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arbeitet, und Hans lange Zeit immer Gitterstäbe sind.

      Dieses Getrenntsein soll ab dem 2. Februar 1981 ein Ende haben. Hans Reger darf aus dem »Keller« wieder in die Hofgruppe, die ihm größere Freiheiten ermöglicht. Die Erwartungen sind groß, erst recht nach dem letzten Brief seiner Geliebten. Der ist mit sexuellen Anspielungen, mit gezeichneten Symbolen und der Beschreibung von Träumen gespickt und mit dem Satz abgeschlossen: »Ich halte es kaum noch aus.«

      Hans Reger hält es auch »kaum noch aus«. Die Verliebten nutzen die neu gewonnene Bewegungsmöglichkeit und streben unbeirrt das Kesselhaus der Anstalt an. Unter den Klinikinsassen ist es bekannt als Ort, an dem man ungestört kuscheln kann. Hans und Hanna küssen sich, sie lässt sich an die Brust fassen, die er mit Genuss tätschelt, und als Hanna ihre Hosen an den Beinen herunterrutschen lässt, streichelt er seine »Ehefrau« zwischen den Schenkeln. Zum Geschlechtsverkehr kommt es nicht, der soll, wie besprochen, erst nach der Entlassung aus der Nervenklinik in romantischer Umgebung vollzogen werden. Hans Reger ist dennoch glücklich, dass er sich mit seinem Mädchen richtig treffen kann und sie ihm mit der begrenzten Hingabe zeigt, dass sie sich wirklich nach ihm sehnt und ihn liebt. Reger glaubt, dass die intimen Anspielungen auf dem Briefpapier schon sehr bald und auch hinter Klinikmauern Wirklichkeit werden könnten.

      Zufrieden verabredet sich das Paar für den nächsten Tag. Hans Reger holt seine Hanna um 13 Uhr von ihrer Arbeit in der Diätküche ab. Sie trinken Kaffee und sind bis 14 Uhr zusammen. Während Hanna frei hat, muss Hans noch bis 15.45 Uhr arbeiten und dann sofort nach Arbeitsschluss im Zimmer seines Klinikhauses sein. Er bittet die Arbeitstherapeutin, schon um 15 Uhr gehen zu können. Die aber lehnt ab. Es gelingt ihm trotzdem, etwas früher zu verschwinden. Bereits beim Abholen zum Kaffee war Reger nach dem aufreizenden Zusammensein am Vortag eine merkwürdige Zurückhaltung seiner Geliebten aufgefallen. Sie war still und reserviert, irgendwie verändert. Und sie bleibt es. Er kann sich ihr Verhalten nicht erklären, zumal sie auf seine drängenden Fragen keine Antworten gibt. Woher soll er wissen, was anderen bekannt ist: dass seine Hanna in der Vergangenheit öfter Beziehungen zu Männern angeknüpft hatte, die in geschlossenen Häusern untergebracht waren. So abgesichert konnte sie sexuelle Gedanken und Phantasien entwickeln, ohne sie in der Praxis erleben zu müssen, wie in einem ärztlichen Gutachten festgehalten ist. Offensichtlich habe sie Angst und Hemmungen, mehr als nur Küsschen, Händchenhalten oder Streicheln an intimen Stellen zuzulassen oder den Geschlechtsverkehr durchzuführen. So erklärt sich auch ihr Beharren darauf, die intimste Beziehung zwischen Frau und Mann erst außerhalb der Nervenklinik zu billigen.

      Dennoch: Hanna und Hans gehen am Nachmittag des 3. Februar 1981 gemeinsam ins Kesselhaus, das Liebesnest der Klinikinsassen. Beide aber mit unterschiedlichen Gefühlen und Absichten. Auf der einen Seite der Mann, der »scharf« ist auf die Frau. Er will die angestauten Bedürfnisse und Erwartungen durch die rege Briefliebe der Vergangenheit und das kurze Zusammensein am Vortag jetzt erfüllen. Er kann nicht warten bis zur Entlassung aus der Klinik, die noch gar nicht abzusehen ist. Er ist überzeugt, endlich die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Mit ihr will er zum Höhepunkt sexueller Beziehung gelangen. Er will nicht ewig weiter – wie fast immer in seinem bisherigen Mannesleben – sich durch Selbstbefriedigung einen Orgasmus verschaffen. Hanna Rose dagegen ist innerlich nicht bereit, zuzulassen und zu vollziehen, was sie in den vergangenen Monaten so sexy beschrieben hatte mit dem Verlangen nach dem Manne. Die Realität aber fürchtet sie, und die rückt hier, in dem Kesselhaus der Nervenklinik, für sie gefährlich nahe.

