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auf einen Schlag bleich geworden, Peter sah den Baron hart an und murmelte, man sei nicht hier, um Porträts adliger Hunde zu bewundern. Greta rettete die Situation mit Bravour. Sie hakte sich bei Baron W. von H. ein und schlug vor, nun nach unten zu gehen, um sich die Kühlkammern anzusehen.

      Wir befanden uns im Salon des »Weimarer Jagdzirkels«, um den Empfang nach einem Konzert zu besprechen. Sonst ließ man das immer vom »Russischen Hof« organisieren, aber diesmal hatten wir den Zuschlag bekommen – eine Gelegenheit, auf die wir lange gewartet hatten. Die Jungs betrachteten mit Begierde die Waffenschränke, in denen Kriegs- und Jagdgewehre aufgereiht waren, manche sogar mit Zielfernrohr. Die Waffen holt man sich dort, wo unsere Feinde sie aufbewahren, hatte Hans verkündet, so kommt man auch einfach an Munitionsnachschub. Das Waffendepot in der Kaserne der Wilhelmsallee war leider schon geplündert worden, nichts davon war noch greifbar, und so waren wir auf den Jagdzirkel gekommen.

      Darüber dachte ich nach, als endlich die Lichter des Salons verlöschten. Der Rest des Gebäudes lag schon im Dunkeln. Seit fast zwei Stunden lagen wir versteckt im Gebüsch. Und obwohl wir seit mehr als einem Monat auf diesen Moment gewartet hatten, waren wir jetzt nur noch ungeduldiger, erregter, ängstlicher. Die Nacht war kalt und böig. Ich hatte mich an einen Baum angelehnt, meine Jacke hatte mich vor der feuchten und pieksenden Rinde nicht schützen können. Auf ein Zeichen von Martin zogen wir unsere schwarzen Kapuzen tief ins Gesicht, schwarz war auch der Rest unserer Kleidung. Fluchtwege und Alarmanlage hatten wir genau ausgekundschaftet. Wir schlichen zu einem Fenster. Hans öffnete es mit Glasschneider und Saugnapf, zündete eine Kerze an und stieg lautlos ein. Der Rest war Konsequenz, wie Wilhelm immer sagt.

      Dieses Abenteuer hatte noch ein Nachspiel: Ein Wachmann des Zirkels hatte uns gesehen. Am nächsten Morgen gingen wir zu ihm. Er verstand sofort, was wir getan und warum wir es getan hatten. Das haben sie sich verdient, sagte er. Die verbreiten nichts als Elend. Ihr dagegen kämpft für eine Sache, die viele für die richtige halten. Jedenfalls – und er sah uns allen in die Augen – hoffe ich das.

      Man rechnet mit fünf Austern pro Gedeck. Öffnen, Fleisch und Flüssigkeit entnehmen und in eine tiefe Pfanne geben, zusammen mit einer fein geschnittenen Schalotte und zwei Kelchen Champagner erhitzen, das Muschelfleisch warmstellen. In meinem Kochbuch steht es so, wir nehmen heute aber einen aromatischen Weißwein, zum Beispiel einen Traminer aus dem Rheingau. Den Fond jedenfalls um ein Drittel reduzieren, ein Glas frischen Rahm und 50 g cremig geschlagene Butter beigeben. Mit Zitronensaft und frischen, fein gewiegten Zwiebeln aromatisieren. Die Sauce darf nicht kochen! Nun die Austern jeweils auf ein gewaschenes und abgetrocknetes Endivienblatt setzen, fünf davon sternenförmig auf jedem Teller anrichten und mit der warmen Sauce benetzen. Das ist eine Lieblingsvorspeise von Gropius, der in uns ein Beispiel sieht für den Künstler-Handwerker. Martin hingegen hasst das Gericht und kann nicht umhin, beim Servieren vor sich hin zu murmeln: Austern, ruft ihr, und Fasanen her! Fresst nur: Für Euch, Bürger, gibts kein Morgen mehr.

       Entenbrust auf Wirsing

      Überall Revolutionen, nirgends die Revolution. Dieses Thema haben wir für das Koordinierungstreffen der Thüringer Räte vorgeschlagen. Wilhelm und Hans sind in München gewesen, wo sie nach vielen Telefonaten und geplatzten Verabredungen Karl Korsch getroffen haben. Er hat sich dann sehr lange mit ihnen unterhalten und ihnen einen langen Aufsatz überlassen, der in Fortsetzungen bald in der »Neuen Zeitung« erscheinen wird. Er heißt »Wandlungen des Problems der politischen Arbeiterräte in Deutschland«. Er wollte alles über die Schule wissen, sagt Hans, sogar den Stundenplan und die Preise in der Mensa. Über Behrens hat er auch unseren »Chef« kennengelernt und war tief beeindruckt.

