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Lothar Kahl wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Die Richter beziehen in ihrem Urteil die erhebliche Menge von Alkohol ein, die Kahl von Nachmittag an konsumiert hatte. Die vom Angeklagten genannte Trinkmenge mag überhöht erscheinen, so das Gericht. Dennoch sei von einer Blutalkoholkonzentration von drei Promille auszugehen. »Damit war zur Tatzeit die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Tuns einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ausgeschlossen.« Zumindest habe der Angeklagte die strafrechtlich relevante Grenze zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit hinüber zum Vollrausch sicher überschritten. Dass der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt die Absicht oder auch nur den bedingten Vorsatz gehabt hatte, das Opfer zu töten, habe die Hauptverhandlung nicht ergeben.

      Angewandt wird vom Gericht nicht das Strafrecht der DDR, sondern das für Vollrausch geltende mildere Recht der BRD, so wie es im Einigungsvertrag verankert ist. In dem heißt es, dass bei Straftaten, die vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten begangen wurden und erst danach abgeurteilt werden, das jeweils mildere Strafrecht angewandt werden müsse.

      Der rosa Riese

      Wolfgang Schmidt, geboren in Lehnin und aufgewachsen in einem kleinen Dorf nahe bei Beelitz im Land Brandenburg, ist ein verurteilter Totschläger und Mörder. Man darf seinen Namen gewiss nennen, denn er ist durch seine Taten eine relative Person der Zeitgeschichte geworden. Ohnehin dürfte der Allerweltsname Schmidt bei der Mehrzahl der Menschen in Deutschland kaum im Gedächtnis verhakt sein. Eher wohl sind ihnen zwei Pseudonyme geläufig: der »Rosa Riese« und die »Bestie von Beelitz«. Die Medien, allen voran die Boulevardpresse, haben sie geprägt. Wolfgang Schmidt hat im Zeitraum von knapp zwei Jahren sechs Menschen getötet und drei weitere schwer verletzt. Es war Glück, dass diese bei den Angriffen des Serienmörders mit dem Leben davonkamen.

      Den Beinamen »Rosa Riese« kann man durchaus als zutreffend bezeichnen, zum einen ob seiner Körpergröße von über 1,90 Metern und zum anderen wegen der Fetische, die er an den Tatorten hinterlassen hat: Damenwäsche, Höschen, Unterröcke, Büstenhalter, vorzugsweise in der Farbe Rosa und um seine Opfer drapiert. Doch sollte man von »Bestie«, einem Barbar, Scheusal, Unmensch, Bluthund reden? Und davon, dass nur die Todesstrafe, ein »Aufhängen« oder »Kopf kürzer«, als gerechte Strafe in Frage käme und dass die Verlobte das Baby unter ihrem Herzen, gezeugt von der »Bestie«, abtreiben müsse? Das jedenfalls fordern aufgebrachte Teile der Bevölkerung. Ein renommierter Psychiater der Freien Universität Berlin kam nach eingehender Untersuchung von Wolfgang Schmidt zu dem Schluss, dass der Mörder trotz auffälliger Persönlichkeitsstörungen strafrechtlich für seine Taten verantwortlich ist. Allerdings sei aus psychiatrisch-psychologischer Sicht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit anzunehmen.

      Was aber hat Wolfgang Schmidt zur »Bestie«, zum »Rosa Riesen« gemacht? Wären seine Verbrechen in diesem kaum zu ertragenden Ausmaß zu verhindern gewesen?

      Vielleicht. Vielleicht nicht. Die Antwort ist spekulativ. Bezüglich des Ausmaßes der Verbrechen wären sie es jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit gewesen.

      Die mörderischen Taten begannen im Oktober 1989, und sie endeten am 1. August 1991. Gesellschaftliche Strukturen in der DDR zerbröselten, auch die bei Polizei und Justiz. Spuren, die spätestens nach dem zweiten Mord auf ein gleiches Tatmuster hinwiesen, wurden nicht erkannt. So war es letztlich »Kommissar Zufall«, der zur Ergreifung des »Rosa Riesen« führte. Doch schon viel früher deutete manches auf Abnormes in der Entwicklung des Wolfgang Schmidt hin.

      Am 5. Oktober 1966 meldet Säugling Wolfgang in Lehnin mit einem Schrei sein Erdendasein an. Später wird die Familie in dem kleinen Dorf Rädel in der Nähe von Beelitz im DDR-Bezirk Potsdam sesshaft. Es ist beschaulich in dieser Gegend, in der es viele Wiesen, Wälder und Seen gibt und kleine Orte, wie eben Rädel einer ist. Drei Jahre nach ihm wird sein Bruder Jürgen geboren. Danach kommt ein weiteres Kind zur Welt. Wie alt seine Mutter bei seiner Geburt war, weiß er nicht. »Solche Daten behalte ich selten im Kopf«, sagt er nach seiner Verhaftung dem Psychiater.

      Der Familie geht es gut in ihrem Zuhause. Dass Mutter und Vater Arbeit haben, ist in der DDR nahezu selbstverständlich. Die Mutter ist Reinemachfrau in einem Kinderheim, der Vater Traktorist in der Landwirtschaft. Nach Feierabend ist zu Hause viel zu erledigen, zumal noch ein Garten zu bewirtschaften ist und Tiere zu versorgen sind. Mit Obst, Gemüse und den Kaninchen kann man gut verdienen, wenn man alles an den Handel veräußert. Erst recht, wenn man als Kleintierhalter Kaninchen »hinten« teuer verkauft und »vorn« an der Ladentheke für das geschlachtete Tierchen nur die Hälfte bezahlen muss. Das Geld für das abgelieferte Kaninchenfell gar nicht mitgerechnet.

