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offene Fenster die unverwechselbare Stimme der Mistinguett, die ihren letzten Erfolg singt: Mon homme. Auf dem Markt in Eisenach, wo wir auf der Wartburg die Lutherstuben besuchten, hatten wir frischen Salat gekauft und nach einem ungarischen Bauernrezept gefüllt.

      Sechs Salatherzen vorsichtig putzen und waschen. Für wenige min in reichlich kochendes Wasser geben, kalt abschrecken und trocknen. In einer Schüssel 100 g Brotinneres mit einem Becher frischem Rahm einweichen. Drei Scheiben in Würfel geschnittenen Entenschinken, eine kleine fein gewiegte Zwiebel, einen Hauch Muskat, eine Handvoll Petersilie und fünf Eigelb dazugeben. In einer Pfanne ein Bett aus Zwiebeln und Karotten richten und mit drei Nuss Butter bei geschlossenem Deckel ein paar min andünsten. Die vorsichtig mit der Masse gefüllten Salatherzen auflegen. Ein Glas Tokajer, ein wenig Hühnerbrühe und Kräuter (Lorbeer, Thymian, Salbei, Rosmarin) zufügen. Das Ganze mit mageren Speckstreifen belegen und bei geschlossenem Deckel mindestens 60 min köcheln lassen. In der Pfanne oder auf einer vorgewärmten Platte mit reduziertem und mit Butter gebundenem Fond servieren.

       Brunnenkresse-Creme mit Fröschen

      Er kraulte sich den Bart, nahm die Brille ab und putzte sie. Das, wussten wir, war des Meisters subtile Art, den Beginn der Stunde anzukündigen. Dann erhob er sich, ging zur Tafel, hielt inne und betrachtete uns. Wie er so dastand, glich er einem Portrait in Dreiviertelansicht, das Licht beschien ihn von hinten. Hans und Kurt – unsere Neuerwerbungen – saßen hinter mir. Ich drehte mich um und sah sie an. Sie hatten rote Augen, denn sie waren erst spät nachts aus Chemnitz zurückgekommen und hatten gerade Zeit gehabt, sich umzuziehen und ein Glas Milch zu trinken. Wilhelm dagegen war nicht zum Unterricht gekommen und das beunruhigte uns.

      Heute, setzte er nun leise zu sprechen an, werden wir sehen, wie aus dem Grunde der Sinn erwächst. In der Aula war es mucksmäuschenstill. Ihr müsst Euch den Punkt als etwas denken, aus dem Energie hervorkommt. Und während er das sagte, zeichnete seine Hand schon geometrische Formen und die Feldlinien, die sie erzeugen. Es war eine weiße und zarte Hand, die sich vom Schwarz der Tafel deutlich absetzte. Es ist der Anfang, der fruchtbar ist. Und von dort aufbrechend kommen wir zur Gestalt. Aber wir müssen sorgsam sein und beachten, dass die Figur immer an die Bewegung geknüpft ist. Es gibt keine vollkommenere Gestalt als jene, die das Wasser als Synthese von Phänomen und Darstellung zeichnet. Er sagte das, als verriete er uns ein Geheimnis. Ich schaute zu Hans, der hob den Kopf und reichte mir einen Zettel. Ich las: Das Wasser ist eine Metapher für Strategie und Taktik. Es bewegt sich von den Höhen eilig nach unten – so wie Strategie und Taktik das Korsett des Substanziellen verlassen und in die Leere eintauchen.

      Mehr stand da nicht. Wann hat er das gesagt? Hans lachte. Er hat es gar nicht gesagt, antwortete Kurt, aber vielleicht gedacht. Geschrieben hat das ein chinesischer Stratege, 700 Jahre vor Christus.

      Nun zog uns wieder die Tafel in ihren Bann. Seltsame Pflanzen vereinigten sich dort in einem luftigen Gebilde, das vor allem den Drang nach Veränderung ausdrückte. Die Lebensenergien, die aus dem Punkt eine Linie, aus der Linie eine Fläche, aus der Fläche eine räumliche Dimension machen – sie bilden ein Ganzes. Seine Hand schien die Tafel ganz auszufüllen, die Linien verdichteten sich, um sich wieder zu verzweigen, ganz so, als hätte sie ein Eigenleben. Hans hatte sich neben mich gesetzt und flüsterte wie verzaubert von dieser Hand: Hinter diesen Symbolismen, Hannah, sehe ich sein Vertrauen in das Leben. Deswegen habe ich unserem Quartiersrat vorgeschlagen, eine seiner Zeichnungen zur Illustration unserer Flugblätter zu verwenden. Wenn unter diesem Mischmasch die Signatur »Klee« steht, dann sind es »Klees«; aber wenn Du die Signatur weg lässt, dann wird aus diesem Gekritzel die Masse der Ausgeschlossenen, die voranschreitet und Angst macht, weil sie keine Form hat. Nichts schreckt die Bourgeoisie mehr als eine radikale Opposition, die keine hierarchische Ordnung hat, die vor allem keine der bürgerlichen Parteien nachäfft. Ich war überrascht. Aber ich sagte nichts. Die Linie illustriert mit ihrem Wesen ihr Entstehen …

      Martin ist daheim in Blankenburg gewesen, bei der Hochzeit eines Jugendfreunds. Nun hat er uns 5 kg Frösche mitgebracht, die er mit Bekannten nachts in einem Teich gefangen hat, mit Karbidlampen und Spießen. So ist unsere Vorspeise heute Abend gesichert.

