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Overhoff hob die Schultern, ließ sie mit einer resignierten Gebärde fallen. »Bitte, entlasten Sie mich! Sie dürfen mich gern für einen Schwächling halten. Aber ich habe keine Kraft mehr … weder Kraft noch Sicherheit.«

      Er versuchte seine Hände ruhig zu halten, aber Dr. Schumann war es nicht entgangen, daß sie flatterten wie die Hände eines sehr alten Mannes.

      Astrid Schumann kauerte in dem Sessel am Kamin und blätterte in einer Illustrierten. Sie hörte das Klingeln der Haustürglocke, aber sie dachte nicht daran, aufzustehen. Es war die Aufgabe Fannys, der jungen Hausangestellten, die Tür zu öffnen.

      Kurz darauf trat Astrids Schwester Kirsten ein – sehr schick in einem kleinen hellblauen, frühlingshaften Kostüm.

      »Fein, daß du da bist«, rief Kirsten munter, lief auf die Schwester zu, küßte sie zärtlich auf beide Wangen, »und gut siehst du aus! Dieser Hausanzug ist ja ganz prachtvoll … reine Seide, wie?«

      »Ja«, erwiderte Astrid und änderte unwillkürlich ihre Haltung, um den honiggelben, schimmernden Hausanzug besser zur Geltung zu bringen. »Aber du bist doch nicht extra deshalb gekommen, um mir Komplimente zu machen?«

      Kirsten lachte. »Natürlich nicht. Ich war zufällig ganz in der Nähe, da kam ich auf die Idee … du bist mir doch hoffentlich nicht böse, daß ich dich so überfalle?«

      »Unsinn. Aber wenn du früher gekommen wärst, hätten wir zusammen Tee trinken können.«

      »Danke. Ich habe schon.« Kirsten zog ihre hellgrauen Lederhandschuhe aus, trat an das Feuer und wärmte sich die Hände an den Flammen. »Eigentlich hatte ich gar nicht damit gerechnet, dich zu Hause anzutreffen …« Sie machte eine Pause, und erst als Astrid nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Ich dachte, du seiest noch auf der Beerdigung.«

      »Nein«, sagte Astrid kurz.

      »Dein Mann muß aber wohl jeden Moment kommen.«

      »Das weiß ich nicht.«

      Kirsten drehte sich um und sah ihre Schwester an. »Aber du mußt doch wissen, ob …« Sie unterbrach sich, fragte bestürzt: »Ist etwas nicht in Ordnung mit euch?«

      »Nichts ist in Ordnung, wenn du es genau wissen willst …«

      Astrid nahm einen letzten Zug aus ihrer Zigarette und warf den Stummel in weitem Bogen ins Feuer. »Wir sprechen seit Tagen nicht mehr miteinander.«

      »Ach!« Kirsten war so schockiert, daß sie einen Augenblick lang einfach nicht wußte, was sie sagen sollte.

      »Aber … ich meine«, brachte sie endlich heraus, »liebt er dich denn nicht mehr?«

      »Was ein Mann schon unter Liebe versteht!« antwortete Astrid bitter.

      Kirsten sah sie verständnislos und mit erstaunten Augen an.

      »Ich habe gewußt … ich war ja kein Kind mehr … daß die Männer immer nur das eine wollen«, sagte Astrid mühsam; »aber ich habe gedacht … ich hatte so gehofft … daß das in der Ehe anders sein würde. Es gibt doch tiefere Bindungen, geistig-seelische Beziehungen, die wichtiger sind als das Körperliche.«

      Kirsten runzelte die Stirn. »Ist er dir … so zuwider?« fragte sie und errötete über ihre eigene Frage.

      »Natürlich nicht. Dann hätte ich ihn doch nicht geheiratet.«

      »Aber …?«

      »Er quält mich mit seinem ewigen Begehren«, sagte Astrid verzweifelt; »kannst du das denn nicht verstehen? Ich spüre ja deutlich, daß er gar nicht mich will, sondern immer nur … das Kind!«

      »Aber das ist doch gerade der Beweis seiner Liebe!«

      »Ach, Kirsten«, seufzte Astrid und nahm sich eine neue Zigarette; »was hat es für einen Zweck, mit dir darüber zu reden. Du weißt nicht, wie das ist. Wenn man jeden Monat immer wieder voller Angst darauf wartet, ob man auch seine Tage bekommt … wenn man sein Gesicht im Spiegel betrachtet, voller Furcht, eine Veränderung zu entdecken … sein Gewicht prüft, ob der Leib nicht vielleicht schon schwerer geworden ist …es ist grauenhaft.«

