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Karrieresucht zu sehen. Auch ehrliche und echte Überzeugtheit spielte eine Rolle. Sogar ein zutiefst religiöser Jude wie Franz Rosenzweig konnte 1923, kurz nach der Veröffentlichung seines großen theologischen Werkes Der Stern der Erlösung noch schreiben: »Ich glaube, die Verjudung hat aus mir keinen schlechteren, sondern einen besseren Deutschen gemacht … Und der Stern wird wohl einmal und mit Recht als ein Geschenk, das der deutsche Geist seiner jüdischen Enklave verdankt, angesehen werden.«7

      Natürlich findet man jüdische Intellektuelle deutscher Muttersprache seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (Moses Mendelssohn), aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist das Phänomen allgemein zu beobachten und wird zu einem neuen gesellschaftlichen Faktum. Diese jüdischen Intellektuellen sind ein typisches Beispiel für die sozial freischwebende Intelligenz, von der Mannheim spricht. Sie sind »deklassiert«, instabil, ohne feste soziale Einbindung. Ihre Lebensbedingungen sind ungeheuer widersprüchlich: tief verwurzelt in der deutschen Kultur, bleiben sie dennoch Außenseiter, Kosmopoliten, die ohne ihre Muttersprache nicht leben können, ohne innere Beziehung und im Widerspruch zu ihren geschäftstüchtigen, bürgerlichen Elternhäusern. Von der traditionellen, ländlichen Adelsschicht werden sie verachtet und haben keine Chance, in die gesellschaftlichen Kreise aufgenommen zu werden, wo ihr natürlicher Platz wäre (eine Karriere als Universitätsprofessor). Da sie ideologisch verfügbar sind, erliegen sie rasch der Faszination und fühlen sich von zwei entgegengesetzten Geisteshaltungen gleichermaßen angezogen. Thomas Mann hat die Eckpfeiler des Spektrums intellektueller Auseinandersetzungen im Deutschland jener Zeit im Zauberberg personifiziert: »Settembrini« verkörpert den liberalen Menschenfreund, Demokraten und Republikaner und »Naphta« den romantischen, konservativen Revolutionär.

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