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zugeben, sagt, dass der Säugling aus dem umgestürzten Kinderwagen gefallen sei. Das Brandenburgische Landesinstitut für Rechtsmedizin nennt im Ergebnis der Obduktion eine »massive stumpfe Gewalteinwirkung auf den Schädel mit schwerem geschlossenem Schädelhirntrauma« als Todesursache.

      Zur Besinnung hat das Geschehene den Täter nicht gebracht. Er befriedigt sich an der toten Irina Maschenkowa, deckt die Leiche mit Kiefernzweigen ab und fährt nach Hause.

      Einen Tag nach dem Verschwinden von Irina Maschenkowa und Baby Igor startet ein Trupp russischer Soldaten eine Suchaktion. Sie entdecken die Leichen der Gesuchten. Der Kinderwagen, der sich fünfzig Meter neben dem Waldweg befindet, ist umgestürzt. Drei Meter davon entfernt liegt der kleine Junge. Zehn Meter davor finden die Soldaten die mit gefällten Kiefern bedeckte Leiche der Frau. Deren Oberbekleidung ist aufgerissen, der Unterkörper ist nackt.

      Freitag, 5. April 1991, 17.30 Uhr.

      Tat sechs: Versuchter Mord an Sandra Kurzweg

      und Sandra Wichert

      Die Spirale der Gewalt und des Todes dreht sich inzwischen rasend schnell. Nach dem Doppelmord an Irina Maschenkowa und ihrem kleinen Igor ist Wolfgang Schmidt wieder unterwegs. Am Vormittag hat er sich bei verschiedenen Betrieben im Industriegebiet in Potsdam und in Drewitz erfolglos um Arbeit beworben. Zu Fuß macht er sich in Richtung Sputendorf, einem Ortsteil von Stahnsdorf, auf den Weg. Auf verschiedenen Müllkippen ist er fündig geworden. Wäschestücke und Kataloge mit bunten Bildern von Frauen in Dessous sind seine Ausbeute, die er – gut in Säcke verpackt – in eine Kiefernschonung schleppt, wo er sich ein neues »Lager« einrichtet.

      Im Anschluss an die »schwere Arbeit« will er sich Erleichterung und Genuss verschaffen. Er entkleidet sich und zieht die neu »erworbenen« Kleidungsstücke über, die er zuvor mit seinen Exkrementen besudelt hat: einen BH, einen Damenslip, eine lilafarbene Jogginghose, einen Pullover und eine Kittelschürze, in deren Tasche er ein Küchenmesser steckt. So bekleidet und sexuell hoch erregt, durchforstet er das Unterholz. Nun ist Wolfgang Schmidt wieder der »Rosa Riese«, der sich schon lange wünscht, mal mit zwei Frauen Gruppensex zu haben.

      Und er handelt so. Es ist 17.45 Uhr, als er weibliche Stimmen vernimmt. Es sind die von Sandra Kurzweg und Sandra Wichert. Die zwölfjährigen Mädchen wollen sich ein totes Reh ansehen, das dort in der Nähe liegen soll. Dazu kommt es nicht. Der als Frau verkleidete Täter stürmt aus dem Unterholz und stürzt sich auf sie. Er holt sofort das Küchenmesser aus der Kittelschürze und rammt es Sandra Kurzweg in den Bauch. Das Mädchen ist allerdings zu flink für den Mann. Es kann sich aus der Umklammerung befreien und entkommt in Richtung der Rieselfelder, in denen Abwasser versprüht werden und wo es mächtig stinkt. Auch Sandra Wichert wehrt sich heftig gegen den »Räuber«, der sie von hinten würgt und ihr mit dem Messer in den Bauch und in die Brust sticht. Dennoch kann auch sie entfliehen, weil der »Rosa Riese« plötzlich von ihr ablässt. Er hat erkannt, dass er diesmal sein perverses Verlangen nicht erreichen kann, und nimmt Reißaus in dichte Kiefernschonungen.

      Freitag, 5. April 1991, 21.45 Uhr.

      Tat sieben: Mord an Margarete Schneller

      Nach der Flucht der beiden Mädchen, die für den Täter ein Desaster mit allerhöchster Gefahr ist, irrt der »Rosa Riese« durch den Wald, den er bei Rehbrücke verlässt. Vom dortigen Bahnhof aus fährt er mit dem Zug nach Beelitz-Heilstätten. Dann macht er sich mangels eines direkten Anschlusses zu Fuß auf den Weg zum Wohnort seiner Verlobten. Der führt ihn vorbei an einem in die Jahrzehnte gekommenen Einfamilienhaus. Das Anwesen sieht unbewohnt aus. Mit einem Brikett, das in der Gegend liegt, schlägt er im Erdgeschoss eine Scheibe ein und gelangt in die Küche. Bei der Suche in der unteren Etage entdeckt er im Wohnzimmer einen Schrank. Seine sexuelle Erregung ist noch immer nicht abgeklungen und steigert sich ins »Wahnsinnige«, als er im Schrank eine Damenunterhose und ein Mieder findet. Im Obergeschoss hängen auf einer Leine neben anderer Wäsche ein BH und ein Unterrock. Was für eine Beute! Als er das Haus verlassen will, vernimmt er Geräusche. Sie kommen von der sechsundsechzig Jahre alten Rentnerin Margarete Schneller, die in ihrem Schlafzimmer aufgeschreckt von dem Einbrecher auf ihrer Liege sitzt. Das Entsetzen der alten Frau steht auch Wolfgang Schmidt ins Gesicht geschrieben. Nach der Flucht der Mädchen soll es nicht noch eine weitere Zeugin geben. Schmidt würgt die alte Dame erst mit beiden Händen. Als die Kraft in seinen Fingern nicht ausreicht, erdrosselt er sein Opfer mit einem langärmeligen Unterhemd. Er schneidet das Nachthemd der Frau über der welken Brust auf, entkleidet sich, manipuliert nackend mit einer Kerze an seinem Opfer herum und erleichtert sich durch Geschlechtsverkehr mit der vermutlich schon toten alten Dame. Schmidt zieht seine Männerbekleidung an und lässt die von ihm getragene Unterwäsche und die manipulativ benutzte Kerze neben dem Leichnam zurück.

