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und schüttelte den Kopf. Aber das Bild blieb: knapp eine Meile voraus zeichneten sich Segel vor dem wolkenlosen Himmel ab.

      In der ersten freudigen Erregung, noch unter dem Eindruck meiner Erinnerung an den Untergang der „Seawind“, glaubte ich, die Schebecke der Seewölfe vor mir zu haben. Doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuß.

      Die Segel waren hell, nicht geloht, und hatten Trapezform, im Gegensatz zu den reinen Lateinersegeln des Mittelmeerdreimasters. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Dhau oder einen der dhauähnlichen indischen Küstensegler. Die Hauptsache war jedoch, daß ich aufgefischt wurde. Alles Weitere ergab sich danach von selbst.

      Der fremde Dreimaster kreuzte gegen den Wind auf. Vermutlich war er in Nagapattinam oder einem der kleineren Küstenorte in See gegangen. Obwohl er sich nur langsam näherte, konnte ich bald Einzelheiten erkennen.

      Das Schiff hatte einen sehr weiten vorfallenden Bug und einen geraden Vorsteven, was dem Vorschiffbereich ein schlankes Profil verlieh. Das abgerundete Achtergatt wirkte ziemlich völlig. Die drei Masten standen parallel nach vorn geneigt, der Winkel betrug nach meiner Schätzung etwa zwanzig Grad, und die Segel wurden an überlangen Rahruten gefahren. In Tuticorin und ebenso in Mannar hatte ich Schiffe dieses Typs als Anderthalbmaster gesehen.

      Die Inder hatten mich entdeckt, denn sie holten die Segel herum. Ich hörte Stimmen, die ich nicht verstand, aber ich erwiderte die mir geltenden Zurufe.

      „Ich bin Engländer – Inglés, versteht ihr?“

      Das Palaver an Bord der Pattamar ging unverändert weiter. Ich sah bärtige, tief gebräunte Gesichter. Die meisten Männer trugen nur Wickelhosen und helle Turbane, ihre Oberkörper waren nackt.

      Ein überaus muskulöser Bursche warf mir ein Tau zu. Das Ende klatschte neben mir ins Wasser, ich brauchte mich nicht anzustrengen, um es zu greifen.

      Die Fahrt der Pattamar war immer noch hoch. Ich wurde untergetaucht, schluckte Wasser, zog mich mühsam in die Höhe und hatte Schwierigkeiten, der schäumenden Bugwelle zu widerstehen, die mich mit voller Wucht traf. Die Inder standen nur oben an der Reling und gafften, aber keiner zeigte Anstalten, das Tau einzuholen.

      Noch hatte ich anderes zu tun, als mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Wäre ich schon schwächer gewesen, hätte ich es vermutlich nicht geschafft, Hand über Hand und trotz der reißenden Strömung aufzuentern. Endlich war ich aus dem Wasser raus und konnte mich mit den Füßen am Schiffsrumpf abstemmen, kurz darauf zog ich mich ächzend über das Schanzkleid.

      Die Inder, fast alle verwegene Gestalten, standen im Halbkreis herum und gafften.

      „Danke für die Rettung“, sagte ich.

      Keiner, reagierte. Natürlich verstanden sie mich ebensowenig wie ich sie. Trotzdem wurde mir mulmig. Mich beschlich das Gefühl, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Die Gesichter starrten mich unverhohlen feindselig an, zum Teil lag auch Gier in den Blicken verborgen.

      Der Bursche, der mir das Tau zugeworfen hatte, war der jüngste unter ihnen, ich schätzte ihn auf knapp zwanzig. Er hatte kaum Haare auf dem Kopf, das rechte Ohrläppchen war ein verkrusteter Stummel, und die glatte Schnittkante ließ darauf schließen, daß er es im Kampf eingebüßt hatte. Sein Oberkörper wies unzählige helle Striemen und wildes Fleisch auf, beides unverkennbar die Folge einiger Dutzend Peitschenhiebe.

      Die meisten anderen Männer hatten ebenfalls Narben oder körperliche Besonderheiten. Mein Verdacht, daß ich keineswegs von Händlern aufgefischt worden war, wurde zur Gewißheit. Vor Indiens Küsten trieb sich genug Gesindel herum.

      „Ich bin Engländer“, wiederholte ich langsam und betont, zugleich bemüht, keine Unsicherheit erkennen zu lassen. „Bitte bringen Sie mich zu meinem Schiff, oder setzen Sie mich an Land ab.“

      Im Hintergrund entstand Bewegung. Der Mann, vor dem die anderen freiwillig zur Seite wichen, war annähernd sechs Fuß groß. Er war kahlköpfig, trug einen goldenen Ohrring, und von seiner Nasenwurzel aus zog sich quer über die rechte Wange eine schlecht verheilte Narbe.

