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Zeitungen arbeitet und sowohl erfundene wie wirklich vorgekommene, immer aber wahre Geschichten erzählen kann, das Buch jedenfalls ausgezeichnet übersetzt hat, kann ich aber trotzdem erkennen, denn es schmeckt gut (das liegt am Champagnerpfeffer, mit dem er es gewürzt hat und der natürlich, genau wie der Geschmack des Buches, eine Metapher ist – heute muss man so was ja erklären, sonst versuchen welche, das Ding aufzuessen, und tun sich hinterher mit ihrem Bauchweh dick).

      Ob das alles so gewesen ist, wie das Buch nahelegt, weiß ich nicht, aber wer es liest, um sich einen Besuch beim Bauhaus, das Selberkochen, die Lektüre des Paul-Klee-Comics von Christophe Badoux oder eigene kommunistische Praxis zu ersparen, ist sowieso bescheuert. Es geht doch darum, sich daran erinnern zu lassen, dass man vieles, was man machen sollte, auch tatsächlich machen kann.

      Darum geht es übrigens in jedem Buch, das man nicht ungelesen wegschmeißen muss.

      Aber nicht alle schmecken so gut wie dieses.

      Champagnerpfeffer.

      Lautsprecher.

      Nicht stehenbleiben.

      Weiterlesen.

       Dietmar Dath

Die Rote Köchin

      »Partisan ist und wird jeder sein,

       der die Faschismen bekämpft.«

       Pietro Chiodi

       Vorgeschichte

      Ich habe Ihnen das Bild mitgebracht und noch etwas anderes, das Sie interessieren könnte, sagte sie, und schob mir einen großen Packpapier-Umschlag zu. Er war abgewetzt und mit einer Kordel umwickelt. Das ist alles, was von ihr geblieben ist. Machen Sie etwas Gutes damit. Dann lächelte sie: Einen Kaffee? Sehr gern.

      Wir hatten uns ein paar Tage zuvor kennengelernt, in ihrer kleinen Kunstgalerie im Zentrum von Ascona. Sie war spezialisiert auf Nebenwerke der mitteleuropäischen Avantgarde, Stiche und Zeichnungen der großen Meister. Ein Freund aus Mailand, Sammler und Mäzen, hatte mich gebeten, ein kleines Aquarell von Paul Klee zu begutachten und dieses, bei Gefallen, für ihn zu erwerben. Ich habe keine Zeit, sagte er mir, und im Übrigen möchte ich auch nicht, dass man weiß, dass ich der Besitzer bin. Verhandele den Preis, lass es Dir jedenfalls auf keinen Fall entwischen, wenn es echt ist. Gib aus, was Du für angemessen hältst, ich lasse Dir über mein Sekretariat eine Vollmacht zukommen, damit Du das Geld direkt von meinem Schweizer Konto abheben kannst. Das Bild ist klein, leg es in ein Buch und bring es mir, sobald es Dir passt.

      Die Galerie lag in der Nähe der Uferpromenade. Sie hatte ein großes Schaufenster, war innen aber winzig und sehr gepflegt. Den Eingang bewachten eine verdorrte Palme und ein Springbrunnen. Im Fenster standen Bronzen, die ich nicht zuordnen konnte, im Inneren konnte ich einige Stiche von Victor Brauner erkennen, aus dem Alterswerk, von denen ich wusste, dass sie von Upiglio in Mailand gedruckt worden waren, dazu ein paar ganz hübsche handkolorierte Stiche von Sonia Delaunay.

      Ein Glöckchen am Eingang meldete mein Eintreten. Hinter einem Empire-Schreibtisch saß eine Frau und schrieb. Sie hob den Kopf und nahm die Brille ab. Es roch nach Hamamelis-Parfüm. Kann ich Ihnen helfen? Bekannte haben mir gesagt, Sie hätten ein Aquarell von Klee zu verkaufen, aus dem Jahr 1921. Ich würde es gern sehen. Schweigend betrachtete sie mich einen Augenblick lang, wie um abzuschätzen, ob ich als Kunde oder nur aus Neugierde gekommen war. Dann sagte sie mit starkem deutschen Akzent: Ich habe es im Moment nicht hier. Sie müssten später noch einmal vorbeischauen. Wir verabredeten uns für den frühen Nachmittag des folgenden Tages. Ich dankte ihr und verabschiedete mich. Von draußen sah ich, wie sie einen Moment inne hielt. Dann beugte sie sich wieder über ihre Papiere.

      Mich wiederzusehen überraschte sie, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ. Folgen Sie mir, sagte sie. Ihr Auftreten machte sie attraktiv, ich wusste genau, was es war: Selbstbewusstsein. Sie tippte eine Nummer auf der Tastatur des Telefons – wohl ein Sicherheitscode, der sie mit einem Wachdienst verband –, nahm aus einer Schublade einen Schlüssel und öffnete damit eine Tapetentür hinter sich. Sie führte mich in einen kleinen Lagerraum voller Regale, in denen Bilder wie Bücher in einer Bibliothek aufgereiht waren. In einer Ecke stand eine Staffelei und auf ihr, von einem Spot angestrahlt, war der Klee, den ich suchte. Wie Sie sehen, habe ich Sie erwartet. Aber ich weiß nicht, ob ich verkaufen will. Das hängt vom Preis ab, nehme ich an. Nein, vom Käufer. Es kam mir vor, als sei ihre Stimme plötzlich hart geworden.

