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hatte sich dem Platz zugewandt, wo eine dritte Tasse stand, machte einem Unsichtbaren eine einladende Bewegung, goß Kaffee in die Tasse, legte ein Stück Kuchen auf das Tellerchen und lächelte freundlich, als habe man ihr gedankt. Dann rückte sie Sahnentöpfchen und Zuckerschale heran, wartete ein Weilchen, bis sich der Unsichtbare bedient, und lächelte wieder mit einem verblühten Mädchenlächeln.

      Und jetzt, nach dieser Zeremonie, war es, als sei ein Bann gebrochen. Sie tranken andächtig, genießerisch. Beider Blicke gingen zum Fenster, wo rote und blaue Hyazinthen in Gläsern blühten. Der Garten war noch verschneit, die Fliederbüsche schwankten im Tauwind. Dahinter dehnten sich die Schöneberger Wiesen mit ihren Kroppweiden und Scharen von Nebelkrähen.

      In diese Stille hinein, nur die Uhr hatte man ticken hören, sagte Rieke plötzlich: „Albert, nu erinnere ich mir an alles auf die Eisbahn, bloß was war denn dann nachher, als ich ohnmächtig geworden?“

      „Nischt! Wir haben dir aufjeladen und nach Hause jekarrt!“

      „Und er, ist er denn nicht mitjekommen, hat er sich denn jarnicht jefreut?“

      „Mächtig, hat sich immerfort auf’n Bauch jeklatscht.“

      „Und wo wohnt er denn?“

      „Des hat er nicht verraten, aber ich hab’ ihn einjeladen!“

      „Sieh mal, Albert, nu könnten wir ihm doch helfen, gegen die Wucherer!“

      „Und wie, er brauchte bloß noch die Daumen umeinander zu drehen, weiter nischt!“

      Albert stand da, die Dohle auf der Schulter und kratzte sich kummervoll den Kopf. „Ach ja“, seufzte er halblaut, „hier soll einer nicht verrückt werden, hier muß man ja verrückt werden! War alles schon so schön und jut geworden, und da muß der Mensch wie so’n Jespenst aus’m Jrabe auftauchen. Ach Jott, ich hab’ das alles schon so dicke! Erde uff und rin, das wäre das Beste für mich. Aber jetzt nehme ich mir ne Pulle Burjunder!“

      Der Schnee ging in Lawinen von den Ziegeldächern nieder, die Regenrinnen begannen zu glucksen, in den Telegraphendrähten über den Häusern sang nachts der Tauwind. Die vereisten Schneeberge an den Rinnsteinen wurden schmutzigschwarz und klein – verschwanden allmählich.

      Der lange, harte Winter war überstanden. Verquollene Fenster wurden wieder geöffnet – im Abenddämmern hörte man in den Höfen der Potsdamer Vorstadt die Stimmen spielender Kinder. Und eines Morgens erwachten die Menschen – staunten beglückt, denn es war ein sonnenheller Vorfrühlingstag.

      Da kam – die Hosen in die Schaftstiefel gestopft – der Postbote vom Kurfürstendamm her, kämpfte sich durch das aufgeweichte Gelände bis zum Gartenzaun der Villa Friederike und warf einen Brief in den Kasten.

      „Nanu?“

      Albert, am Fenster sitzend, hatte diesen seltsamen Vorgang zwar beobachtet, rührte sich aber nicht vom Platz, sah nur Jakob, die Dohle, fragend an. Allmählich aber wurde Alberts Neugierde doch so brennend, daß er aufzustehen versuchte. Ach, er ächzte jämmerlich, denn er hatte den Hexenschuß. Da er sein eigner Doktor war, weil er die Ärzte haßte, behandelte er sein Leiden selbst. In dem Medizinbuch, auf das er große Stücke hielt, fehlte aber eine Seite, nur die Hälfte der Kur gegen Hexenschuß war vorhanden, und so hatte er sich zu seinem Ärger auch nur zur Hälfte kurieren können, mit einem umgeschnallten Katzenfell und Senfspiritus.

      Jetzt rappelte er sich aber doch in die Höhe und bekam schließlich seinen Rücken gerade. Das war ihm so überraschend und erfreulich, daß er sich erst ein Weilchen vor dem Spiegel prüfend übte, ob er sich auch wirklich wieder frei bewegen könnte.

      Und dann nahm er seinen alten, grauen Kaisermantel von dem roten Holzriegel an der Tür, hing ihn, nach Art der Militärs, über die Schultern und ging hinunter.

      Minna war beim Wäscheaufhängen, mußte den Postboten also gesehen haben.

      „Warum holste denn den Brief nicht aus dem Kasten?“ schrie er ihr zu.