      Als einziger an Bord trug er einen am Hals geschlossenen, bis zu den Knien reichenden Umhang. Der schwarze Stoff war mit Goldfäden durchwirkt. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich das stilisierte Abbild eines langmähnigen Löwen.

      Der Mann sagte etwas in einem indischen Dialekt. Sofort sprangen mich zwei Kerle seiner Crew an, der eine trat mir vor die Schienbeine, daß ich aufschrie, der andere stieß mich zu Boden. Ihre Gesten waren eindeutig: Ich sollte dem Kahlköpfigen meine Ehrerbietung erweisen.

      „Woher?“ herrschte er mich an.

      Ich war erstaunt, ein portugiesisches Wort zu vernehmen, obwohl das eigentlich nahelag. Immerhin beherrschte ich so leidlich einige Brocken dieser Sprache und konnte mich nun wenigstens mit den Indern verständigen.

      „Von da“, sagte ich und deutete nach Südosten. „Über Bord gegangen.“

      „Inglés?“

      Das war mehr Feststellung als Frage. Trotzdem bestätigte ich.

      „Großes Schiff?“

      „Ja und nein.“

      „Was heißt? Ist Kauffahrer?“

      Eine innere Stimme warnte mich davor, die Frage zu verneinen. Deshalb nickte ich, woraufhin die dunklen Augen des Glatzköpfigen einen eigenartigen Glanz erkennen ließen. Ich war nun endgültig überzeugt, Küstenpiraten in die Hände gefallen zu sein.

      Solange sie sich von mir einen Vorteil versprachen, würden sie mich am Leben lassen, mir aber ohne mit der Wimper zu zucken die Kehle durchschneiden, falls ich für sie wertlos wurde. Am liebsten wäre ich wieder über Bord gesprungen, aber das konnte ich nicht. Die Männer waren wachsam und würden mich zurückhalten.

      „Viele Kanonen?“

      „Ein paar“, sagte ich. „Aber warum …?“

      „Wie viele?“ Ehe ich mich’s versah, zuckte die Rechte des Piratenhäuptlings vor. Die Hand war zwar knochig, doch ihr Griff war ebenso unwiderstehlich wie der unseres Profosen. Mühelos zog er mich zu sich hoch. „Ich will es genau wissen.“

      Er drückte mir die Luft ab und merkte das auch, aber statt mich loszulassen, fletschte er nur höhnisch sein kräftiges Pferdegebiß.

      „Sechs auf jeder Seite“, hauchte ich, kaum noch zu einem vernünftigen Wort fähig. Der Griff lockerte sich daraufhin ein wenig.

      „Große Geschütze?“

      „Nur mit mittlerer Reichweite.“ Ich log bewußt. Falls die Piraten vorhatten, die Schebecke anzugreifen, sollten sie ihr blaues Wunder erleben. Al Conroy würde sie mit seinen Culverinen in Grund und Boden schießen.

      Der Glatzkopf stellte mich unsanft wieder auf die Füße, hielt mich aber noch am Hemd fest. Ich nutzte die kurze Atempause, um mich etwas ausgiebiger als zuvor umzusehen.

      Die Pattamar war mit einer Reihe unterschiedlicher Geschütztypen bestückt. Ob die Piraten unter diesen Umständen in der Lage waren, ein längeres Gefecht durchzustehen, bezweifelte ich. Die voneinander abweichenden Kaliber erforderten eine Vielzahl unterschiedlicher Geschosse. Davon abgesehen, mußten die Pulvermengen abgeschätzt oder abgewogen werden. Die richtigen Kartuschen gab es an Bord der Pattamar bestimmt nicht, zumal diese Ladetechnik keineswegs weit verbreitet war.

      Von Schiffsgeschützen verstand ich trotz meiner Jugend eine Menge. In Vaters Geschäft für Schiffsausrüstungen gab es schlichtweg alles zu kaufen, angefangen von Segelnadeln über Taue und Proviant bis hin zu Lafetten und gebrauchten Geschützrohren, die nicht unter das Monopol der Gießereien fielen. Ich hatte als Kind viel darüber gelernt und war aus dem Grund auf der „Respectable“ unter anderem als Pulveraffe eingeteilt worden.

      Drei Schritte vor mir stand eine Bastard-Culverine mit einem Geschoßgewicht von nur sieben englischen Pfund. Sie brauchte eine Pulverladung von sechseinviertel Pfund für ein optimales Schußergebnis.

      Gleich dahinter entdeckte ich eine Vierpfünder

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