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unterhält Heitinger Beziehungen zu Madame Diane d’Arout. Wie Heitinger zu der Bekanntschaft gekommen ist, steht noch nicht fest. Einwandfrei ermittelt ist jedoch, daß er mehrmals in der Gesellschaft Madame d’Arouts gesehen wurde. So am 20. Februar, als er mit der Genannten in deren Loge die Comédie Française besuchte, und am 3. März bei einem Spaziergang mit Madame d’Arout im Luxembourg. Durch Befragung der Jeanne Vinot, die bis zum 1. März dieses Jahres als Zofe bei Madame d’Arout bedienstet war, habe ich festgestellt, daß Henry Heitinger in der Zeit vom 1. Februar bis 1. März mehrmals zum Tee in der Villa Madame d’Arouts eingeladen war. In einem dieser Fälle war auch Monsieur Roulac zugegen.

      Heitinger scheint bisher über die Bekanntschaft gegen jedermann geschwiegen zu haben. Weder seine Geschäftskollegen noch seine Nachbarn wissen etwas davon. Aller Wahrscheinlichkeit nach ahnt auch seine Freundin Herta Friebel nichts von dieser Bekanntschaft.

      Größere Geldausgaben hat Heitinger auch in Gesellschaft von Madame d’Arout nicht gemacht.“

      Kommissar Valvert zündet sich eine Zigarre an und bläst den Rauch durch die Nase. Das ist ja eine komische Angelegenheit! Wie der Rauch der Zigarre kreiseln und ringeln sich seine Gedanken zu den sonderbarsten Luftgebilden. Der kleine Angestellte Henry Heitinger und die bekannte Weltdame Diane d’Arout! Wie kommen denn die zusammen? Diane d’Arout hat schon zu Lebzeiten ihres Gatten eine nicht unbeträchtliche Rolle in der Pariser Gesellschaft gespielt. Nach seinem Tode — das war etwa vor fünf Jahren — hat sie sich zunächst schicklich zurückgezogen. Bis sie dann eines Tages ihre Trauer abstreifte und wieder in den Salons erschien, viel angestaunt und beneidet, weil der Börsengewaltige Guido Roulac offensichtlich um ihre Gunst warb. Man munkelte damals sogar von einer bevorstehenden Heirat. Dazu ist es nun allerdings nicht gekommen, aber im Laufe der Zeit wurde es öffentliches Geheimnis, daß Madame d’Arout die Freundin Roulacs war. Eine große Dame, eine gefeierte Frau. Dabei kultiviert und von sicherer Vornehmheit. Diane d’Arout ist keine emporgekommene Midinette oder Piseuse, sondern stammt aus einer angesehenen Beamtenfamilie. Ihr Vater war Souspräfekt im Departement Saône et Loire. Madame d’Arout ist eine bekannte Erscheinung bei fast jeder gesellschaftlichen Veranstaltung. Man sieht sie in Auteuil, in Biarritz, in den Salons der alten Aristokratie wie bei den Empfängen der Minister. Ihr Verhältnis zu Roulac gibt ihr einen besonderen Rahmen. Man weiß nicht, ob Madame d’Arout selber sonderliches Vermögen besitzt, aber man weiß, daß sie mit Roulac eng befreundet ist und daß ein Tip von Roulac an der Börse ein Vermögen wert ist. Alles in allem eine große Dame und noch dazu von tadellosem Ruf. Diane d’Arout hat es verstanden, jederzeit das Dekorum zu wahren. Ihr Name ist in keinem der vielen Skandale und Skandälchen der Gesellschaft aufgetaucht.

      Und wer ist Henry Heitinger? Ein junger Mann, weiter nichts. Zugegeben, er sieht gut aus, er hat sogar — nach den Bemerkungen seines Chefs zu urteilen — ungewöhnliche Fähigkeiten in seinem Beruf entwickelt. Die optischen Kenntnisse des jungen Heitinger dürften indes Madame d’Arout wenig interessieren. Und sonst? Er ist durchaus nicht der Typ eines Bel-Ami, hat auch sonst keine bestechenden Eigenschaften. Wie in aller Welt kommt der Junge an diese Bekanntschaft? Madame d’Arout pflegt sich einen jungen Menschen, den sie zufällig kennengelernt hat, nicht zum Tee einzuladen und mit ihm das Theater zu besuchen, noch viel weniger eine solche gleichgültige Bekanntschaft Herrn Roulac vorzustellen.

      Wie alt mag Madame d’Arout sein? Fünfunddreißig? Vierzig oder gar darüber? Man weiß es natürlich nicht genau, aber wenn man nachrechnet, nüchtern und erbarmungslos, so muß sie wohl an die Vierzig sein. Henry Heitinger ist genau vierundzwanzig, jung und unverbraucht. Sollte am Ende ...? Hm, die Launen einer schönen Frau sind unberechenbar.