      Für die Creme 600 g Brunnenkresse sorgfältig waschen, davon 500 g in Salzwasser dünsten und abtropfen lassen. Eine sehr fein gewiegte Zwiebel mit wenig Butter und einem Glas frischem Rahm goldbraun anbraten. Die Brunnenkresse zugeben und einköcheln lassen. Alles durch den Fleischwolf geben, Salz und Pfeffer sowie die übrige kleingeschnittene Kresse beifügen. In einer hohen Pfanne zwei kleingeschnittene Schalotten anbraten. Mit einem großen Glas Weißwein übergießen, dazu einen Hauch Muskat, einen Bund gewiegte Petersilie und 700 g gesäuberte und von der Haut befreite Froschschenkel. Nachsalzen und pfeffern, bei geschlossenem Deckel zum Kochen bringen. Nach 5 min die Froschschenkel herausnehmen und warmstellen – das Fleisch ist gar, wenn es sich von den Knochen löst. Den Fond um mindestens die Hälfte reduzieren, noch ein wenig Butter und ein Glas steif geschlagenen Rahm zugeben. Die Kressecreme erwärmen und damit auf jedem Teller ein Nest formen, in das jeweils ein paar Froschschenkel gelegt werden, mit einem Klacks Sauce und ein wenig Kerbel garnieren. Sofort servieren.

      An diesem Abend hatten wir sehr viel Kundschaft. Also schlug ich vor, die Creme auf kleine Knoblauchpfannkuchen zu setzen – ein voller Erfolg. (Ein Assistent aus dem Fotokurs, der bukolische Motive liebt, hat uns erzählt, dass es vor dem Krieg an der Straße nach Rudolstadt, vor allem unterhalb von Schloss Heidecksburg, künstlich angelegte Wassergräben – sogenannte »Klingen« – zur Kultivierung von Brunnenkresse gegeben hatte. Jetzt nutzte sie niemand mehr, der Bauer, dem sie gehörten, und seine ganze Familie waren umgebracht worden.)

       Zwiebelkuchen

      Seitdem »Die Aktion« mit dem Untertitel »Wochenschrift für revolutionären Sozialismus« erschienen war und auch unsere oft polemischen Beiträge akzeptiert hatte, ließen wir uns Exemplare schicken, um sie hier im Viertel zu verteilen. Die Genossinnen boten sie Passanten an, während einige Genossen abwechselnd unauffällig Wache stehen. Wie sagte Martin? Wenn man gezwungen ist, in einer kleinen Stadt zu leben, gewöhnt man sich daran, den Nächsten still zu hassen und die eigene Schlauheit im spießbürgerlichen Alltag täglich auf die Probe zu stellen.

      An diesem Nachmittag verteilten wir »Die Aktion« in der Erfurter Straße, die Luft war kalt und vom nassen Asphalt kam ein Geruch nach Regen, der sich mit dem feuchter Kleider vermischte. Sogar die Kinder hatten keine Lust mehr, draußen zu spielen. Ein gut gekleideter Mann mit Hut und Stock, der aus Richtung der Bürgerschule kam, näherte sich Susanne und ließ sich einige Exemplare geben. Dann begann er sie mit großer Geste zu zerreißen. Susanne wollte ihn gerade fragen, warum er das tue, da zischte er sie hasserfüllt an: Du bist eine von diesen roten Nutten von der Schule, was? Jetzt erlauben sie Euch schon, auf der Straße zu rauchen und die Leute zu belästigen. Ihr Schlampen, Ihr braucht die Peitsche! Er holte Luft und mit Schaum vor dem Mund schrie er: Aber mit diesem Defätismus ist jetzt Schluss! Es geht wieder aufwärts. Deutschland, erwache!

      Hans, der am nächsten war, kam heran, um ihn zu beruhigen. Aber der regte sich nur noch mehr auf, drohte ihm mit dem Stock und nannte ihn kommunistischen Abschaum. So was wie er käme eben heraus aus so einer Scheißschule des Kulturbolschewismus voller Juden. Das alles geschah binnen weniger Minuten. Hans machte nun, wie er es beim Militär gelernt hatte, eine blitzschnelle Körperdrehung und traf den Mann hart mit dem Absatz an der Kniescheibe und der ging zu Boden. Hans knöpfte sich die Hosen auf und pisste ihm auf die Brust. Dann richtete er sich wieder her und stieß zu uns.

      Warum hast Du das gemacht? Das wird böse Folgen haben. Weil dieses Schwein einen Stockdegen hatte, mit dem er auf mich losgehen wollte. Aber jetzt hauen wir schnell ab. Und im Übrigen: Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist unsere Furcht. Die Vision einer friedlichen Welt der Moderne ist die extravaganteste aller Hoffnungen – für diese Lektion haben wir einen hohen Preis bezahlt. Und wir, Hannah, wir verteidigen existenzielle Werte gegen diese Spießer, die nie gelebt haben. Wir können nicht immer so tun, als sei das ausschließlich mit noblen Methoden zu schaffen. Später nahmen wir die Diskussion wieder auf. Ewa und ich waren uns einig: Wenn man das

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