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Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
Читать онлайн.Название Verbrechen und Strafe
Год выпуска 0
isbn 9788726372038
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Was soll das heißen?“ fragte der Herr in scharfem Tone, zog die Augenbrauen zusammen und blickte ihn von oben herab erstaunt an.
„Scheren Sie sich von hier weg! Das soll es heißen!“
„Kanaille, wie kannst du dich unterstehen . . .“
Er holte mit seinem Spazierstocke aus. Raskolnikow stürzte mit erhobenen Fäusten auf ihn zu, ohne zu überlegen, daß der kräftige Herr wohl mit zwei solchen, wie er, fertig werden konnte. Aber in diesem Augenblicke packte ihn jemand von hinten mit festem Griffe, und ein Schutzmann stand zwischen ihnen.
„Hören Sie auf, meine Herren! Keine Schlägerei auf öffentlichen Plätzen! Was haben Sie denn? Was bist du denn für einer?“ wandte er sich mit strenger Miene an Raskolnikow, da er dessen zerlumpten Anzug bemerkte.
Raskolnikow sah ihn aufmerksam an. Es war ein braves Beamtengesicht mit grauem Schnurrbart und Backenbart und mit verständig blickenden Augen.
„Sie kommen mir wie gerufen“, rief er und ergriff seine Hand. „Ich bin ein gewesener Student; mein Name ist Raskolnikow . . . Das mag auch gleich für Sie gesagt sein!“ fügte er, zu dem Herrn gewendet, hinzu. „Bitte, kommen Sie einmal mit; ich will Ihnen etwas zeigen.“
Er nahm den Schutzmann bei der Hand und führte ihn zu der Bank hin.
„Da, sehen Sie, sie ist ganz betrunken; sie kam eben den Boulevard entlang. Wer weiß, was sie für eine sein mag; aber wie eine Gewerbsmäßige sieht sie nicht aus. Wahrscheinlich ist sie irgendwo betrunken gemacht und dann mißbraucht worden . . . zum ersten Male, . . . verstehen Sie? Und dann hat man sie auf die Straße gebracht. Sehen Sie nur, wie das Kleid zerrissen ist; sehen Sie, wie sie angezogen ist: andre Leute haben sie angezogen, nicht sie selber, und Hände, die sich nicht darauf verstanden, haben es getan, Männerhände. Das sieht man. Und nun sehen Sie einmal dahin: diesen Laffen, den ich eben durchprügeln wollte, kenne ich nicht; ich sehe ihn zum ersten Male in meinem Leben. Er hat sie auch hier auf der Straße bemerkt, jetzt eben, hat gesehen, daß sie betrunken ist und von sich nichts weiß, und nun brennt er darauf, heranzugehen, sich ihrer in diesem Zustande zu bemächtigen und sie irgendwohin zu verschleppen . . . Es ist ganz bestimmt so; Sie können mir glauben, daß ich mich nicht irre. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er sie beobachtete und ihr nachging; nur kam ich ihm in die Quere, und er wartet jetzt nur darauf, daß ich weggehe. Da, jetzt ist er ein bißchen weitergegangen und steht nun da, als wollte er sich eine Zigarette drehen. Wie können wir ihn hindern? Wie können wir sie nach Hause schaffen? Überlegen Sie mal!“
Der Schutzmann hatte die Sachlage sofort erfaßt. Was der kräftige Herr für einer war, darüber konnte kein Zweifel bestehen; aber was war nun mit dem Mädchen anzufangen? Der Schutzmann beugte sich über sie, um sie aus größerer Nähe zu betrachten, und aufrichtiges Mitleid spiegelte sich in seinen Zügen wider.
„Ach, wie schade!“ sagte er und wiegte den Kopf hin und her. „Sie ist ja noch das reine Kind. Sie ist mißbraucht worden, das ist sicher. Hören Sie, Fräulein!“ rief er sie an. „Wo wohnen Sie?“
Das Mädchen öffnete die müden, trüben Augen, blickte den Fragenden stumpfsinnig an und machte eine abwehrende Handbewegung.
„Hören Sie“, sagte Raskolnikow, „hier“ (er wühlte in seiner Tasche und holte zwanzig Kopeken heraus), „hier, nehmen Sie eine Droschke und sagen Sie dem Kutscher, er solle sie nach Hause fahren. Wenn wir nur ihre Adresse erfahren könnten!“
Der Schutzmann nahm das Geld. „Fräulein, he, Fräulein!“ begann er von neuem. „Ich will gleich eine Droschke für Sie nehmen und Sie selbst nach Hause begleiten. Wohin befehlen Sie, hm? Wo wohnen Sie?“
„Geht doch weg! . . . Laßt mich in Ruhe!“ murmelte das Mädchen und wehrte wieder mit der Hand ab.
