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die Lachmuskeln sich spannten. Sie lachte erleichtert auf und ließ etwas von dem Geburtstagsstress ab.

      Ida Marie nahm eine neutrale Stimme an.

      »In Schweden kennt man so etwas natürlich nicht. Dort haben wir die schwedischen Männer.«

      Der Kommentar löste Gelächter an den Nachbartischen aus.

      »Manche Frauen behaupten, so ein Ding einem Mann vorzuziehen«, sagte Anne freundlich. »Es soll weniger Mühe machen. Wie man so sagt.«

      »Wie man so sagt«, wiederholte Dicte und merkte, wie sie ihre Fassung zurückgewann. »Soll das heißen, ihr habt ihn nicht einmal ausprobiert?«

      Anne machte erst ein dummes Gesicht, dann gewann ihre praktische Natur die Oberhand.

      »Du kannst ihn umtauschen«, sagte sie ernst. »Wenn du mit dem hier nicht zufrieden bist, kannst du dir auch einen holen, der wie ein Handy aussieht.«

      Dicte steckte den Dildo schnell zurück in die Schachtel.

      »Nun gut, danke für das Geschenk«, murmelte sie und vermied es, den beiden in die Augen zu sehen. Stattdessen wanderte ihr Blick zu der Blumenhändlerin an der Ecke hinüber, und sie ärgerte sich, dass sie ihr nicht einfach einen Blumenstrauß gekauft hatten. Sie sah sich die Leute an, die an diesem Septembertag unterwegs waren. Ein Inlineskater schlängelte sich zwischen den Eltern von Kleinkindern und den Eis essenden Teenagern durch. Alles sah ganz normal aus, aber der Schein trog. War sie nicht gerade vierzig geworden? Und war der unerwünschte Geburtstag nicht auf denselben Tag wie die letzte Unterschrift in ihrer Scheidungssache gefallen? Und als Krönung und Betonung ihres neuen – und unerwünschten – Singledaseins bekam sie einen Dildo als Geburtstagsgeschenk!

      Genau in diesem Moment hörte sie den Laut vom Fluss, direkt unterhalb der Stelle, wo sie saßen. Mit Annes und Ida Maries Stimmen im Hintergrund erreichte er sie plötzlich und erinnerte sie an den Tag vor vielen, vielen Jahren, als sie als Kind einen Plastikeimer in den Hofbrunnen hinuntergelassen hatte, der nahezu bodenlos und verbotenes Terrain war. Nur um hinterher ihre erste Ohrfeige zu kassieren.

      Vielleicht vergaß sie deshalb alles über Dildos und Scheidungen und Freundinnen, für die man sich schämen musste.

      Sie stand auf. Ging die paar Schritte zum Ufer und sah in das morastig grüne Wasser hinunter. Horchte wieder. Kniff im Sonnenlicht die Augen zusammen und spürte mit dem Schaukeln des Wassers den Abstand zu damals.

      Dann fiel ihr Blick auf die blaue Plastikwanne, die auf dem Wasser schaukelte. Ganz nahe am Ufer, vielleicht von der Strömung dorthin getrieben. Und dann sah sie das Gesicht, teilweise unter einem Handtuch versteckt. Klein und bleich und mit geschlossenen Augen.

      Lange Zeit starrte sie nur, während der Schürflaut zu einem unwirklichen Geräuschteppich wurde. Dann schien ihr Körper aufzutauen, und sie spürte den unmöglichen Drang, das Bündel in die Arme zu schließen. Es zu beschützen. Seine weiche Haut an ihrer Wange zu spüren und ihm Leben einzuhauchen, es warm, satt und zufrieden zu machen. Instinkt, das wusste sie, und wunderte sich. Nach so vielen Jahren.

      »Ein Kind«, hörte sie ihre eigene Stimme, fern und zitternd wie der Ton eines schlechten Tonbandgeräts.

      Sie merkte, dass sie den Atem angehalten und die Luft erst mit den Worten herausgelassen hatte.

      »Da unten liegt ein Kind.«

      Sie zeigte auf das trübe Wasser.

      2.

      »Svendsen?«

      »Kaiser«, murmelte Dicte in den Hörer und griff automatisch nach dem Kugelschreiber. Stütze. Unsicherheit. Ihre Analyse erfolgte automatisch. Hin und wieder verwünschte sie ihr Psychologiestudium, auch wenn sie es nur zur Hälfte absolviert hatte.

      Der Nachrichtenredakteur schien über das Telefon hören zu können, dass man besser nicht an ihr herummäkelte. Und genau deshalb tat er es, denn so war er nun mal. Wie die meisten Redakteure überall auf der Welt, dachte sie. Diese Art Menschen wurde mit einem besonderen Redakteursgen geboren, das sie dazu befähigte, Journalisten nervös zusammenzucken zu lassen und Fragen zu stellen, die vorzugsweise mit höchstens drei präzisen Worten beantwortet werden sollten. Mit Kaiser sprach man in der Regel in Zeitungsüberschriften.

