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Gott war mein Zeuge – er hatte mir keine andere Wahl gelassen.

      In dem Moment erschien der Profos der „Seawind“ mit einer lodernden Fackel in der Hand im Niedergang vor der Back. Sein irres und zugleich triumphierendes Lachen drang durch den Kampflärm bis zu mir. Er schlug die Fackel einem Angreifer über den Schädel – dann schien sich das Halbdeck aufzuwölben. Ein gigantischer Feuerball sprengte das Vorschiff.

      Ehe ich von einer fürchterlichen Druckwelle erfaßt und hochgehoben wurde, begriff ich noch, daß der Profos die vordere Pulverkammer in Brand gesteckt hatte. Haltlos wirbelte ich durch die Luft, schlug einen erschreckten Herzschlag später irgendwo auf und wurde erbarmungslos zusammengestaucht. Vorübergehend erlöste mich eine Ohnmacht von allen Qualen.

      Übermäßig lange konnte ich nicht ohne Besinnung im Meer getrieben sein, denn als mich die schreckliche Kälte ins Leben zurückholte, war die „Seawind“ noch nicht untergegangen. Sie lag allerdings schon sehr tief im Wasser und brannte lichterloh.

      Von den Masten waren nur noch lodernde Stümpfe vorhanden, die Explosion hatte das gesamte Vorschiff bis zum Fockmast aufgerissen. In die Lecks ergoß sich schäumend die See.

      Ich trieb knapp hundert Yards von der Galeone entfernt, rings um mich eine Vielzahl verschieden großer Trümmerstücke. An einer Planke hatte ich mich unbewußt festgeklammert, ihr verdankte ich offenbar, daß ich noch lebte.

      Daß der Profos aus Verzweiflung gehandelt hatte, war mir klar, aber erst jetzt sah ich, daß er mehr bezweckt und auch erreicht hatte. Die spanische Galeone brannte ebenfalls. Bis hinauf in die Toppen hatten die Segel Feuer gefangen, ein wenig langsamer kroch die Glut an der Takelage hoch. Aus der Distanz sah es aus, als hätte eine Spinne ein glühendes Netz gewoben.

      Die schwere Schlagseite nach Steuerbord war ebenfalls unverkennbar, das Schiff leckte stärker, als die Mannschaft lenzen konnte. Daß die Spanier ebenfalls sinken würden, erfüllte mich mit Genugtuung und ließ mich vorübergehend meine eigene, wenig erbauliche Lage vergessen.

      Aber dann sah ich die Jolle und stellte gleich darauf fest, daß die Spanier zwei Boote ausgesetzt und bis zum letzten Platz bemannt hatten. Sie pullten aus Leibeskräften und schlugen die Segel an, als sie die unmittelbare Gefahrenzone verlassen hatten.

      Ich focht mit mir selbst einen verzweifelten Kampf aus. Sollte ich mich bemerkbar machen? Aber die Spanier dachten bestimmt nicht daran, mich aufzunehmen. Falls sie mich überhaupt beachteten, würden sie wohl eher auf mich schießen.

      Als ich endlich zu der Erkenntnis gelangte, daß ich als hilflos abtreibender Schiffbrüchiger kaum eine bessere Überlebenschance hatte und aus Leibeskräften zu rufen begann, segelten die Spanier schon zu weit entfernt. Sie hörten mich nicht mehr …

      Ich hatte die Augen geschlossen, um die irrlichternden Blitze nicht mehr sehen zu müssen, und versuchte, auch den rollenden Donner zu ignorieren. Beides fiel mir unsagbar schwer, denn die flackernde Helligkeit drang mühelos durch die Lider, und der Donner war so laut, daß er sogar Tote wieder zum Leben erweckt hätte.

      Der Wolkenbruch hielt unvermindert an, aber wenigstens war es ein warmer Regen.

      Mit der Zeit konnte ich zwei Gewitter unterscheiden. Das eine war aus Südosten herangezogen, der anhaltenden Windrichtung, das andere hing offensichtlich unverrückbar im Nordosten.

      Die Wellen hatten eine beachtliche Höhe erreicht und trugen Schaumkronen. Damals auf der „Seawind“ hätte ich mich in dieser Situation zu Tode geängstigt, doch inzwischen hatte sich sehr viel verändert. Ich war verständiger geworden und hatte gelernt, das Meer nicht mehr als meinen Feind zu betrachten. Heute genügte es, daß ich eine Planke hatte, die mir Halt bot, und mein Magen nahm selbst schweren Seegang gelassen hin, ohne zu rebellieren.

      Wenn die Strömung anhielt und der Wind nicht überraschend umsprang, trieb ich ohnehin der Küste entgegen. Vielleicht war ich dem Land schon näher, als ich dachte, und nur die Regenschleier hinderten mich daran, den fahlen Streifen an der Kimm zu sehen.

