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wäre es mir, wir könnten den Vater erreichen. Ich beunruhige eine Frau, die eben eine Geburt hinter sich gebracht hat, nicht gern.«

      Eine halbe Stunde später war es soweit. Winzig und nackt lag das Neugeborene im hellen Licht der Operationslampe, von Wärmflaschen umgeben. Es hatte nicht die leiseste instinktive Ahnung von der tödlichen Gefahr, in der es schwebte, und saugte selbstverloren an einem Schnuller, den Schwester Edith ihm in den Mund gesteckt hatte.

      Dr. Schumann wusch sich inzwischen draußen im Vorraum die Hände, gründlich, wie zu einer großen Operation. Er hatte mit Herrn Weyrer, einem Bankkaufmann, telefoniert. Er hatte seine Worte vorsichtig gewählt, um dem jungen Vater keinen Schock zu versetzen.

      Frau Dr. Holger befand sich schon im Operationssaal und überwachte die letzten Vorbereitungen. Eine junge Schwester half Dr. Schumann in den grünen Operationskittel, reichte ihm die Gummihandschuhe. Das Kleine lag immer noch friedlich, mit geschlossenen Augen. Man hätte glauben können, es schliefe – wären nicht die Saugbewegungen des Mündchens gewesen.

      »Desinfizieren«, befahl Dr. Schumann kurz.

      Schwester Edith bestrich das Gebiet um den Nabel sorgfältig mit Sepso-Tinktur, deckte den nackten Körper des Kindes bis auf das Operationsgebiet mit sterilen Tüchern ab. Dann reichte sie Dr. Schumann das Skalpell.

      Vorsichtig schnitt der Arzt ein Stückchen des Nabelschnurrestes ab. Die Nabelblutgefäße waren deutlich zu sehen. Sehr zart und behutsam schob er den Kunststoff-Katheter durch die Nabelvene in den Körper des Kindes. Plötzlich schoß Blut heraus. Die Spitze des Katheters war bis in die große Nabelvene vorgedrungen.

      »Vetren!«

      Die Schwester gab ihm die Spritze mit Vetren, einem Präparat, das die Blutgerinnungsfähigkeit vorübergehend herabsetzt. Er injizierte es durch den Katheter. Als er 4 ccm gespritzt hatte, gab Frau Dr. Holger der Schwester ein Zeichen. Schwester Edith reichte Dr. Schumann das Anschlußstück der Dreiwegehahnspritze. Er setzte es auf den Katheter, befestigte es mit Fäden, schloß die Rotandaspritze an.

      Der eine Schlauch dieser Spritze, die drei verschiedene Zu- beziehungsweise Abgänge hatte, wurde von Schwester Edith an einen hochhängenden Glasbehälter, in dem sich das Spenderblut befand, angeschlossen.

      Nun erst konnte der eigentliche Blutaustausch beginnen. Ganz langsam ließ Dr. Schumann 20 ccm Blut durch den Katheter einfließen, schaltete um und zog 20 ccm des kranken Blutes aus der Vene des Kindes heraus, das in einem anderen Glasgefäß aufgefangen wurde. 800 ccm mußten auf diese Art ausgetauscht werden.

      »Wie geht es dem Kleinen?« fragte er von Zeit zu Zeit.

      »Gut«, erwiderte Frau Dr. Holger. »Es saugt am Schnuller. Atmung und Puls normal.«

      Unendlich langsam vergingen die Minuten. Nach ein und einer halben Stunde war über die Hälfte des Blutes ausgetauscht. In dieser Zeit hatte Frau Dr. Holger dreimal Calcium gespritzt.

      Plötzlich sagte Schwester Edith erschreckt: »Das Kind atmet nicht mehr richtig!«

      Dr. Schumann warf einen raschen Blick auf das Gesicht des Kleinen, das halb von den Tüchern verdeckt war. Es hatte sich bläulich verfärbt.

      »Lobelin!« befahl er. »Ein Kubikzentimeter!«

      Mit geübten Händen zog Schwester Edith die Spritze auf, Frau Dr. Holger nahm sie ihr aus der Hand, spritzte den Inhalt in den Arm des Kindes. Ein paar bange Sekunden lang schien jede Wirkung auszubleiben. Dann ging die bläuliche Verfärbung zurück, die Haut des Kleinen war auch nicht mehr so dunkelgelb wie zu Anfang, sondern hatte einen rosigen Schimmer angenommen.

      Dr. Schumann atmete auf.

      Eine Stunde später war der Kampf um dieses fast schon verlorene junge Leben gewonnen.

      Dr. Schumann nahm die Dreiwegehahnspritze vom Katheter ab, als Dr. Gerber das Operationszimmer betrat.

