Скачать книгу

zu trügen. Die von Herta Friebel angegebenen Personalien sind richtig. Auch was sie über ihre Familie und ihre Lebensgeschichte erzählt hat, stimmt. (Konnte ich mir denken! Diese junge Dame ist viel zu klug, um mir Lügen aufzutischen, die sich als solche festnageln lassen!) Die Berliner Auskunft. besagt, daß die angefragte Herta Friebel unbescholten ist. Auch über ihre Eltern ist bei der deutschen Behörde nichts Ungünstiges bekannt. Die Pariser Polizei hat bisher ebensowenig Veranlassung gehabt, sich mit der jungen Dame zu beschäftigen. Herta Friebel ist im Besitz eines vorschriftsmäßigen Passes und hat Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, die sie bisher stets rechtzeitig hat erneuern lassen. Da die deutsche Staatsangehörige Herta Friebel sich nie gegen die Landesgesetze vergangen und sich auch in keiner Weise politisch betätigt hat, lag kein Grund vor, ihr die fortgesetzte Aufenthaltsgenehmigung zu verweigern.

      Herta Friebel steht in enger Verbindung mit Henry Heitinger. Die beiden jungen Leute bewohnen seit Jahren zwei dicht benachbarte Zimmer in der Rue de la Gaité. Ihre Mittagsmahlzeiten nehmen sie meist in der Kantine der Pollinschen Fabrik, führen aber sonst einen gemeinschaftlichen Haushalt und anscheinend auch gemeinsame Haushaltskasse. (Na ja, wie ich mir dachte!) Wirtin und Hausnachbarn wissen über die beiden nur Günstiges zu berichten. Sowohl Herta Friebel wie Henry Heitinger werden als fleißige Menschen geschildert, die einen geregelten und ihren Verhältnissen angepaßten Lebenswandel führen. Bei den Geschäftsleuten der Nachbarschaft, wo Herta Friebel ihre Einkäufe macht, wird sie meist scherzhaft „Madame Heitinger“ genannt.

      Seit drei Jahren sind die jungen Leute miteinander befreundet, und bisher haben sie ein Zusammenleben geführt, das manche Nachbarsfrau ihrem Ehemann oder Freund oft als geradezu ideal vorgehalten hat. Man sah sie außerhalb der Geschäftszeit fast stets zusammen. Sie besuchten gemeinsam die Lokale ihres Viertels, tanzten vergnügt zusammen, machten Spaziergänge oder saßen gemeinsam in ihrer Wohnung. Beide haben unter den Nachbarn, kleinen Gewerbetreibenden, Angestellten und Arbeitern, eine Menge gute Bekannte.

      Das harmonische Verhältnis scheint seit etwa einem Monat eine Änderung erfahren zu haben. Ein Streit oder sonst eine Unstimmigkeit zwischen den beiden ist zwar nicht beobachtet worden. Aber man sieht sie nicht mehr so häufig beisammen wie vorher. Mademoiselle Friebel besucht in den letzten Monaten oft allein die Kinos und auch gelegentlich einmal ein Bistro in der Nachbarschaft, während ihr Freund jetzt sehr oft seine Abende in einem anderen Stadtteil verbringt. Auch Mademoiselle Friebel fährt oft mit der Metro nach Geschäftsschluß fort, ohne erst ihr Heim aufzusuchen. Welche Gegenden oder Lokale in Paris die jungen Leute jetzt bevorzugen, hat sich noch nicht feststellen lassen. In der Nachbarschaft haben sie jedoch dadurch manche Freundschaft eingebüßt. Man verübelt es ihnen, daß sie dem Montparnasse untreu geworden sind, und teilweise wirft man ihnen neuerdings Hochmut vor. Ein Gerücht, daß Demoiselle Friebel in einem intimen Verhältnis zu ihrem Chef stehe, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Monsieur Pollin lebt in ungetrübter Ehe mit seiner Frau und seinen drei Kindern. (Gewiß, mein Freund Pollin ist ein vorzüglicher Familienvater. Aber auch der beste Ehemann macht mal einen Seitensprung. Hm, ich werde dem braven Pollin gelegentlich einen Wink geben, vorsichtig zu sein!) Herta Friebel hat sich bisher nie durch größere Geldausgaben verdächtig gemacht. Sie trägt sich stets elegant und geschmackvoll, weiß jedoch vorteilhaft einzukaufen und schneidert auch zum Teil ihre Kleider selbst. Sie ist lebenslustig, tanzt gern, treibt Sport, ist eine vorzügliche Schwimmerin und chauffiert. Besonders in der letzten Zeit hat man sie öfter — ohne Begleitung — im Wagen ihres Chefs gesehen, wodurch wahrscheinlich das Gerücht von dem Verhältnis entstanden ist. Es ist jedoch erwiesen, daß Monsieur Pollin, der seine Sekretärin sehr schätzt, ihr mehrmals aus freien Stücken seinen Wagen für einen Nachmittag oder Abend zur Verfügung gestellt hat. Herr Pollin selbst hat dabei niemals die Friebel begleitet. Auch Henry Heitinger nicht. (Sie fährt also Auto! Hm. Aber Vorsicht! Weil sie Auto fährt, braucht sie noch lange nicht die verdammte Unbekannte zu sein!)