      Darf ich es mir ein bisschen näher ansehen, fragte ich. Sie presste die Lippen zusammen, erlaubte es aber. Ich nahm das Bild in die Hand. Es war großartig. Um das Eis zu brechen, sagte ich: Wenn ich es kaufe, kann ich es bar in Schweizer Franken zahlen oder mit einer Überweisung auf Ihre Hausbank, ganz wie Sie möchten. Sie fixierte mich, ohne zu antworten. Natürlich müssten Sie mir die Expertisen zeigen, auch wenn ich sie, ehrlich gesagt, so wie ich das Bild einschätze, gar nicht bräuchte. Sie verzog das Gesicht, vielleicht war es ihre Art zu lächeln, dann sagte sie leise, das Bild gehört meiner Familie schon immer, praktisch von dem Tag an, an dem es entstanden ist. Ich sah sie neugierig an. Sie fuhr fort: Er schenkte es meiner Großmutter, als er am Bauhaus unterrichtete. Sie bewunderte ihn. Sie erzählte immer wieder, er sei ein Mann gewesen, der nur für die Wahrheit und die Schönheit gelebt habe. Sie war seine Schülerin im Kurs für … wie sagt man das auf Italienisch, sie suchte nach Wörtern, Glasmalerei und Weben? Irgendwo habe ich auch noch ein Foto von ihr, wie sie Klee beobachtet, während er das Bild vollendet. Ihre Großmutter war am Bauhaus in Weimar? Das ist eine lange Geschichte, sagte die Frau, und sah mir in die Augen. Wenn ich mich entscheide, es zu verkaufen, und Sie es kaufen wollen, erzähle ich sie Ihnen vielleicht.

      Wir diskutierten ein wenig über den Preis, ich war aber nicht bei der Sache. Mich beschäftigte, was sie erzählt hatte. Sie war ungefähr in meinem Alter und noch gut in Form. Ich lud sie zum Essen ein. Ich wollte den Abend nicht allein an einem Tisch im Schweizerhof verbringen, wo ich abgestiegen war. Wenn Sie es verkaufen wollen, nehme ich es sofort, und wir können uns später sehen – schlagen Sie ein Restaurant vor, Sie kennen sich hier aus. Sie dachte lange darüber nach, während sie die Dinge auf ihrem Schreibtisch ordnete. Den Kaufpreis zahlen Sie auf mein Konto bei der Credit Suisse ein, in der Filiale hinter dem Postamt. Sie seufzte, fixierte mich noch einmal, dann hatte sie sich entschieden: Zum Essen kommen Sie lieber zu mir, ich schreibe Ihnen die Adresse und die Telefonnummer auf, falls Sie es sich noch anders überlegen. Ich wohne ganz in der Nähe. Und zwar, wie ich dann feststellte, in der Gasse Contrada Maggiore, in einem roten Häuschen mit einem alten Marmorspringbrunnen in der Ecke des kleinen Atriums, über und über geschmückt mit Vasen voller Geranien und Orangenbäumchen. Sie versorgte die Blumen, die ich mitgebracht hatte, und bot mir ein Glas Madeira an. Ich habe eine Tessiner Spezialität für Sie vorbereitet. Früher habe ich sehr gern gekocht, aber in letzter Zeit hatte ich kaum mehr Gelegenheit dazu. Es gibt geschmortes Zicklein, dazu Kastanien-Quenelles mit Waldkräutern.

      Das Haus war voller Erinnerungen, Bücher und Schwarzweiß-Fotografien. Große Werke sah ich nicht, aber alle trugen sie liebevolle Widmungen. Im Wohnzimmer, neben einem weißen Sofa, standen zwei Exemplare des berühmten Stahlclubsessels von Marcel Breuer. Das Leder war alt und hier und da lag auf dem Metall leichter Rost. Das sind Prototypen, sagte sie, meine Großmutter hatte sie auf ihrer Bude – und jetzt stehen sie hier. Ich nahm die Gelegenheit wahr, sie nach ihrer Großmutter zu fragen, erzählen Sie, sagte ich, Sie haben es mir versprochen. Sie lächelte.

      Sie hieß Hannah, aber die Studenten des Bauhauses gaben ihr einen Spitznamen: »Die rote Köchin«. Von ihr habe ich Kochen gelernt, sagte sie und trank einen Schluck Wein, und die Liebe zur Kunst geerbt. Sie ist 1956 in Russland gestorben, sagte sie dann abrupt. Jedenfalls vermuten wir das. Sie war Spartakistin. Als der Ungarnaufstand ausbrach, stieß sie zu ihren alten Genossen, die wieder eine Zelle gegründet hatten. Aber sie wurde verraten, vom KGB festgenommen und nach Moskau verschleppt. Da verlieren sich die Spuren. Wir versuchen immer noch, mehr über ihr Schicksal zu erfahren, doch die neuen Herren im Kreml sind schlimmer als die alten. Es folgte ein bedrückendes Schweigen.

      Draußen hatte es zu regnen begonnen, die gelben Lampen des Rathauses

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