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Dimitrij Senestry, der Löwe der Leinwand, jetzt, für den Spazierritt im Tiergarten gestiefelt und gespornt, in Sportjackett und bauschigen Breeches, die schwarzsamtne Reitkappe auf dem Haupt, am ersten mit seinem faltigen, bartlosen Charaktergesicht einem spleenigen englischen Lord. Nur die grossen Geisteraugen gossen immer noch ihr mystisches Helldunkel über die angelsächsische Nüchternheit der Züge. Der ausdrucksvolle Schauspielermund lächelte skeptisch.

      „Die Gouvernante im Harem?“ sagte er. „Na — hören Sie ’mal, Herr Doktor Billing: Nach dem Titel zu schliessen . .“

      „Sie spielen eine überlebensgrosse Inflationshyäne unserer Zeit! Keinen gewöhnlichen Berliner oder Wiener Raffke — sondern einen Millionenräuber ganz hinten aus dem Balkan — orientalischen Kriegslieferanten a. D. mit den ungebrochenen Raubtierinstinkten Halb-Asiens! Diese Aufgabe muss doch einen Meister wie Sie locken!“

      Der Mime sog den Honigseim. Er legte nervös die flache Hand vor das Antlitz.

      „Ich habe wieder Filmaugen!“ sagte er. „Ganz entzündet! Ich muss heute nacht Kamillen-Umschläge machen, wenn ich morgen bei Ihnen auf dem Posten sein soll! Und dabei dieser ewige Spektakel . . .“

      Die grosse Halle dröhnte von einem halben Hundert hämmernder Handwerker. Ein Generalstab fremder Herren war erschienen und stand in der Mitte. Gleich hinter der ,,Stella“ zog die „Venus-Film-Gesellschaft“ ein. Sie hatte von der „Stella“ die noch stehende Dekoration gemietet, um den byzantinischen Kaisersaal für ein Münchener Künstlerfest in Schwabing auszuschlachten. Flinke Fäuste nagelten, unter dem anfeuernden Händeklatschen der Innen-Architekten, das Schützenlies! an die Stelle der heiligen Helena, ersetzten die orthodoxen Reliquien durch Radi’s und, Masskrüge. Durch das Getümmel trottete geschäftig. Turkowitz heran, den Vertrag in der Hand, kraft dessen Herr Fritz Eichmann, genannt Dimitrij Senestry, sich von morgen ab auf vier Wochen dem „Memoria-Film“ verpflichtete. Er reichte das beiderseits unterzeichnete Schriftstück dem Charakterspieler. Der schob es in die Rocktasche — stutzte . . .

      „Da steckt ja ein Brief!“ sagte er. „Der war doch vorhin nicht drin! Meine Garderobe war doch verschlossen! Wie ist denn der Brief in meinen Rock gekommen?“

      „Sie haben Ihren Rock vorhin einen Augenblick ausgezogen und auf den Stuhl gelegt,“ sagte Götz Billing, „weil Sie ein Stück heruntergerutschter, byzantinischer Goldflitter an der Brust kitzelte! Da hat eine Verehrerin ’n Billetdoux ’reinpraktiziert . .“

      „Lesen Sie doch den Stuss . .!“ Turkowitz drängte neugierig, mit der Zunge anstossend . . „Macht doch Spass! Ich krieg’ so ’was nix!“

      „Ich kenn’ diesen Kohl auswendig!“ Dimitrij Senestry klemmte sich blasiert den Zwicker auf die lange Nase und öffnete das schmale Schreiben aus mattem Elfenbeinpapier. „Natürlich Damenhandschrift: . . ,Verehrter Meister! Eine Freundin Ihrer grossen Kunst’ — den Gänsen fällt doch nie ’was Neues ein — ,warnt Sie vor den ,Geheimnissen von Stambul’. . . Was? . . Herrschaften — was heisst denn das? . . . Dieser Film ist lebensgefährlich für alle Beteiligten! Geben Sie dem elenden Turkowitz — Hier steht: ,dem elenden Turkowitz’ . .“

      „Damit meint sie mich!“ sprach Ted Turkowitz.

      „. . ,die Rolle zurück. Eine, die um Ihr Leben bangt . . ’ Schluss!“

      „So ist ’n Glashaus! Die Wänd’ haben Ohren! . . .“ Der kleine Turkowitz zuckte gelassen die Achseln. „Neid! Neid!“

      „Dummer Spass irgendeines Witzbolds hier in der Nähe!“ sagte der Regisseur Billing.

      „Na — dann kann er auch gleich die Wirkung beobachten.“ Der Mime zerriss den Brief und liess die Fetzen zu Boden fallen. „. . Mahlzeit, Herrschaften!“

      „’n Augenblick! . . Ich hab’ die Dame herbestellt, die die Ehre haben wird, mit Ihnen zu spielen, Herr Senestry! Gleich wird sie antreten. Erschrecken Sie nicht: Es ist noch eine Anfängerin. Aber ein enormes Talent! Fragen Sie nur den Biling!“

      „Ich kenn’ sie ja gar nicht!“ raunte der Regisseur ärgerlich. Dimitrij Senestry achtete, sich eine Zigarette anzündend, nicht auf ihn.