      Nach diesem Verbrechen fahndet die Polizei, die endlich eine Sonderkommission gebildet hat, nach dem Serienmörder. Nach Angaben der beiden geflüchteten Mädchen wird ein Phantombild erstellt. Allerdings ist es, was die Haarlänge angeht, nicht korrekt. Wer wollte es den Kindern verdenken. Auch Schmidt sieht die Fotos, doch er ist sich sicher, dass er nicht der »Rosa Riese« sein kann, der so Schreckliches getan hat. In seiner Phantasie hätten die Frauen alle noch gelebt, alles auch mitgemacht bis zu seiner Erregung, wird er später dem Gutachter sagen.

      Die öffentliche Fahndung zeigt Wirkung. Die Mordserie reißt ab. Zwar treibt sich der »Rosa Riese« – stets weiblich gekleidet – weiter in den Wäldern herum, doch Frauen, mit denen er seine abnormen sexuellen Vorlieben befriedigen kann, findet er nicht mehr. Keine Frau traut sich mehr in die Wälder um Beelitz.

      Letztlich hilft »Kommissar Zufall«, den »Rosa Riesen« zu fassen. Am 1. August 1991 entdecken zwei Freizeitsportler, die durch den Wald joggen, einen Mann, der onaniert und dabei rosafarbene Frauenfetische trägt. Sie überwältigen ihn und bringen ihn zur Polizei.

      Der »Rosa Riese« gesteht noch am Tag seiner Verhaftung die Taten.

      Das Landgericht Potsdam verurteilt Wolfgang Schmidt im November 1992 wegen Mordes im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit zu fünfzehn Jahren Haft und weist ihn in eine geschlossene psychiatrische Anstalt, in den Maßregelvollzug, ein. Dort sitzt er noch immer.

      Ihm wird später eine hormonelle Geschlechtsumwandlung und eine Namensänderung zugestanden.

      Mord in der Nervenklinik

      Eigentlich klingt alles wie eine Romanze zweier Menschen, die sich lieben und sich begehren. Beide, Hanna Rose und Hans Reger, sind sechsundzwanzig Jahre alt und kennen sich jetzt, im Februar 1981, ein gutes halbes Jahr. In Briefen haben sie sich ihre gemeinsame Zukunft in den schönsten Farben ausgemalt, davon geträumt, Ehefrau und Ehemann zu sein, vielleicht einmal Kinder zu zeugen und sie aufzuziehen. Sogar eine Heiratsurkunde hat sich Hans Reger anfertigen lassen, keine standesamtliche, die den Bund der Ehe als vollzogen anerkennt, sondern eine, die ein Bekannter auf einem Blatt Papier gemalt und geschrieben hat. Hanna und Hans betrachten sich fortan als Ehepaar. Die Briefe, die sie sich schreiben sind voller wortreicher Liebesbeteuerungen. Sex spielt in den Briefen auch eine Rolle. Den aber wollen sie sich aufheben für bessere Zeiten.

      Die Realität ist alles andere als romantisch. Hanna Rose und Hans Reger leben aufgrund von schizoider Erkrankungen in der Nervenheilanstalt in Neuruppin. Hans Reger ist sogar in geschlossenen Abteilungen untergebracht, so dass Händchen halten und Küss-chen austauschen zwischen den »Eheleuten auf dem Papier« bisher nur durch Gitterstäbe möglich war.

      Hans Reger ist das jüngste von drei Kindern der Familie Reger. Als er in Hohen Neuendorf im Kreis Oranienburg das Licht der Welt erblickt, sind seine Eltern nicht mehr die Jüngsten. Hans, um den sich vor allem die Oma kümmert, ist ein schwieriger Junge. Schon mit sieben oder acht Jahren geht er mit dem älteren Bruder und anderen Burschen auf Diebestour, vor allem Zigaretten und Wein sind begehrtes Diebesgut der Clique. Sonderschule, Spezialkinderheim und Jugendwerkhof sind ab der vierten Klasse sein wechselndes Zuhause. Es folgen Haftstrafen wegen Diebstahls und Brandstiftung und schließlich die gerichtliche Einweisung in die Neuruppiner Nervenklinik. Kaum aus der geschlossenen Abteilung im »Keller« entlassen, in der er als arbeitstherapeutische Behandlung Preisschilder und Kalender anfertigt, nutzt er die größeren Freiheiten erneut für Diebstähle und Ausbrüche, was ihm zunächst wieder den »Keller« einbringt.

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