      »Hallo«, grüßte er, »Ablösung erwünscht?«

      »Nicht mehr«, erwiderte Dr. Schumann, ohne die Augen von seiner Arbeit zu heben, »wir haben es schon geschafft.«

      »Schönes Gefühl, wie?« Dr. Gerber rieb sich die Hände. »Langsam mußt du dich ja für den lieben Gott persönlich halten.«

      »Nicht ganz«, sagte Dr. Schumann. Er zog mit äußerster Vorsicht die Hohlnadel aus der Bauchvene des Kindes. »Ich hätte dir diesen Eingriff liebend gern überlassen, Kollege. Ich hatte heute abend eigentlich etwas Besseres vor.«

      »Ärzteschicksal«, erklärte Dr. Gerber nicht ohne leise Genugtuung. Er folgte Dr. Schumann, der die weitere Versorgung des Kindes der Ärztin und den Schwestern überließ, in den Waschraum.

      Dr. Schumann hatte beide Hähne über dem Waschbekken aufgedreht und ließ sich das heiße Wasser über die Hände laufen.

      »Warum hast du das Unglückswürmchen nicht zur Kinderklinik überweisen lassen?«

      »Du weißt doch, wie die drüben sind … die hätten sich bestimmt nicht auf unsere Laboruntersuchungen verlassen, sondern neue angefertigt und mindestens eine Stunde Zeit verloren. Das konnte ich nicht riskieren.«

      »Verstehe.« Dr. Gerber stand gegen das Waschbecken gelehnt und sah an Dr. Schumann vorbei. »Sag mal, hast du heute mit dem Alten gesprochen?«

      »Ja.«

      »Na und? Was hattest du für einen Eindruck von ihm?«

      »Es hat ihn sehr mitgenommen.«

      »Wenn du ihn auf dem Friedhof gesehen hättest …«

      Dr. Schumann schlüpfte aus seinem Kittel, warf ihn zu Boden, krempelte sich die Hemdsärmel herunter, zog sich die Jacke an.

      »Armer alter Knabe«, sagte Dr. Gerber. »Warum sitzt er hier herum? Zur Arbeit ist er im Augenblick ja doch nicht zu gebrauchen. Ich an seiner Stelle nähme mir jetzt erst einmal einen Urlaub.«

      »Wo soll er denn hin?« Dr. Schumann rückte sich vor dem Spiegel die Krawatte gerade und fuhr sich mit der Hand glättend über das dichte braune Haar. »Nach Hause etwa? Das ist wahrscheinlich mehr, als er vertragen kann.«

      »Tja, er kann einem fast leid tun.«

      »Fast? Mir tut er leid!« Dr. Schumann steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, Dr. Gerber reichte ihm Feuer.

      »Obwohl es seine ureigene Schuld war?« fragte er. »Obwohl er bei der Konstitution seiner Frau befürchten mußte, daß sie die Operation nicht übersteht? Obwohl eine medizinische Indikation für die Schwangerschaftsunterbrechung durchaus gegeben gewesen wäre?«

      Dr. Schumann zuckte die Achseln. »Nun laß doch«, wehrte er ab, »dieses Thema haben wir inzwischen schon zu Tode geritten.«

      »Ich will dir doch nur klarmachen«, sagte Dr. Gerber und begleitete ihn zur Tür, »daß ich … so tragisch die Sache natürlich ist … diesen Schock geradezu für heilsam halte. Wenn der Alte nicht ganz in Selbstgerechtigkeit versteinert ist, muß der Tod seiner Frau ihn wachrütteln!«

      Nach einer kleinen Pause, während der sie schweigend durch den jetzt nur noch spärlich beleuchteten Gang gingen, fügte Dr. Gerber hinzu: »Und dich auch!«

      Dr. Schumann blieb stehen, rief ärgerlich: »Sag mal, was willst du eigentlich von mir? Ich habe einen verdammt anstrengenden Tag hinter mir! Vielleicht erinnerst du dich daran, daß ich seit heute früh im Dienst bin. Eigentlich könntest du ruhig ein bißchen Verständnis zeigen, statt mich mit unbegründeten Anschuldigungen zu bewerfen!«

      Aber Dr. Gerber gab nicht nach. »Was ich dir klarmachen will … und ich werde das nicht aufgeben, bis du mich eines Besseren belehrt hast … ist doch einfach: Wir sind Frauenärzte. Wir können unser Berufsziel nicht einzig und allein darin sehen, Kindern auf die Welt zu helfen, sondern wir müssen den Frauen selber helfen! Begreifst du das denn nicht?«

      »Ich tue nichts anderes.«

      »Das sagst du! Aber tatsächlich stehst

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