      „Ist ja nicht für mich“, schrie sie zurück. „Und wer schreibt denn schon jroß an Ihnen, das eilt doch also nicht!“

      Der Frühlingswind klatschte ihr die nassen Wäschestücke um die Backen, so hörte sie nicht, was Albert noch sagte, der zum Kasten ging, den Brief herausnahm und nun mißtrauisch von allen Seiten besah.

      Oben, in seiner Stube, schnitt er ihn sorgfältig auf, sah nach der Unterschrift: „Walter von Eschwege“. Kopfschüttelnd betrachtete er die kleine Photographie ... Und dann las er:

      „Ich verstehe jetzt Ihre und Ihres Fräulein Schwesters Verwunderung bei jenem Zusammentreffen mit mir auf der Eisbahn, denn ich habe inzwischen von meiner Mutter über vieles Aufklärungen erhalten. Hoffentlich ist Fräulein Sandbohm jetzt wieder ganz hergestellt von ihrem Unfall. Wenn ich nicht gefürchtet, ihr neue Aufregung zu verursachen, wäre ich längst selbst gekommen und hätte eine Photographie, die Sie gewiß interessieren wird, mitgebracht. Ich schicke Ihnen nun heute das Bild, weil es vielleicht dazu beitragen kann, irrige Auffassungen zu korrigieren, solche Fälle sollen ja schon vorgekommen sein. Ich denke mir, Sie werden es nach Gutdünken verwenden, ich erbitte es mir aber gelegentlich zurück, da es in meine Andenkensammlung gehört. Vielleicht erlaube ich mir, am nächsten Sonntag in der einsamen Villa vorzusprechen, um Ihnen die Rücksendung zu ersparen. Meine Adresse gebe ich Ihnen hier an, falls mein Besuch störend wirken sollte, schreiben Sie mir bitte ab ...“

      „Hm!“ machte Albert – „auch jenau den jeleckten Briefstil wie der andere, es ist jradezu unheimlich!“ Er griff nach seiner dicken Taschenuhr. „Elfe! Anjezogen wird sie nu wohl schon sein!“ Er horchte nach der Decke hinauf. „Rumtrampeln tut sie schon, Schuhe hat sie an, also ist sie fertig!“

      Albert nahm den Brief und stieg ins oberste Stockwerk. „Kann ich ’rein?“ fragte er dann vor Riekes Tür.

      „Was ist denn los?“

      „Nischt – was soll denn los sein – bei uns ist nie was los!“ Er hatte die Tür aufgeklinkt und war in die Stube getreten. „Mach doch das Fenster auf – ist ja heute Frühling draußen.“

      Sie saß vor dem ovalen Drehspiegel – in buntgeblümter Nachtjacke und rotem Flanellunterrock.

      „Na – was ist los?“

      „Ein Brief – von ihm – ’ne alte Photographie ist drinne.“

      Er sah sie prüfend an, suchte zu ergründen, was in ihr vorging, denn ihre Augen hatten einen seltsamen Glanz bekommen. Zögernd reichte er ihr das Schreiben, sah gespannt zu, wie sie mit zitternden Fingern das Bild aus dem Umschlag zog – es lange betrachtete.

      Doch der schrille Aufschrei, den er gefürchtet, unterblieb, aber schmerzliche Wehmut war jetzt in ihren Zügen.

      „Das bin ich“ – schluchzte sie auf – „und das ist Herbert. Ach, ich fühl’s, er kommt niemals wieder!“

      „Wenn du dir das bloß janz feste ins Jehirn pauken wolltest, Rieke, dann wären wir ein jutes Stück weiter. Aber nach ’ner halben Stunde vermanschst du alles wieder durcheinander.“

      Rieke starrte noch immer die Photographie an. „Das war in Schildhorn“, sagte sie wie zu sich selbst, „wir waren Kahn gefahren. Herbert hatte mir jelbe Mummeln aus dem Wasser gezogen, und dabei wäre der Kahn beinahe umjekippt, die langen Stengel waren so eklig glitschig wie Aale. Es war an einem Wochentag, und der jroße Biergarten janz leer. Ach, ich seh noch alles, als wäre es erst jestern jewesen. An die Fenster von die Kolonjade tanzten so viele Mücken und setzten sich nachher auf die Kompotteller. Die Schwalben flogen ein und aus, denn sie hatten ihre Nester in der Halle. Ach, und Herbert hatte so schlanke, feine Hände, so hocharistokratsche ...“

      „Und dann haste ihm dein Portemonnaie unterm Tisch zujestochen, und dann hat er mit dein Jeld bezahlt, wie son Jrenadier in die Hasenheide, den die Köchin sonntags ausführt.“

      „Er hatte doch kein Jeld – und dadrauf kam’s doch auch janich an!“

      „Und

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