„Ach, wie häßlich, wie häßlich! Sie sollten sich schämen, Fräulein, ja, schämen sollten Sie sich!“ Er schüttelte nochmals den Kopf, vorwurfsvoll, mitleidig und unwillig. „Das ist eine schwere Aufgabe“, wandte er sieh an Raskolnikow und betrachtete ihn wieder vom Kopf bis zu den Füßen mit einem schnellen Blicke. Auch dieser Mensch kam ihm wohl sonderbar vor: hat solche Lumpen auf dem Leibe und gibt ohne weiteres Geld her!
„Haben Sie sie weit von hier gefunden?“ fragte er ihn.
„Ich sagte es Ihnen schon: sie ging taumelnd vor mir her, hier auf dem Boulevard. Als sie zu der Bank kam, fiel sie geradezu darauf nieder.“
„Ach, wie schändlich es jetzt in der Welt zugeht, Herrgott! So ein junges Ding und schon betrunken! Sie ist mißbraucht worden, das ist sicher. Da, auch das Kleid ist zerrissen . . . Ist das eine Sittenlosigkeit heutzutage! . . . Vielleicht ist sie aus besserem Stande, aus einer verarmten Familie; das ist heutzutage nichts Seltenes. Aussehen tut sie ganz zart, ganz wie ein Fräulein.“
Er beugte sich wieder über sie.
Vielleicht hatte er bei sich zu Hause auch solche heranwachsenden Töchter, „ganz wie die Fräulein und ganz zart“, die den Vornehmeren ihre Manieren und allerlei Modetorheiten ablernten.
„Die Hauptsache“, sagte Raskolnikow eifrig, „ist, daß dieser Schurke nicht seinen Willen bekommt. Der würde sie noch mehr beschimpfen! Was er vorhat, ist ja ganz klar. Sehen Sie, der Schurke, er geht nicht weg!“
Raskolnikow sprach laut und wies offen mit dem Finger auf ihn. Dieser hörte es und wollte schon den Streit wieder aufnehmen; aber er besann sich eines andern und begnügte sich damit, ihm einen geringschätzigen Blick zuzuwerfen. Dann ging er langsam noch zehn Schritte weiter fort und blieb wieder stehen.
„Den wollen wir schon hindern“, antwortete der Schutzmann und überlegte. „Wenn sie bloß sagen wollte, wo man sie hinbringen soll; aber so . . . Fräulein, he, Fräulein!“ rief er und beugte sich wieder über sie.
Sie machte plötzlich die Augen ganz auf, sah aufmerksam um sich, als hätte sie etwas von dem Vorgehenden begriffen, stand von der Bank auf und ging wieder nach der Seite zu, von der sie gekommen war.
„Pfui, ihr Unverschämten, laßt mich in Ruhe!“ sagte sie, wieder mit der abwehrenden Handbewegung.
Sie ging mit schnellen Schritten, aber ebenso stark taumelnd wie vorher. Der Lebemann ging ihr nach, aber in einer andern Allee, ohne die Augen von ihr abzuwenden.
„Seien Sie unbesorgt, ich werde es nicht zulassen“, sagte der schnurrbärtige Schutzmann in entschiedenem Tone und folgte den beiden.
„Ist das eine Sittenlosigkeit heutzutage!“ bemerkte er seufzend noch einmal.
In diesem Augenblick hatte Raskolnikow ein Gefühl, als ob er einen Stich bekäme; im Nu war er wie umgewandelt.
„He! Hören Sie!“ rief er dem Schutzmann nach.
Dieser wendete sich um.
„Lassen Sie die beiden nur laufen! Was geht es Sie an? Kümmern Sie sich um die Geschichte nicht weiter! Gönnen Sie ihm sein Vergnügen“ (er zeigte auf den feinen Herrn). „Was geht es Sie an?“
Der Schutzmann konnte nicht klug daraus werden und blickte ihn starr an. Raskolnikow schlug ein Gelächter auf.
„Na, so was!“ sagte der Schutzmann und schwenkte verwundert den einen Arm; dann ging er dem Stutzer und dem jungen Mädchen nach. Wahrscheinlich hielt er Raskolnikow entweder für gestört oder für etwas noch Schlimmeres.
,Und meine zwanzig Kopeken hat er mitgenommen‘, dachte Raskolnikow boshaft, als er allein zurückgeblieben war. ,Nun mag er von dem da auch noch etwas annehmen und das Mädchen mit ihm gehen lassen; und das wird auch wohl das Ende vom Liede sein. Und warum habe ich mich da als Helfer eingemischt? Ich als Helfer! Habe ich auch ein Recht zu helfen? Mögen die Menschen meinetwegen einander bei lebendigem Leibe auffressen, was geht es mich an? Und wie durfte ich diese zwanzig Kopeken weggeben? Gehörten sie denn mir?‘
Trotz