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sie zu seinem Ärger nicht und verschließt sich ganz, ist auf einmal nur noch der sachliche, unerbittliche Beamte.

      „Wieviel Geld haben Sie in Ihrer Tasche, Fräulein Friebel?“

      Der neue Zornesausbruch, den sowohl Valvert wie Herr Pollin erwartet haben, bleibt aus. Diesmal lacht Herta nur kurz und spöttisch auf.

      „So genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Wahrscheinlich werden es ungefähr fünfzig Franken sein. Wenn Sie sich der Mühe unterziehen wollen, meine Handtasche zu durchsuchen, sie liegt in meinem Schreibpult.“

      Valvert ersucht Herrn Pollin, die Tasche durch Frau Grimmaud hereinbringen zu lassen. Gleich darauf hält er die länglich - schmale dunkelblaue Ledertasche mit dem Goldbuchstaben „H“ in den Händen, öffnet sie und untersucht den Inhalt. Die Tasche enthält nichts Ungewöhnliches. Taschentuch, ein Paar hellgelbe Lederhandschuhe, Puderdöschen, Spiegel, eine Wochenkarte der Metro und eine kleine Seidenbörse.

      „Siebenundzwanzig Franken“, beendet Valvert die Zählung.

      „Also, wie ich sagte“, ergänzt Herta befriedigt.

      „Hatten Sie die Tasche bei sich, als Sie gegen 11 Uhr Ihren ... hm ... kleinen Gang machten?“

      „Wozu sollte ich das? Die Tasche lag an ihrem Platz unter meinem Pult. Frau Grimmaud wird das wohl bestätigen können.

      Frau Grimmaud bestätigt auf einen fragenden Blick des Kommissars sofort, daß ihre Kollegin bestimmt nicht die Tasche mitnahm, als sie das Sekretariat auf einige Minuten verließ.

      „Haben Sie heute einen Mantel getragen, Fräulein Friebel?“

      „Einen Regenmantel, jawohl. Er hängt draußen in der Kleiderablage. Ebenso meine Kappe.“ Herta schweigt eine Sekunde und zuckt die Achseln. „Daß sich in meinen Manteltaschen keine 5000 Franken befinden, dürften Sie bereits wissen, mein Herr.“

      „Woraus schließen Sie das?“ Kurz und scharf kommt die Frage. Herta deutet eine leichte Verbeugung an. Ihr Gesicht trieft von Ironie.

      „Sie waren — zusammen mit Herrn Pollin — mindestens 20 Minuten draußen im Vorraum, um den Tatort zu besichtigen, bevor die Vernehmungen begannen, Herr Kommissar. Sollte ich mich täuschen in der Annahme, daß Sie dabei nachgesehen haben, ob sich das verschwundene Geld in den Taschen der anderen dort befindlichen Kleidungsstücke befindet?“

      In unangenehmer Schärfe ruhen die Augen des Beamten auf ihrem Gesicht. „In der Tat, mein Fräulein. — Finden Sie es nicht bemerkenswert, daß Sie also bereits vor unserer Vernehmung in ihren Gedanken davon ausgingen, daß ich grade Sie verdächtigen würde?“

      Die scharfe, von Argwohn gebeizte Frage löst eine andere Wirkung aus, als Valvert erwartet hat. Ein klingendes, glockenreines Mädchenlachen schwingt durch den Raum. Fast vertraulich beugt Herta sich ein wenig vor, die gezügelte Verbindlichkeit der großen Dame in jedem Zug, jeder Kopfbewegung.

      „Sie gefallen sich in Scherzen, mein Herr. Denn ich kann unmöglich glauben, daß ein so hervorragender Beamter der Sûreté wirklich eine so naheliegende Tatsache übersieht.“

      „Was meinen Sie? Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir erklären wollten ...“

      „Oh, wenn Sie meinen gesunden Menschenverstand auf die Probe stellen wollen, so hoffe ich, die Prüfung zu bestehen“, lächelte Herta, und ihr Lächeln ist wie der Fächerschlag einer jungen Marquise des Ancien regime. „Außer meinem Mantel hängt draußen auch noch der Mantel meiner Kollegin. Wenn ich nicht irre, hängt sogar auch die Handtasche Frau Grimmauds im Vorraum. Meine selbstverständliche Annahme, daß Sie im Vorraum die Taschen der dort befindlichen Kleidungsstücke untersucht haben, bezog ich also nicht auf einen lediglich meine Person betreffenden Verdacht.“

      Der Unmut im Innern des Kommissars ist langsam einer erfreuten, gespannten Aufmerksamkeit gewichen. Er betrachtet Herta Friebel beinahe mit dem gleichen anerkennenden Interesse wie Monsieur Freeman, der keinen Blick von dem Mädchen läßt.

