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diese Wahl von diesem oder jenem Menschen getroffen worden ist. Zu diesem Zwecke müßte eine Reihe von anderen Variablen geklärt werden, zum Beispiel solche psychologischer Natur. Das Beispiel der Familie Scholem mag hier aufschlußreich sein: Einer der Söhne, Reinhold, wird deutscher Nationalist, und bleibt es sogar nach 1945 …; der andere, Werner, betätigt sich als kommunistischer Abgeordneter, und den dritten, Gerhard, kennen wir als Zionisten und Historiker der Kabbala … Das soziale Milieu allein kann eine derartige Unterschiedlichkeit der Lebensläufe ganz offensichtlich nicht erklären!

      Für den jüdischen Intellektuellen der »romantischen Generation« der Jahre 1880, der manchmal die halböffentlichen Kreise frequentierte, in denen der romantische Antikapitalismus erstmals in Begriffe gefaßt wurde (Lukács und Bloch besuchten den Kreis um Max Weber in Heidelberg), stellte sich sofort ein ganz bestimmtes Problem. Der Traum von der Vergangenheit, das wesentliche der romantischen Position, wurde von Assoziationen genährt, die über deutsches Nationalbewußtsein hinaus eine gemeinsame Geschichte und Religion, vielleicht sogar die Zugehörigkeit zur Aristokratie, voraussetzten.

      Wie aber sah die Beziehung eines Juden zum Germanentum der Vorfahren aus, zum mittelalterlichen Adel, zum protestantischen oder katholischen Christentum? Von diesem allen Deutschen gemeinsamen kulturellen Erbe war er völlig ausgeschlossen. Es ist richtig, daß bestimmten jüdischen Intellektuellen der Sprung gelang, vor allem die Mitglieder des Kreises um Stefan George waren hier sehr erfindungsreich. Rudolf Borchardt wandelte sich zum deutschen Nationalisten; Friedrich Gundolf und Karl Wolfskehl zu konservativen Germanisten, Hans Ehrenberg zum protestantischen Theologen. Aber derart extreme Fälle kamen selten vor, sie lassen auf eine einigermaßen künstliche, selbstentfremdende Entwicklung und eine völlige Verneinung der jüdischen Identität schließen. Eine nicht zu überbietende Manifestation dieser Haltung liegt uns vor im Werk jüdischer Antisemiten wie Otto Weininger und Theodor Lessing. Für die anderen und damit für die Mehrzahl gab es im Rahmen der Neuromantik nur zwei mögliche Auswege: entweder die Rückkehr zu den eigenen historischen Wurzeln, zur eigenen Kultur und zur Nationalität und Religion der eigenen Ahnen, oder der Glaube an eine romantische und revolutionäre Utopie, die universellen Charakter hatte. Es ist nicht erstaunlich, daß eine Anzahl jüdischer Denker deutscher Sprache, die als Anhänger des romantischen Antikapitalismus gelten können, beide Wege gleichzeitig wählten. Sie entdeckten die jüdische Religion für sich neu, vor allem die restaurativen und utopischen Tendenzen des Messianismus, und sympathisierten bzw. identifizierten sich sogar mit revolutionärem, utopischem Gedankengut, das in gleicher Weise von Sehnsucht nach der Vergangenheit erfüllt war. Wie wir oben bereits gezeigt haben, entsprachen beide Tendenzen in struktureller Hinsicht einander.

      Wie geht die politische Aktivierung dieser jungen jüdischen Intellektuellen vor sich? Wie läßt sich ihre Anhängerschaft an revolutionäre Utopien erklären?

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