er verduftet war, mußte er nach ihrer Ansicht auch wiederkommen. Wenn sie’s bloß nicht übertrieben hätte mit dem Buntsein! Sie trauerte, und sie hoffte, verstehen Sie? Dadrum zog sie sich verschiedene Handschuhe an, auf die linke Pote einen schwarzen, auf die rechte einen weißen. Im Winter dachte sie schon immer an den Frühling und trug zum Pelz einen Strohhut mit Mohn oder Rosen. Das kann nicht jeder verstehen, aber es hat doch einen Sinn. Die schlimmste Zeit kam dann freilich, als sie aus die Maisong entlassen worden war, da ist sie die verrückte Eisrieke jeworden, hinter der alle nachschrien.“
„Na ja –“, sagte Albert, das Portemonnaie in der Hand wiegend –, „da sind lauter Zwanzigmarkstücke drinnen. Weiß Jott, wie sie die zusammenbekommen hat, denn sie kriegt kein Jeld in die Hände, weil sie alles verschenkt.“
„Wenn ihr mein Besuch nur nicht geschadet hat“, sagte Walter, sich erhebend – „ich mache mir jetzt Vorwürfe!“
„Brauchen Sie nicht, ins Jejenteil, vielleicht krieg ich mit Ihrer Hilfe auch noch die letzten Spinnweben aus ihren armen Kopp. Ja, die olle Photographie, wollen Sie ja wieder haben, hier ...“
Er holte das Bild aus seiner Brieftasche. „Das war ein sehr juter Jedanke, das Ding zu schicken. Und nu wollen Sie wirklich schon jehen, na ja, Sie werden wohl auch jenug haben, aber kommen Sie wieder, so oft wie Sie wollen.“
Walter verabschiedete sich. Albert gab ihm das Geleit bis zum Gartentor. „Sie müssen jetzt dort runterjehen, bis zum Kurfürstendamm, über die Wiesen können Sie nicht mehr, da wird’s zu dunkel.“
Walter konnte sich nicht entschließen, schon heimzugehen, es war noch zu früh zum Abendbrot und die Mutter hatte ja Besuch, zwei alte, adlige Damen, Bekannte aus früheren Jahren, hatten sich angemeldet. Und die blieben immer lange, froh, aus ihrem Stift einmal herausgekommen zu sein.
Er war, ohne müde zu werden, die weite Strecke gelaufen, hatte sogar noch einen Umweg gemacht, um am Kanalufer entlang zu gehen, und stand nun an der Potsdamer Brücke. Dort drüben, in der stillen Straße am Karlsbad, wohnte Volkmar. Sie waren Freunde seit der Gymnasialzeit, hatten sich auch nicht verloren, als Walter Offizier geworden und Volkmar endlich, auf Zureden seines Vaters, sich für das Baufach entschieden hatte. Die abendlichen Zusammenkünfte, die sie, seitdem Walter nun auch studierte, sonnabends streng innegehalten, waren in der letzten Zeit etwas seltener geworden, Volkmar bereitete sich auf das Bauführerexamen vor und nahm die Arbeit plötzlich sehr ernst. Der Herr Geh. Oberregierungsrat, sein Vater, hatte eine zwar hochherrschaftliche, aber recht verbaute Wohnung. Die Stube seines Sohnes lag gleich hinter dem ehelichen Schlafzimmer, wodurch die Besuche etwas unbequem wurden. Wenn es bei ihrer Unterhaltung spät geworden, mußten die Freunde auf den Fußspitzen durch das Schlafzimmer zur Entreetür schleichen.
Oftmals zog es der Geheimrat vor, noch aufzubleiben, wenn sich seine etwas kränkliche Frau zu zeitig zur Ruhe begab. Er kam dann noch ein Weilchen zu den jungen Männern herein, um eine seiner schwarzen Brasilzigarren zu rauchen und an den erregten Gesprächen in seiner Art teilzunehmen.
Walter hatte es zuletzt schon etwas peinlich empfunden, er fühlte, daß – seitdem man ihn beim Militär „geschaßt“ – der alte Herr weniger Sympathie für ihn aufbrachte, wahrscheinlich fürchtete er eine ungünstige Beeinflussung seines Sohnes in politischer und moralischer Beziehung. Die Unterhaltung geriet ihm auch meistens auf zu verfängliches Gebiet. „Die Liebe und das Weib, Herr von Eschwege, da kann ich nur sagen: Cura posterior – jawohl! Jetzt gibt’s zuerst die Karriere – was, Fritz, du weißt, dein Vater meint es gut mit dir!“
„Nanu, Eschwege!“ sagte Volkmar, der ihm auf sein Klingeln selbst geöffnet hatte. Er war ehrlich erstaunt über diesen Besuch. „Komm hinter in meine Bude, ich hab’, trotz des Sonntags, von früh bis jetzt geochst. Papa ist bei mir, doch er wollte grade gehen.“
Aber der Herr Geheimrat machte gar keine Miene, die beiden Freunde allein zu lassen. Er bot seine Brasil an und fragte, gut gelaunt – „na Herr Leutnant, entschuldigen Sie, daß ich Sie immer noch so tituliere, Herr von Eschwege! Auch fleißig gewesen?“
„Sonntags büffle ich nicht, es ist ja Frühling draußen. Da halt ich’s in der Stube nicht aus, ich hab’ einen weiten Spaziergang gemacht.“
„Es wird ja erst Frühling“, sagte nachsichtig lächelnd der Herr Geheimrat. „Und da sind Sie so in der Dunkelheit – ja, die stürmische Jugend!“
„Es ist ja Mondschein, herrlicher Vollmond, es sah prachtvoll aus am Kanal!“
Der Herr Geheimrat hob die Hand und zitierte:
„Füllest wieder Busch und Tal...“
„Habt ihr einmal“, sagte er dann, „die wunderbare Poesie des Goetheschen Gedichtes empfunden?
‚Fül–lest wie–der Busch und Tal...‘“
er zerrte die Worte, schluckte feinschmeckerisch.
„Ja, Papa, du liebst deinen Goethe!“
„Goethe ist für mich das universelle Genie schlechthin“, beteuerte der Herr Geheimrat.
„Ja –“, sagte Walter –, „ich bin hergekommen, um dich abzuholen, Volkmar. Hast du nicht auch Lust auf einen großen Topp Bier?“
„N–nein, Eschwege! Jetzt, in dieser Vorbereitungszeit habe ich das Kneipen sehr eingeschränkt, Bier macht mich gleich müde und arbeitsunlustig.“
„Bravo, Fritz, bravo!“ sagte der Herr Geheimrat. „Aber wir haben ja Flaschenbier im Hause, klingele doch dem Mädchen! Es soll eine Flasche hereinbringen, damit uns Herr von Eschwege nicht verdurstet!“
„So schlimm ist es nicht, danke jehorsamst, Herr Jeheimrat. Ich hatte Appetit auf echtes Bier in einem Steinkrug, der Schaum müßte überlaufen!“
„Sie setzen uns in Verlegenheit, solche Genüsse haben wir freilich nicht. Aber