      »Wie ich gehört habe, warst du schwimmen.«

      Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Der Kugelschreiber begann nahezu von selbst, Kringel auf den Block zu malen.

      »Was hast du gehört?«

      »Etwas über einen Moses auf dem Århus.«

      Sie hatte nicht die geringste Ahnung, woher er es wusste. Aber es überraschte sie auch nicht. Otto Kaiser war, wollte man den Gerüchten Glauben schenken, mit einem sechsten und siebten Sinn ausgestattet, was Sensationen und die Kunst anging, den wunden Punkt eines Menschen zu treffen.

      Sie selbst hatte das erst einige wenige Male zu spüren bekommen. Aber das reichte ihr, und seitdem hatte sie, wann immer es möglich war, einen großen Bogen um den Nachrichtenjournalismus gemacht. Um Kaisers Domäne. Der Umzug nach Århus hatte zu ihrer großen Zufriedenheit den Abstand noch vergrößert, ein kleiner Nebengewinn ihres Entschlusses. Der Hauptgewinn war natürlich, dass Torsten nicht länger einfach so vorbeischauen konnte.

      »Ich hatte nicht viel damit zu tun«, sagte sie zögernd.

      Der Kugelschreiber malte ein Gesicht, während sie nachdachte. Dreieckige Form, dunkle Augen, Schnauzbart. Kaiser.

      »Ich habe etwas anderes gehört«, insistierte die Stimme honigsüß. »Ein Vögelchen hat mir erzählt, dass du den kleinen Moses entdeckt und dich wie ein Labrador in den Fluss gestürzt hast. Du hättest eine Heldin werden können, Svendsen. Ein Jammer, dass es zu spät war«, fügte er boshaft hinzu.

      »Wenn du das so sehen willst«, sagte sie und fügte der Zeichnung etwas Körperähnliches hinzu. Lang und gewandt und dynamisch. Unvorhersehbar. »Ich weiß nicht mehr. Das Kind war tot. Der Krankenwagen kam schnell, und die Polizei hat sich um alles Weitere gekümmert. Das war’s.«

      Indem sie es sagte, war sie sich sehr wohl bewusst, wie grob sie das Gesetz der Journalistenwelt verletzte, an die sie sich wohl nie gewöhnen würde. Eine gute Story musste von hinten und von vorne erzählt werden. Und natürlich war hier mehr zu holen. Sehr viel mehr. Diese Geschichte bot Stoff für einen ganzen Fortsetzungsroman.

      »Also dann, ich muss mich beeilen«, versuchte sie es. »In einer halben Stunde muss ich einen Artikel in der Wirtschaftsredaktion abliefern.«

      Letzteres fügte sie in dem Versuch hinzu, Kaiser auf seine eigenen Nachrichtenreporter zu verweisen und nicht Leute in der Wirtschaftsredaktion zu klauen, wo sie arbeitete. Es war der übliche Kleinkrieg.

      »Ich habe mit Mikkelsen gesprochen«, sagte Kaiser listig. »Und er hat dich freundlicherweise für eine Woche ausgeliehen, weil Seifert in Urlaub ist und Davidsen mit der Rockersache in Randers zu tun hat.«

      Dicte spürte, wie die Welt sich gegen sie verschwor. Allein bei dem Gedanken, zu Kaisers Regiment von Nachrichtensoldaten zu gehören, brach ihr der Schweiß aus. Für viele war das ein Traumjob, das wusste sie. Aber nicht für sie. Sie blieb am liebsten für sich, schrieb ihre kleinen Artikel über Wirtschaftspsychologie und machte hin und wieder ein langes und langweiliges Interview mit einem Manager.

      »Ich bin keine Nachrichtenjournalistin«, wandte sie ein, aber das beeindruckte ihn nicht.

      »Wir brauchen einen Anreißer für die Titelseite. Die Leser wollen wissen, was, wie und wann.«

      Sie konnte ihn nahezu vor sich sehen, wie er hinter seinem Schreibtisch saß, die Rückenlehne des Stuhls in fast waagerechter Position, den Telefonhörer unter dem Kinn und die Tastatur des PCs auf dem Schoß, während die Agenturmeldungen von Ritzau liefen. Vielleicht hatte er die Schublade aufgezogen. Kaiser war immer auf Diät, versteckte jedoch oft einen Teller mit einem Stück Kuchen in der Schublade. Am liebsten Schokoladenkuchen.

      »Und eine Reportage auf

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