      Wolfgang muss als Ältester der drei Geschwister mitarbeiten, um die Nebenwirtschaft am Laufen zu erhalten. Die Mutter führt das Regime, und das ist streng. Bruder Jürgen hat es besser. Er ist kränklich und wird von Mutti eher mit »Samthandschuhen« angefasst als mit Schlägen, die Wolfgang kassiert, wenn er nicht spurt wie gewünscht. Während die Dorfkinder am See, auf Wiesen und Wäldern herumtollen, baden oder Höhlen bauen, baut Wolfgang Gemüse an, jätet Unkraut, gräbt Beete um. Mehr und mehr fühlt er sich isoliert von Gleichaltrigen. Er ist es auch. Darf er in der Sommerhitze doch einmal baden gehen, dann höchstens eine halbe Stunde. Mit Klassenkameradinnen und -kameraden gibt es kaum Kontakt. Wie auch. Will er mit Gleichaltrigen mitreden, rümpfen diese nur die Nasen. »Ach Schmidt, du hast doch sowieso keine Ahnung, du darfst ja kein Fernsehen gucken.« Nach dem »Sandmann« geht es für Wolfgang ins Bett, auch dann noch, als er dem Sandmännchen-Alter längst entwachsen ist. Es hagelt bei kleinsten Vergehen Stubenarreste; manchmal zwei Tage oder drei, zuweilen eine Woche oder gar zwei Wochen. »Das hat weh getan«, gibt er beim Psychiater zu. »Der Vater wollte keinen Streit, wollte Ruhe haben, wollte die Mutter nicht verlieren«, beschreibt er das häusliche Milieu. Und Unterstützung gab es schon gar nicht, auch nicht bei Angriffen von Klassenkameraden. »Wenn se dir verprügeln wollen, dann lass dir eben verhauen, aber komm nach Hause und erzähl das. Nicht dass de zurückschlägst«, so die Ansage des Vaters.

      Der Junge fühlt sich einsam. Dann entdeckt er etwas, was ihn zunächst nur neugierig macht, dann mehr und mehr anzieht, ihn befriedigt: den Kleiderschrank seiner Mutter. Er sieht und fühlt deren Unterwäsche, die Schlüpfer, Unterröcke, Büstenhalter. Der Kleiderschrank lockt ihn an, vor allem aber diese Wäsche, die er angezogen bei seiner Mutter kaum gesehen hat. Sieben Jahre alt ist er da, oder auch acht, so genau weiß er es nicht mehr. Irgendwann lässt er alle Kleidung von sich abfallen, steht nackt da und zieht das Verbotene von der Mutter an, das Höschen, den Unterrock, den BH, der natürlich an seinem dürren Oberkörper schlaff herumhängt. Sexuelles spielt in dem Alter noch keine Rolle. Es passiert anderes. Er »strullt ein«, wie er es ausdrückt, und auch sein Darm entleert sich. Ein »wahnsinniges Gefühl« hat er dabei, sagt er dem Gutachter. »Ich habe mich richtig wohlgefühlt.« Später, bei der Erörterung der Taten mit dem Psychiater, wird dieses »wahnsinnige Gefühl« immer wieder eine Rolle spielen.

      Er kann sich der magischen Anziehungskraft des Wäscheschranks im Schlafzimmer seiner Eltern nicht erwehren. Oft kann er sich das Begehrte nur anschauen, schließlich weiß die Mutter, was sie an Unterwäsche besitzt. Doch richtig befriedigt ist er erst, wenn er darin »einstrullen« und einkoten kann. Dann muss er die Intimwäsche verstecken. Er tut es in der Scheune.

      Es kommt, was nicht ausbleiben kann. Die Scheune wird zu seiner Intimfalle, als er wieder einmal in Mutters Wäsche flaniert. Sie erwischt ihren Jungen, der zehn Jahre und noch immer Bettnässer ist, in ihrem Schlüpfer und dem BH, der an seiner Brust schlackert.

      Das Donnerwetter der Mutter ist wortgewaltig. Natürlich setzt es auch Schläge. Dieser Schmerz vergeht. Ein anderer, viel schlimmerer Schmerz, der der Erniedrigung, nicht. Der Knabe wird hochnotpeinlich verhört. Beschämend ist, dass andere, fremde Leute, davon erfahren. Nicht auszuhalten für Wolfgang ist, dass er keinen Zugang mehr hat zu den Fetischen, die ihn so sehr befriedigen.

      Die Mutter geht mit ihrem Sohn zum Arzt, weil der immer noch ins Bett pullert und auch in die Hose. Sie hat Angst, dass er krank ist. Der Mediziner aber wiegelt ab. Das sei noch normal in dem Kindesalter, dieses Einnässen. Ob er etwas von dem abartigen, fetischhaften Drang des Jungen nach Frauenwäsche erfahren hat? Wohl kaum. Die Mutter mag davon ausgegangen sein, dass ihr Junge ablässt von dieser

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