      Architektur interessiert ihn nicht, aber die Idee, dass sie die Materie auf eine höhere Stufe führen und das Bedürfnis nach Form befriedigen könne – und darum geht es im Grunde bei der Ästhetik – fasziniert ihn. Er hat irgendwo gelesen, dass Gropius die Architektur als Ausdruck der Konstruktivität des Bewusstseins definiert. Das erinnert ihn an etwas, das Lenin vor vielen Jahren geschrieben hat. Er wünscht sich sehr eine Zusammenarbeit aller Aktivisten rund um die VKPD und besteht darauf, dass der Friede nicht als Gegenteil des Krieges gedeutet werden dürfe, gerade jetzt, mit tausenden von bewaffneten Veteranen und Millionen zu beweinender Toten. Für ihn ist der Krieg die Essenz der Verbindung zwischen Staat und Geschichte – unvermeidbar, solange es Staaten, Hierarchien und Klassen gibt. Der Friede hingegen gehört zur Lebensform der Gemeinschaft, ja, er ist ihre praktische soziale Hervorbringung. Der Krieg ist ein Ausdruck der bürgerlichen Epoche, der Friede wird der einer künftigen Gesellschaft sein. Der eine ist der Ausnahmezustand für den anderen. Dann lächelte er und verwies auf die dritte Marx’sche These über Feuerbach.

      Jetzt war es Zeit, die Geschenke zu öffnen. Ich bekam ein signiertes Exemplar von Heinrich Manns »Der Untertan«, Ewa »Wallenstein« von Alfred Döblin. (Interessant war noch Folgendes: Ein paar Stunden später fragte Ewa Hans: Was ist Korsch eigentlich für ein Typ? Hans hat gelacht. Er trägt einen Schnauzer, ist braun gebrannt, hat einen trainierten Körper und den Blick eines tombeur de femmes.) Dies hier ist ein Bauernessen aus Pommern.

      Entenbrüste mit dem Fett parieren, dann kräftig mit »Schießpulver« einreiben – so jedenfalls nannte meine Oma eine Mischung aus 500 g Meersalz und 5 g Salpeter (aber wirklich, meine Damen – seid ihr sicher, dass ihr nicht mehr braucht, witzelte Hans, als wir ihn nach dem Zeug fragten). Dazu kommen 200 g Zucker, 1 EL gehackte Nelken und drei geriebene Zitronenschalen. Die Schinken mindestens zwei Tage kühl und dunkel ruhen lassen, dann trocken säubern und in eine Kasserolle mit 1 EL Schmalz geben. Bei sehr kleiner Flamme braten. Sie sind durch, wenn man mit dem Gabelzinken leicht eindringen kann. Warmstellen. Den Fond fein durchsieben, mit Wasser und einem Glas Weißwein verlängern, salzen und pfeffern und ein Viertel eines jungen Wirsingkopfes darin dünsten. Die Blätter in einer Kasserolle anordnen, eine mit Lorbeer und Nelken gespickte Zwiebel, eine in Viertel geschnittene Karotte, zwei Zehen Knoblauch, einen Zweig Thymian, eine Handvoll gehackte Petersilie zugeben. Auf diesen Boden die Gänsebrüste setzen, jede mit einem Streifen mageren Speck bedecken, salzen und pfeffern und mit dem Kohlfond begießen. Die Kasserolle bei niedriger Temperatur für mindesten 30 min in den Ofen geben.

       Ochsenzunge auf Rosinensauce

      Er durchquerte den weitläufigen Konferenzsaal und ging direkt auf die große Treppe am Ausgang zu. Ich sah ihn, aber Hans drehte sich nicht um. Das gehörte zu unserem Kodex: Schau nie zurück. Bevor wir uns getrennt hatten, sagte er noch zu mir, mach dir keine Sorgen darüber, wie es endet, Hannah. Wenn es nach mir geht, werden wir noch so viele Volten schlagen, dass wir aus der Revolte eine Kunst machen. An diesem Nachmittag hatten wir einen Text von Rosa Luxemburg diskutiert, der in »Die Rote Fahne« erschienen war: »Was will der Spartakusbund?« Ich kann mich noch genau an einen Passus erinnern, der mich getroffen hatte, und den Hans mir dann versuchte, zu erläutern: »Die Masse des Proletariats ist berufen, nicht bloß der Revolution in klarer Erkenntnis Ziele und Richtung zu stecken. Sie muss auch selbst, durch eigene Aktivität, Schritt um Schritt den Sozialismus ins Leben einführen.«

      Für Hans und Martin ist das zentrale Thema, das Schicksal des Proletariats, noch immer an das Phänomen der Entfremdung gebunden: Auch das Proletariat wird sich früher oder später im gleichen tückischen und düsteren Schlamassel wiederfinden wie alle – es wird zum Konsumenten von Waren. Durch die dem Konsument-Sein innewohnende Macht, die sich sehr gut mit der kalvinistischen Ethik eines »Tun, um zu produzieren« verträgt, wird dies auf eine perfide Art linke und rechte Positionen wertlos machen. Was soll das heißen, fragte ich. Dass früher oder später die kapitalistische Produktionsweise den Charakter des sozialen Körpers bestimmen wird; dass man demzufolge wird anerkennen müssen, ob man will oder nicht, dass im Warenkonsum das Sein selbst sich manifestiert. Ein Sein, in dem Freiheit nur noch ein leerer Begriff ist, eine Existenz, die mit dem eigentlichen Leben mitsamt all seinen unkalkulierbaren Folgen, wie eben auch der, die Art der Produktion in der Kategorie der Schönheit zu denken, nichts mehr zu tun haben wird. Diese Produktionsart wird unvermeidlich zur Ästhetisierung des Kitsches führen und diese Verdinglichung werden alle Ausgebeuteten teuer bezahlen.

      Es war

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