      In einem Nebenraum des Kesselhauses legt sich das Paar auf Salzsäcke, die dort für den Winterdienst gelagert sind. Das Liebesspiel beginnt wie am Vortag. Hans wird immer erregter und drängender, doch die Frau, die neben ihm liegt, ist viel passiver als zuvor. »Warum? Was ist los? Ich denke, du liebst mich, wir lieben uns?« Antworten bekommt er nicht von Hanna. Die Küsse erwidert sie noch, auch die Brust darf er anfassen. Als er jedoch mit einer Hand zwischen ihre Schenkel unter den Schlüpfer fährt, springt die von Hans so begehrte Frau plötzlich auf, ohne ein Wort von sich zu geben. Das Stoppzeichen, das sie damit setzt, ist allerdings nicht eindeutig genug. Will sie nicht, oder ziert sie sich nur? Man schmust weiter, und die Erektion des Mannes muss auch Hanna an ihrem Körper spüren. Ihre Reaktion auf sein Drängen nach Geschlechtsverkehr ist für Hans Reger schmerzhaft. Als er eine Hand der Geliebten an seinen geöffneten Hosenschlitz mit der freiliegenden Männlichkeit führt, fasst Hanna Rose zu – nicht liebevoll, sondern so energisch, dass der Schmerz der malträtierten Hoden ihm durch Mark und Knochen fährt. »Bist du verrückt, lass das«, stößt er hervor. Die Frau, die sich deutlich gegen den Geschlechtsverkehr entschieden hat, umklammert seine Hoden nur noch fester.

      Statt die deutliche Zurückweisung zu akzeptieren, schlägt Hans Reger der sexunwilligen Frau mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Wut, Schmerz und Enttäuschung bündeln sich in der Härte der Hiebe. Die Frau sackt zusammen und schlägt dumpf mit dem Kopf auf dem Boden auf. Der verhinderte Liebhaber scheint zur Besinnung zu kommen. »Hanna, was ist mit dir? Bitte schau mich an!« Auf sein Rütteln und Schütteln an Kopf und Armen gibt es keine Reaktion. Angst wegen der Misshandlungen paart sich nun mit Eifersucht und Wut darüber, dass Hanna Rose seine Zuneigung mit dem Hodengriff genauso abgewiesen hat, wie sie es schon zuvor bei anderen Männern getan haben soll. Er würgt sein Opfer mit beiden Händen und mit aller Kraft und transportiert es in eine Kuhle zwischen den Salzsäcken. Er zerfetzt wie von Sinnen die Kleidung der Frau, bis Ober- und Unterkörper vollständig entblößt sind. Wenn ich sie nicht habe, soll sie auch kein anderer bekommen, schießt es ihm durch den Kopf. Mit voller Wucht drückt Reger seine Knie auf ihren Bauch und manipuliert mit mehreren Fingern an und in ihrer Vagina. Voller Wut beißt er in ihre Brüste, in die Beine sowie ins Gesäß. Bei ihm kommt es dabei zum Samenerguss. Erst als Blut aus dem Mund des Opfers tropft, hält er inne. Er deckt Hanna, die auf dem Papier schon seine Ehefrau war, mit seinem Jackett ab, stürmt aus dem Kesselhaus und verlässt die Nervenklinik, ohne dass ihn jemand aufhält.

      Die Flucht von Hans Reger ist schnell beendet. Nur einen Tag später wird er von der Polizei aufgegriffen und zurück in die Nervenklinik gebracht. Eine Streife hatte ihn erschöpft und müde auf dem Gelände eines Holzhandelsbetriebs in Neuruppin überrascht. Er hatte sich ein Schläfchen gegönnt. Der Abend und die Nacht waren schließlich anstrengend gewesen – mit sechs Straftaten durch Einbrüche in Bungalows und in eine Gaststätte in Neuruppin. Neben Geld waren Zigaretten, Schnaps und Wein sein Beutegut.

      Zurück gebracht in die Nervenklinik, wird er nach dem Verbleib von Hanna Rose befragt. Die Liebschaft zwischen den beiden Sechsundzwanzigjährigen war nicht unbemerkt geblieben. Er gibt sich als Unschuldslamm, das von nichts etwas weiß.

      Hanna Rose wird erst am 7. Februar 1981 von einem Wärter in dem mit Salzsäcken gefüllten Nebenraum des Kesselhauses gefunden. Einen Tag später erlässt das Kreisgericht Haftbefehl gegen Hans Reger wegen Mordverdachts.

      Das Bezirksgericht Potsdam verurteilt ihn im November 1981 wegen Mordes und weiterer, von ihm während seiner Flucht begangener Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren. Hemmungslos habe der Angeklagte das Leben des Opfers ausgelöscht, um seine egoistischen Ziele durchzusetzen, heißt es in der Urteilsbegründung. Strafmildernd wirkt sich die bei ihm diagnostizierte leichte Debilität aus.

      Die Notwendigkeit für Festlegungen nach Verbüßung der Strafe sieht das Gericht nicht. Weiterer medizinischer Maßnahmen bedürfe es nicht, da schon bisher eine wesentliche Korrektur seines Verhaltens nicht erreicht werden konnte und Gleiches mit Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft zutreffen werde, lautet die fragwürdige Begründung.

      Hans Reger verbüßte seine Strafe in der Justizvollzugsanstalt Bautzen. Das dortige Kreisgericht lehnte im Februar 1991 eine vorzeitige Entlassung ab. Ein Gutachter des Sächsischen Krankenhauses für Psy-

      chiatrie war nach seiner Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass nach Verbüßung der Strafe eine Einweisung in ein geschlossenes psychiatrisches Pflegeheim dringend notwendig sei.

      Aufgelauert. Vergewaltigt. Ausgesetzt.

      Mittwoch, 27. Juni 1990, gegen Mittag

      An der Kreuzung einer Straße, die zwei Gemeinden im Kreis Finsterwalde, dem heutigen Elbe-Elster-Kreis, miteinander verbindet, steht am Rande eines abzweigenden Feldwegs ein weißer Mercedes. Der Fahrer

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