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blickte Walter von dem Bildchen in den Wandspiegel, sah dann betroffen die Mutter an. „Das könnte ich sein – in Uniform. Und das Mädchen ... Herrgott, wer ist das?“

      „Der Leutnant ist Onkel Herbert – und sie – ja, sie ist es, Eisrieke!“

      „Den Namen rief sie ja auch auf der Eisbahn, als sie mich sah, Herrgott, was ist das? Was ist das für Romantik in unserer hausbackenen Familie?“

      „Was hast du gegen unsere Familie? Der einzige, der die Tradition nicht in Ehren gehalten, war Papas Bruder – aber er hat es bitter, bitter büßen müssen!“

      Die im Herzen der Frau Hauptmann gärende Erregung brach plötzlich durch. „Und du, der du ihm so ähnlich bist, auch in der Charakterveranlagung – ach, die Angst um deine Zukunft zermartert mir die Seele. Eines Tages wirst du dich auch ’reingeritten haben, wie Onkel Herbert, wegen irgendeiner dummen Liebschaft – ach, sei still, ich kenne ja dein leicht entzündliches Herz ...“

      „Nicht, Mama, nicht wieder weinen! Ich hab’ dir doch mein Ehrenwort gegeben, daß jetzt nichts mehr vorkommt! Ich weiß doch selbst, was auf dem Spiele steht ...“

      Er hatte die Mutter umfaßt. „Setz dich, Mama – komm! Und was ist das mit Eisrieke und Onkel Herbert?“

      „Schande hat er über uns gebracht, Schande! Noch heute laufen genug Menschen herum, die die peinliche Geschichte kennen. Ein Wunder eigentlich, daß du sie nicht längst schon von anderen gehört hast. Solange Papa lebte, durfte ja seines Bruders Namen überhaupt nicht genannt werden ...“

      Die Mutter wurde ruhiger. Als sie zu erzählen begann, sprach sie in leisem, resigniertem Ton:

      „Er ist ja, wie du weißt, tot – irgendwo in Amerika gestorben – vielleicht ganz verdorben. Das einzige Gute, was man ihm nachsagen kann, daß er keine Bettelbriefe geschrieben, überhaupt niemals mehr etwas von sich hat hören lassen. Aber sonst! Schulden bis über die Ohren – und Liebschaften, manchmal drei zu gleicher Zeit! Und das als blutjunger Leutnant. Um sich zu retten, wollte er den Dienst quittieren, eine reiche Heirat machen – Mesalliance! Weiß ich, wo er diese Friederike dann kennengelernt, ich glaube auf der Rousseau-Insel beim Eislaufen. Damals, wie die Photographie ja zeigt, war sie ein hübsches Mädchen, aber sehr derb! Eine Schöneberger Bauerntochter! Man sagt, ihr Vater habe auf seinen Wiesen – wie soll ich dir das erklären – damals gab es doch noch keine Wasserspülungen in den Häusern –, also habe alles aus dem Westen auf seine Wiesen abfahren lassen und dann, als auch da die Bebauung kam, das Terrain teuer verkauft. Über Nacht, sozusagen, war er Millionär geworden, dieser Bauer ...“

      Sie hob den Kopf und sah den Sohn forschend an. „Immer, wenn du Schlittschuhlaufen gehst, ja, ich werde die Angst nicht los, daß du da auch einmal – –“

      „Eine Schöneberger Millionärstochter – –“

      „Nein, aber irgend so ein armes Ding unter deinem Stande für immer auf dem Halse hast. Ich hab’ doch auch Augen im Kopfe, sehe, wenn ich mit dir aus der Kirche komme, wie dir die Blicke zufliegen. Und du, in dir zuckt’s ja immer, dich von meinem Arm loszureißen, hinterherzulaufen, und so war er auch!“

      „Du übertreibst, Mama! Dann hättest du mir die Halifax zu Weihnachten nicht schenken sollen, mit den alten rostigen Dingern wäre ich nicht mehr gelaufen. Aber erzähle doch weiter, ich bin ja so gespannt wie ein Flitzbogen. Warum ist denn nun ...“

      „Ja – also die Tochter dieses Kerls wollte Herbert heiraten, aber stell’ dir das vor, der Mistbauer, wie ihn Papa immer genannt hat, war dagegen, beschimpfte den adligen Offizier als Mitgiftjäger, und dabei hat Onkel die Person doch geliebt, wenn ihm auch ihre Exaltiertheit auf die Nerven gegangen ist, denn ihre Überschwenglichkeit in der Liebe machte auf andere einen lächerlichen Eindruck. Deswegen hat er dann wohl auch nicht standgehalten, als die Geschichte zum Klappen kam. Wenn eine Liebschaft komisch wird, ist die Sache aus! Eines Tages war Onkel verschwunden, zuerst glaubte auch Papa, daß er sich erschossen habe, aber dann stellte es sich heraus, daß er sich die Papiere besorgt und nach Amerika ausgewandert war, die Blutsauger hatten das Nachsehen.“