      Das Unwetter hatte sogar sein Gutes, brauchte ich mich doch möglicher Haie wegen nicht zu sorgen. Andererseits wurde ich zunehmend zum Spielball der entfesselten Naturgewalten, wurde in die Höhe gewirbelt und ebenso abrupt wieder fallen gelassen, die Wogen schlugen über mir zusammen und gaben mich erst wieder frei, wenn der Atem knapp wurde. Ich durfte das alles nicht als Kampf sehen, bei dem ich sicher unterlegen wäre, sondern nur als Kräftemessen, als Herausforderung, meine Stärke zu beweisen.

      Als der Donner endlich nachließ und die Schwärze aufriß, stand die Sonne bereits im Westen. Ich schätzte, daß es gegen zwei Uhr nachmittags war.

      Erschöpft und glücklich zugleich begann ich, die Kimm abzusuchen. Der Wellengang war immer noch hoch, aber sobald ich auf einen Kamm hinaufgetragen wurde, bot sich mir eine einigermaßen gute Sicht.

      Die Küste blieb verborgen. Auch kein Segel zeigte sich. Dabei war ich überzeugt, daß mich die Seewölfe suchten. Kapitän Killigrew ließ seine Leute nicht im Stich.

      Bald brannte die Sonne wieder gewohnt heiß am Firmament. Ich hatte mehrmals Salzwasser geschluckt und fühlte mich entsprechend schlapp und durstig. Jetzt wäre mir der Regen willkommen gewesen, doch die Wolken hatten sich verzogen. Mir blieb nur, hin und wieder die aufgequollenen Lippen mit etwas Speichel zu benetzen. Das half zumindest für den Augenblick.

      Die erneut einsetzende sanfte Dünung erlaubte mir, meine verkrampfte Haltung zu lockern. Ich gab der Erschöpfung nach, die mich für kurze Zeit einnicken ließ.

       4.

      März 1598.

      Ein Ruck ging durch das lichterloh brennende Achterschiff der „Seawind“, das sich gegen den Wind zu bewegen begann. Im ersten Moment verstand ich überhaupt nichts, entdeckte dann aber den Strudel, der das Wrack in eine schneller werdende Kreisbewegung zwang.

      Bevor die Galeone versank, erfolgten weitere kleine Pulverexplosionen, die sie mittschiffs auseinanderbrechen ließen. Eine Wolke von Funken und Asche stob auf und verwehte mit dem Wind.

      Dann: ein letztes, gequält anmutendes Ächzen, das gierige Gurgeln der See, und die „Seawind“ verschwand so spurlos, als hätte sie nie existiert.

      Die spanische Galeone hielt sich noch, aber ihr Todeskampf war ebenfalls nur mehr Sache weniger Minuten, denn inzwischen wurde die Steuerbordverschanzung schon von den Wellen überspült.

      Ich empfand weder Furcht noch Genugtuung. Eine seltsame Leere hatte von mir Besitz ergriffen.

      War ich noch ich selbst? Es erschien mir, als könne ich mich sehen, wie ich hilflos im Wasser trieb. Nicht einmal die Erkenntnis, daß ich vielleicht sterben mußte, berührte mich.

      Meine Gedanken schweiften nach London ab. Ich hörte Vater reden und mit Kapitänen um jede Kupfermünze feilschen, sah Mutter, wie sie, von schweren Hustenanfällen gebeugt, an ihren Kochtöpfen stand. Alle frühere Schönheit war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie grämte sich. Hielt sie mich für tot, oder hatte sie erfahren, daß ich einer Preßgang in die Hände gefallen war?

      „Mutter …“ Ihr Gesicht verwischte vor meinem inneren Auge und wich der endlos scheinenden Wasserwüste des Atlantiks.

      Allerlei Treibgut schwamm auf. Erschreckt beobachtete ich, daß da, wo die „Seawind“ gesunken war, Luftblasen aufstiegen. Kehrten die Toten zurück? Aber dann durchbrachen nur einige Fässer die Oberfläche, sprangen fast hoch und klatschten aufs Wasser zurück.

      Wenige Dutzend Schritte entfernt trieb eine Gräting. Sie erschien mir weitaus sicherer als die schmale Planke. Ohne zu zögern, schwamm ich hinüber.

      Die Gräting erwies sich in der Tat als ideal. Zum einen lag sie fester als ein Boot im Wasser, zum anderen war ich auf ihr kaum noch der unangenehmen Kälte ausgesetzt, die mir wie mit tausend Nadeln ins Fleisch stach. Sie hatte nur einen Fehler: Sie ließ sich in keiner Weise steuern. Nicht mal einen Mast konnte ich aufrichten.

      Im selben Atemzug fragte ich mich, wozu.

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