      „Einerlei!“ lispelte der kleine, gelbliche Mann. „Loben Sie sie . . bis in die Puppen . . damit der Senestry Mut kriegt . . .“

      „Ja. Sie werden Ihre Freude an dem Mädel haben!“ sagte Götz Billing schnell und laut. „Noch ganz unverbildet . . ohne falsche Diva-Allüren — ein Kind der Natur . . .“

      Weiter! — mahnte ein Blick von Turkowitz. Ein Achselzucken des blonden Hünen dagegen, das hiess: ,Ich hab’ sie doch nie in meinem Leben gesehen! . . Und dann in Gottesnamen:

      „Das Fräulein ist sehr willig . . sehr eifrig . . sehr intelligent . . . Dabei leicht zu haben. Sie ist ja so glücklich, mit Ihnen spielen zu dürfen . . Sie können sie ruhig anschnauzen. Sie nimmt nicht leicht etwas krumm!“

      Dimitrij Senestry drehte ihm den verträumten Geisterkopf zu.

      „Wie heisst denn die Perle?“ fragte er skeptisch.

      „Ja . . . Herrgott . . Turkowitz . . Wie war doch gleich der Name?“

      „Da kommt sie eben!“ rief Ted Turkowitz.

      An der Verbindungstür zwischen den Garderoben und dem Atelier stand Hansine Peternell vor dem einäugigen Wächter. Ungeheures Erstaunen malte sich auf ihrem schmalen, grossäugigen Gesicht.

      „Mich wollen Sie nicht in den Saal lassen? Mich . .“ sprach sie leise und erschüttert. „Ja — für wen halten Sie mich denn?“

      „Holen Sie sich man drüben Ihre paar Kröten!“ Der Kriegsversehrte wies nach den Kassenschaltern an der Seitenwand, die den mit ihrer Ausweiskarte in der Hand sich drängenden Statisten ihre Tagesgelder auszahlten. „Sie wissen doch janz jenau, Fräulein, dass der Komparserie das Betreten des Saales verboten ist.“

      „Kom-par-se-rie . .? Ja — Mann Gottes: Wie soll denn der neue Monumentalfilm der Memoria’ ohne mich in der Hauptrolle gedreht werden? Sehen Sie nur, wie aufgeregt mir drüben der Herr Generaldirektor Turkowitz zuwinkt!“

      „Verzeihen Sie, jnädige Frau . .“ Der Kriegsteilnehmer trat schnell einen Schritt zurück und gab ihr, militärisch grüssend, den Weg frei. „Det war allerdings ’ne optische Täuschung von mir! . . Verzeihen Sie . . .“

      „Oh bitte . . . bitte . .“, sagte Hansine Peternell mit der liebenswürdigen Herablassung der angehenden Diva. Es durchrieselte sie warm bei diesem ersten Sonnenstrahl von oben. Sie schritt elastisch, lächelnd, ohne Übereilung, den Kopf im Nacken, auf Turkowitz und Senestry zu. Sie trug jetzt einen braunen Komplet-Anzug, braune Strümpfe, braune Halbschuhe, braunes Topfhütchen — braune Schirmkeule — eine Symphonie in Braun. Ihrem ranken Wuchs passte das Hängekleidchen von billiger Berliner Konfektions-Eleganz wie nach Luxus-Schneidermass der Lennéstrasse. Sie ähnelte mit ihrem kurzgeschnittenen Hellblond und ihrer klaren Hautfarbe, in dem langen Schritt und dem sorglosen Schaukeln der Schultern einer frischen, jungen vom Sportplatz kommenden, blauäugigen englischen Miss.

      „Na — Meister . .“ Der Tarnopoler rollte seine ewig unruhigen Kirschaugen begeistert zu dem Mimen Senestry empor. „Was sagen Sie nu?“

      „Auffallend hübsch!“ Der Glashauskundige nickte prüfend. „Nicht mehr ganz jung . . . Mitte zwanzig . .“

      „Höchstens!“

      „Aber sie hat dabei etwas Taufrisches, Unverbrauchtes!“ sprach Dimitrij Senestry in wachsendem Wohlgefallen.

      „Das ist er — der internationale Typ!“ Ted Turkowitz lispelte in seinem Eifer. „Der neue Weltgeschmack! . . Dünn wie ’n Hering, schlenkert im Gehen mit Armen und Beinen, . . ’n Bubikopf . . .“

      „. . und doch kein Schiffsjunge im Weiberrock!“ ergänzte der Mime sinnend. Er liess kein Auge von der Peternell, die, wohl wissend, dass man sie kritisch beobachtete, sich mit unbefangenem, sonnigem Lächeln näherte.

      „Nein:

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