      „Noch eine Frage, Fräulein Friebel. Sie bestätigen, daß Frau Grimmaud das Büro überhaupt nicht verlassen hat. Sind Sie dessen ganz sicher?“

      „Ja, das bin ich.“

      „Aber Sie können doch nicht wissen, ob Frau Grimmaud nicht in der kurzen Zeit Ihrer eigenen Abwesenheit ebenfalls hinausgegangen ist. Sie waren 10 Minuten draußen. Frau Grimmaud könnte immerhin in dieser Zeit wenigstens 5 Minuten lang ebenfalls das Büro verlassen haben.“ In Hertas Antlitz malt sich ein kurzes Stutzen. Dann schüttelt sie ernst den Kopf. „Das wäre allerdings denkbar, aber ich nehme es nicht an, da Frau Grimmaud selbst ja erklärt hat, daß sie unser Büro nicht verlassen hat.“

      „Nur aus diesem Grund?“

      „Nein“, sagt Herta mit klarer Stimme. „Ich weiß, daß ich mich nicht der sonderlichen Zuneigung Frau Grimmauds erfreue. Es beruht auf Gegenseitigkeit. Wir verstehen einander nicht recht. Aber ich halte Frau Grimmaud keine Sekunde für fähig, einen Kollegen zu bestehlen.“ Mit einer raschen Wendung streckt Herta der bis in die Haarwurzeln erröteten Kollegin die Hand hin. Frau Grimmaud erwidert den Händedruck etwas befangen und mit verkniffenen Lippen.

      „Danke“, sagt der Kommissar abbrechend. „Die Vernehmung ist beendet. Sie können zu Ihrer Arbeit zurückkehren, Fräulein Friebel. Und Sie, Frau Grimmaud, natürlich gleichfalls.“

      „Und meine Tasche?“

      Valvert legt die Hand darauf und zaubert wieder ein Lächeln auf seine Lippen. „Bitte, lassen Sie uns die Handtasche noch hier. Ich habe meine Gründe. Selbstverständlich wird Ihnen Ihr Eigentum zugestellt, bevor Sie das Büro verlassen.“

      Kaum hat sich die Tür hinter den beiden Frauen geschlossen, als Valvert hastig eine Lupe hervorholt und die Handschuhe Hertas, insbesondere die Innenseiten der Handschuhfinger einer gründlichen Untersuchung unterzieht.

      „Nichts“, sagt er endlich mit unverkennbarer Enttäuschung. „Keinerlei brauchbare Abdrücke, ebensowenig wie an dem Rock oder der Brieftasche Heitingers.“ Er nimmt dankend eine von Herrn Pollin angebotene Zigarette, setzt sie in Brand und rafft bedächtig seine Papiere zusammen. „Das Ergebnis unserer Vernehmung ist etwas mager, verehrter Herr Pollin. Ich leugne nicht, daß wir festgefahren sind. Aber nur Geduld. Wir kommen dem Dieb schon hinter seine Schliche.“

      Monsieur Pollin räuspert sich heftig. „Sie können sich denken, Herr Valvert, wie unangenehm mir die Geschichte ist. Solange meine Firma besteht, ist es noch nicht vorgekommen, daß einer unserer Angestellten bestohlen wurde. Oh, ich weiß, für Sie als Kriminalisten ist der Diebstahl von 5000 Franken nur eine Kleinigkeit, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sich unserer alten Freundschaft zuliebe persönlich herbeibemüht haben. Aber glauben Sie mir, für mich stellt die Sache keine Kleinigkeit dar.“

      Valvert lächelt sinnend. „Verehrter Herr Pollin, Sie befinden sich da in einem Irrtum. Nicht immer sind die sogenannten Kapitalverbrechen für uns Kriminalisten die interessantesten Fälle. Oft genug ist ein einfacher Diebstahl, kriminalistisch gesehen, schwerer aufzuklären als ein Raubmord. Hier zum Beispiel haben wir einen solchen Fall. Anfangs dachte ich an einen Gelegenheitsdiebstahl, und ich gestehe gern, daß ich die Sache persönlich nur übernahm, um mich für Ihre vielen Liebenswürdigkeiten erkenntlich zu zeigen. Aber ein kleiner Gelegenheitsdieb handelt nicht so umsichtig. Die Person, die den Diebstahl ausgeführt hat, verfügt über eine gehörige Dosis Scharfsinn und Überlegung, fast möchte ich sagen über fachmännisches Wissen. Brieftasche und Rock des Bestohlenen weisen keine Abdrücke auf. Der Täter scheint mit Handschuhen gearbeitet zu haben. Die Durchsuchung des Tatortes und der angrenzenden Örtlichkeiten, auch des Toilettenraumes, hat nicht die geringste Spur ergeben. Vor allem aber: Der Täter hat es verstanden, zu der Kleiderablage zu gelangen, ohne gesehen zu werden. Bei den vorliegenden lokalen Verhältnissen ist diese Tatsache allein ein interessantes kriminalistisches Rätsel.“

      Herr Pollin nickt sorgenvoll. „Ja, das wird auch mir immer rätselhafter. Unser Fräulein Friebel kann es also nicht gewesen sein!“

      „Ich bemerkte wohl, daß

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