      „Und sie?“

      „Nun ja – sie! Gewiß bedauerlich, dieses Schicksal! Man hat sie in eine Anstalt bringen müssen, weil sie geisteskrank wurde. Und gesund ist sie nicht mehr geworden, sie hofft noch heute, daß Herbert wiederkommen werde. Wenn Eisbahn ist, taucht sie auf – in ihrem verrückten Aufputz und belästigt die Offiziere. Nach der Rousseau-Insel darf sie nicht mehr kommen, es hat zuviel Skandal gegeben. Die verschuldeten jungen Leutnants machten sich ihre Verrücktheit zu Nutze, fuhren sie aus Jux manchmal im Stuhlschlitten um die Bahn, als Belohnung steckte sie ihnen dann ihr Portemonnaie zu – traurig, traurig ist das alles!“

      Die Mutter erhob sich. „Jetzt will ich sehen, ob ich schlafen kann nach diesen Erinnerungen. Wo ist die Photographie?“

      „Laß sie mir Mama, sie kommt in die Familiensammlung –“

      „Ich warne dich, Junge! Dieser Onkel Herbert hat über alle Menschen nur Unglück gebracht.“

      „Aber sein Bild kann mir doch nichts schaden, und vom Onkel habe ich nichts in meiner Mappe.“

      In jenem Teil der Brandenburgischen Straße, damals nichts weiter als ein einsamer Feldweg von Schöneberg nach Charlottenburg, stand die „einsame Villa“, wie sie genannt wurde, inmitten eines großen Gartens. Im März waren dort schon stets gelbe und blaue Krokusse in voller Blüte – im Mai aber verschwand hinter hohen süßduftenden Fliederbüschen das Haus den Blicken der Vorübergehenden.

      Und hier, in diesem Hause, lag in einem mit schönen alten Mahagoni-Möbeln ausgestatteten Zimmer Fräulein Friederike Sandbohm auf dem grünen Ripssofa und schluchzte jämmerlich in ihr Taschentuch.

      Bruder Albert stand am Kachelofen, nuppelte an einer halbzerblätterten Zigarre. Auf seiner Schulter hockte eine Dohle, äugte aus ihren wasserblauen Augen von einem zum anderen und plusterte jedesmal entsetzt ihr Gefieder, wenn ihr der Zigarrenqualm zu nahe kam.

      Plötzlich hob Rieke den Kopf: „Was war denn eigentlich mit mir los?“

      „Krank gewesen biste! Hinjefallen auf die Eisbahn, bloß jut, daß du dir nischt jebrochen hast!“

      „Wie lange ist denn das schon her?“

      „Na, morjen werden es jrade acht Tage!“

      „Und ist er denn nicht hier jewesen?“

      „Wer denn?“

      „Herbert!“

      „Ist ja nicht Herbert, der junge Mann war wahrscheinlich noch jarnicht auf der Welt, als du mit deinem Herbert gingst!“

      Sie lachte seltsam, es klang wie das Gurren einer Taube. „Du bist ja verrückt“, sagte sie.

      „Einer von uns beiden ist es bestimmt! Aber wollen wir nun nicht Kaffee trinken?“

      Sie antwortete nicht, lauschte auf das dumpfe Geräusch der vom schrägen Dach abrutschenden Schneemassen.

      „So war’s damals auch – Tauwetter, mit der Eisbahn plötzlich aus und vorbei! Grade am letzten Tage noch hatte ich ihn kennengelernt – und nu ist er endlich wiedergekommen, na, die Aussteuer ist ja nu fertig, alle Monojramms sind jestickt.“ Sie lachte wieder ihr gurrendes Lachen.

      Die Tür wurde mit dem Fuß aufgestoßen, ein ältliches, hageres Mädchen kam mit dem Kaffeegeschirr herein, blieb mit dem Ärmel an der Türklinke hängen, hätte durch den plötzlichen Ruck beinahe das Tablett fallen lassen.

      „Anders kannste wohl nicht?“ fragte Albert ärgerlich.

      „Mach dir nischt d’raus, Minna“, tröstete Rieke.

      Albert wartete, bis sie das Geschirr hingestellt und hinausgegangen war, dann sagte er: „Sie riecht immer nach Hering!“

      „Das ist die grüne Seife, mit die sie sich wäscht.“

      Rieke hatte sich erhoben, ging in seltsam gezierter Art nach der Tür,

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