      Über den Aufenthalt der Friebel hat sich folgendes ermitteln lassen: Während Henry Heitinger die Räume der Firma Pollin bei Geschäftsschluß um 18 Uhr verließ, hat Herta Friebel noch bis 19.30 Uhr im Büro Monsieur Pollins auf dessen Wunsch Diktate aufgenommen. Nach Erledigung der Arbeit hat Herr Pollin seiner Sekretärin auf deren Bitte seinen Wagen für den Abend zur Verfügung gestellt. (Oho!) Er konnte das um so leichter, als Herr Pollin an diesem Abend von seinem Geschäftsfreund, dem Produktionsleiter Freeman von der Phaeton-Film-Gesellschaft, in dessen Auto zu einer Uraufführung abgeholt und später auch von Herrn Freeman zu seiner Wohnung gefahren wurde. Herr Pollin vereinbarte mit seiner Sekretärin, daß sie den Wagen erst am nächsten Morgen zur Fabrikgarage zurückbringen sollte.

      Herta Friebel ist etwa um 20 Uhr in Herrn Pollins Wagen abgefahren, und zwar in Richtung zur Pont St.-Michel. Zwischen 20.30 und 20.45 Uhr ist sie am Steuer des Wagens auf dem Boulevard Haussmann gesehen worden, und zwar von Herrn Ray, einem ihrer Kollegen aus dem Betrieb Pollin. Nach Aussage des Herrn Ray trug die Friebel das gleiche Kleid, das sie tagsüber im Büro trug, ein dunkelblaues Komplet mit gleichfarbiger Strickmütze. (Hm. Herr Lecour wurde um 22 Uhr auf dem Boulevard Michel von der schönen Unbekannten angesprochen. Die Friebel könnte in der Zwischenzeit in einem Schlupfwinkel ihre Kleider gewechselt haben!) Über den weiteren Aufenthalt der Friebel hat sich nichts feststellen lassen. Sie ist nach dem Zeugnis ihrer Wirtin erst um 3 Uhr morgens heimgekommen. Ob Henry Heitinger zu dem Zeitpunkt bereits daheim war oder erst später kam, vermag die Wirtin nicht zu sagen. Mit der Friebel kam er jedenfalls nicht.

      Die Zeitangabe der Wirtin wird erhärtet durch die Aussage des Tankwarts Martin von der Nachtgarage Ecke Rue de Buci und Rue Mazarine. Bei ihm erschien um 2.30 Uhr nachts eine junge Dame, die der Beschreibung nach unzweifelhaft mit Herta Friebel identisch ist, und stellte einen Wagen, Marke Renault, Wagennummer 9293 R F — 9, ab. Der Tankwart Martin sah, wie die Dame nachher quer über die Straße zur Metrostation ging. Am folgenden Morgen gegen 7.30 Uhr erschien die junge Dame abermals bei der Garage, tankte und fuhr nach Bezahlung der Kosten mit ihrem Wagen ab. Eine halbe Stunde später stellte Herta Friebel den Wagen des Herrn Pollin in der Fabrikgarage unter und begab sich zum Dienst. Sie trug nach Aussage des Tankwarts bei ihrem nächtlichen Erscheinen ebenfalls ein dunkelblaues Kleid.

      Mehreren Angestellten der Firma Pollin ist aufgefallen, daß Herta Friebel am Morgen des 9. März abgespannt und mißmutig aussah.

      Herrn Pollins Wagen trägt die Nummer 9293 R F — 9 und ist eine braune Renault-Limousine.

      Das Papier knistert in Kommissar Valverts Hand. Tiens! Wie hat dieser Herr Lecour ausgesagt? Etwa um 3 Uhr hat er mit seiner Unbekannten die Bar „Chez Belmaire“ verlassen und ist wieder in ihren Wagen gestiegen, um erst gegen Morgen in einem Straßengraben aufzuwachen. Das wäre also zu der Zeit, da die Friebel längst ihren Wagen abgestellt hatte und in ihrer Wohnung eintraf! Aber sachte, sachte! Ob der Provinzonkel sich da nicht irrt in seiner Zeitangabe? Er war da doch sicher schon erheblich unter Alkohol gesetzt und kann sich leicht versehen haben. Oder ... Donnerwetter! Sollte hier absichtlich durch irgendeinen Trick ein Alibi geschaffen werden? Genau wie bei dem Diebstahl? Man muß nicht vergessen, Herrn Lecour genau zu befragen, woher ihm die Zeitangabe bekannt ist! Kommissar Valvert macht sich eine Notiz und überdenkt, sich zurücklehnend, noch einmal den Bericht. Es ist da manches, wahrhaftig, wenn man noch so vorurteilslos urteilt, es ist da manches Verdächtige. Die Beschreibung Lecours, die ungefähr auf Herta Friebel passen könnte! Die merkwürdige Tatsache, daß sie sich öfter den Wagen ihres Chefs ausleiht, um — wohlverstanden ohne ihren Freund oder sonst eine Begleitung! — abends in Paris umherzufahren. Es ist immerhin sonderbar, daß eine junge Dame von 20 Uhr bis 2.30 Uhr nachts allein durch die Stadt fährt, eben zu der Zeit, da die Unbekannte ihr Opfer aus der Auvergne fertigmachte! In der Kleidung ist da allerdings eine Unstimmigkeit, aber die schöne Unbekannte ist klug genug, um irgendwo ein Nestchen zu haben, wo sie sich umkleiden kann. Und dann der Wagen selbst! Eine braune Renault-Limousine! Herr Lecour ist ein Mann der alten Schule und kennt leider nicht viel von Automarken, aber auch er beschreibt den Wagen der Unbekannten als einen geschlossenen, braungestrichenen Wagen. Wahrhaftig, es könnte stimmen!

      Valvert fühlt Jagdfieber in den Wangen brennen, als er zu dem nächsten Bogen greift. Sehen wir zu, was über Henry Heitinger ermittelt worden ist.

      Auch hier ist zunächst festgestellt, daß die Personalien richtig sind. Die nächsten Seiten wiederholen in der Hauptsache

Скачать книгу