      »O doch, das kenne ich«, sagte Kirsten mit gepreßter Stimme; »nur umgekehrt. Ich warte jeden Monat wie du … nur mit verzweifelter Hoffnung statt mit Angst. Und werde wieder, immer wieder enttäuscht. Wenn mein Mann zu mir kommt … du bist die einzige, mit der ich darüber spreche … es ist entsetzlich, ich kann mich nicht mehr richtig entspannen, kann nichts mehr empfinden, muß immer nur denken, denken, denken. Wird es diesmal klappen? Haben wir alles richtig gemacht? Habe ich mich nicht verrechnet?« Sie schluckte schwer. »Eigentlich bin ich nur gekommen, um Rainer zu bitten, mich bei Professor Overhoff anzumelden …«

      »Ich würde liebend gern mit dir tauschen«, sagte Astrid.

      »Nein, das würdest du nicht. Niemand hilft dir, wenn du ein Kind haben willst … aber ein Kind zu verhüten gibt es Hunderte von Mitteln.« Kirsten sah ihre Schwester an.

      »Sag mal, hast du das noch nie versucht?«

      »Ich weiß nicht …«, sagte Astrid unbehaglich.

      »Aber du solltest es tun!Oder willst du deinen Mann verlieren?«

      »Natürlich nicht!«

      »Es wird soweit kommen, wenn du so weitermachst. Du mußt etwas unternehmen. Wenn du dich nicht überwinden kannst, ein Kind zu empfangen …«

      »Nur das nicht!«

      »Dann mußt du den anderen Weg gehen. Ich habe so viele Bücher gelesen, daß ich inzwischen Expertin geworden bin. Willst du meinen Rat haben? Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und ich erzähle dir alles, was ich weiß …«

      Astrid tat einen tiefen Atemzug, der fast wie ein nervöses Schluchzen klang. »Ja«, flüsterte sie, »bitte … sag es mir!«

      3

      Die Patientin Evelyn Bauer wand sich stöhnend auf dem Entbindungslager. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, die Augen krampfhaft geschlossen. Ihr junges Gesicht war vor Schmerz verzerrt, das blonde Haar von Schweiß verklebt, Sie merkte nicht, daß der Arzt, gefolgt von Schwester Edith, das Zimmer betreten hatte.

      Aber die Hebamme zeigte durch ihr spontanes Aufspringen, wie sehr sie auf ihn gewartet hatte. Sie kam Dr. Schumann entgegen: »Eine achtzehnjährige Erstgebärende am Termin«, berichtete sie hastig. »Die Wehen waren bis jetzt regelmäßig, die Fruchtblase ist vor einer halben Stunde gesprungen. Muttermund bis auf den Saum vollständig. Aber die kindlichen Herztöne sind seit zwei Wehenpausen schlecht. Wechselnd zwischen 80 bis 88 in der Minute …«

      Mehr noch als diese nüchternen Worte verriet der Gesichtsausdruck der Hebamme große Sorge. Fräulein Lieselotte Mager war zweiunddreißig Jahre alt, arbeitete seit zehn Jahren als Hebamme und war bekannt dafür, daß sie wirklich nur im äußersten Notfall einen Arzt zu Hilfe rief.

      »Die Patientin ist verkrampft«, sagte sie; »sie atmet nicht richtig. Ich habe alles versucht, aber sie stirbt fast vor Angst.«

      »Keine Schwangerschaftsgymnastik?« fragte Dr. Schumann, doch es klang eher wie eine Feststellung.

      »Sie hat ihren Zustand fast bis zuletzt verborgen gehalten«, flüsterte die Hebamme; »sie ist nicht verheiratet.«

      »Noch nicht«, sagte Dr. Schumann, denn er kannte Evelyns Geschichte.

      Evelyn Bauer war Oberschülerin, Tochter eines angesehenen Geschäftsmannes. Sie hatte sich in den Chauffeur ihres Vaters verliebt und zu ihm gehalten gegen den Widerstand ihrer Eltern auch dann noch, nachdem der junge Mann entlassen worden war. Weil der Vater mit Anzeige gegen ihren Freund drohte, hatte sie es nicht gewagt, die Wahrheit zu gestehen. Dann, als alles herauskam, zeigten sich die Eltern weit großzügiger, als Evelyn befürchtet hatte. Sie verziehen ihr und stimmten einer Heirat zu – erst aber sollte das Kind auf die Welt kommen.

      Dr. Schumann beugte sich

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