      Aber Monsieur Roulac? Kommissar Valvert sieht den Geldmann fast greifbar vor sich. Ein hagerer, verkniffener Herr, Anfang der Fünfzig, ein fast menschenscheuer Sonderling, der sich selten in der Gesellschaft zeigt und außer Madame d’Arout keine näheren Freunde hat. Um so häufiger taucht sein Name auf. Es schwebt ein Geheimnis um Monsieur Roulac, der übrigens früher Rotsee hieß und erst vor einem knappen Jahrzehnt die französische Staatsbürgerschaft erwarb. Seine Wiege dürfte in der Nähe von Warschau gestanden haben. Seither aber ist Monsieur Roulac eine Nummer geworden, ein Mann, der seine Finger so ziemlich in jedem großen Geschäft hat. Ein kluger Rechner, ein skrupelloser Geschäftsmann ist er unbedingt. Und dem Mann, der sich sonst vom Gesellschaftsleben fast ganz zurückzieht, zu dem man schwerer gelangt als zum Präsidenten der Republik, sollte Madame den jungen Heitinger in ihrem Heim vorgestellt haben? Oder waren die beiden Herren gegen den Willen Madames dort zusammengetroffen?

      Valvert wiegt ärgerlich den Kopf. Was gehen mich Madame d’Arout und Monsieur Roulac an? Aber da war etwas anderes. Hatte die schöne Unbekannte sich nicht Herrn Lecour gegenüber Diane d’Arout genannt? Ausgerechnet Diane d’Arout! Wenn’s wirklich die Friebel wäre ... man könnte leicht auf die Vermutung kommen, daß sie von der Bekanntschaft ihres Freundes weiß und daß ihr der Name Diane d’Arout geläufig ist.

      Der Fernsprecher auf dem Tisch klingelt.

      „Sind Sie’s selbst, lieber Herr Valvert?“ meldet sich eine dem Kommissar wohlbekannte Stimme. „Ja, hier spricht Pöllin! Ein Glück, daß ich Sie noch in Ihrem Büro erwische. Eben teilt mir mein Nachtwächter mit ... die 5000 Franken unseres Herrn Heitinger haben sich wiedergefunden!“

      „Was sagen Sie da, Herr Pollin?“

      „Jawohl. Blinder Alarm! Es liegt zum Glück überhaupt kein Diebstahl vor! Kann Ihnen sagen, lieber Herr Valvert, mir ist eine Last von der Seele!“

      „Bitte erklären Sie mir genauer. Das Geld ...?“

      „Jawohl, das hat sich gefunden. Vielmehr, mein Nachtwächter, der eben jetzt seinen Dienst angetreten hat, meldete sich vor zehn Minuten bei mir. Ich sitze nämlich noch im Büro und arbeite. Geplagter Geschäftsmann, der ich bin. Also der Nachtwächter hat auf seinem Rundgang fünf Tausendfrankscheine gefunden. Unten im Geräteverschlag, dicht neben der Treppe. Da die Tausendfranknoten bei mir sonst nicht so herumliegen, kann es sich nur um Heitingers Geld handeln. Es muß durch den Treppenschacht heruntergefallen sein.“

      „Aus Heitingers Brieftasche?“

      „Nein, natürlich nicht. In dieser Beziehung muß ein Irrtum vorliegen. Entweder hat Heitinger das Geld gar nicht in seine Brieftasche gesteckt oder er hat es unterwegs, als er von der Kasse kam, herausgenommen. Vielleicht erinnert er sich nicht mehr daran. Jedenfalls muß er das Geld auf der Treppe verloren haben. Die Scheine sind dann durch den Luftzug in den Schacht geweht worden und heruntergefallen. Anders kann ich mir es nicht erklären.“

      „Hm. Hören Sie, verehrter Herr Pollin, das klingt aber gar nicht überzeugend.“

      „Muß aber doch wohl so sein. Wie sollte das Geld denn sonst in den Verschlag kommen?“

      „Der Dieb könnte es dort versteckt haben.“

      Die Stimme Pollins lacht etwas gezwungen. „Nun ja, das wäre wohl möglich. Aber warum sollten wir uns nicht an die harmlosere Möglichkeit halten? Die Hauptsache ist, das Geld ist wieder da. Jeder einzelne meiner Angestellten wird erleichtert aufatmen, wenn ich morgen berichten kann, daß der angebliche Diebstahl sich so harmlos aufgeklärt hat. Und ich selber auch.“

      „Wenn ich recht verstehe“, sagt Valvert langsam, „so ziehen Sie also Ihre Anzeige zurück?“

      „Gewiß, gewiß, lieber Herr Valvert. Bin Ihnen unendlich verpflichtet für Ihre Bemühungen, aber unter den Umständen — nicht wahr, es ist das beste, wir lassen die ganze Sache ruhen.“

      „Einen Augenblick, bitte! Weiß Herr Heitinger schon von dem Fund des Geldes?“

      „Heitinger ist bereits fort. Aber ich werde Fräulein Friebel bitten, es ihm heute abend noch zu sagen. Morgen früh kann er dann sein Geld bei mir in Empfang nehmen.“

      „Fräulein Friebel ist bei Ihnen?“

      „Hilft mir bei der Kalkulation. Also wir gehen einig, lieber Herr Valvert? Sie legen die unangenehme Sache ad acta?“

      „Nun, wenn Sie es wünschen, so ...“

      „Natürlich. Ich bin

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