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Maria Silbert«, erklärte sie mit rauher Stimme und zog die Beine unter sich zum Schneidersitz zusammen, »mein Führerschein ist in meiner Handtasche. Die kleine schwarze. Neben dem Herd.«

      »Also, wie war’s?« fragte der jüngere der beiden Polizisten, hockte sich neben sie und nahm die Mütze ab. »Der Herr Grundner hat Sie also gebeten, ihn nach Hause zu fahren?«

      Eva nickte.

      »Und Sie hatten keine Bedenken? Ich meine, Sie waren doch sicher auch nicht mehr ganz nüchtern?«

      »Ich hatte sehr viel weniger getrunken als er. Nur ein paar Gläser Wein.«

      »Gut. Und dann? Sie müssen den Unfall doch bemerkt haben.«

      »Nicht wirklich«, behauptete sie.

      »Das müssen Sie uns schon näher erklären.«

      »Es gab so etwas wie …« Sie suchte nach Worten. »… einen dumpfen Schlag gegen den rechten Kotflügel. Aber ich dachte nicht, daß wirklich etwas passiert wäre.«

      Der Polizeibeamte richtete sich auf und sah Fabian an. »Und Sie, Herr Grundner? Was können Sie uns zu diesem Zwischenfall sagen?«

      Gespannt wartete Eva, was er zu ihrer Entlastung vorbringen würde. Gegen alle Vernunft rechnete sie mit seiner Hilfe. Sie wußte, sein Einfallsreichtum kannte keine Grenzen.

      Aber er zuckte nur die Achseln und erklärte leichthin: »Ich? Gar nichts. Ich habe tief und fest geschlafen. Fräulein Silbert mußte mich erst wecken, als sie den Wagen geparkt hatte. War es nicht so, Eva?«

      Sie schwieg.

      »Sie standen also vor der Entscheidung, sich um den Unfall zu kümmern oder Ihren Freund unbehelligt nach Hause zu bringen?«

      Sein Kollege hatte inzwischen die Handtasche gefunden und prüfte Evas Führerschein. »Das geht zu weit, Gerd«, sagte er, »darüber muß das Gericht befinden. Sie werden verstehen, daß ich Ihren Führerschein einziehen muß, Fräulein Silbert.«

      »Ja«, sagte Eva und versuchte aufzustehen, mühsam, das immer noch halbvolle Brandyglas in der Hand.

      Der Polizist nahm es ihr ab und half ihr auf die Beine. »Das wär’s dann. Sie werden eine Vorladung bekommen.« Er stellte das Glas auf Fabians Schreibtisch ab und stülpte sich die Mütze auf die braunen Locken.

      »Einen Augenblick noch, bitte!« rief Eva. »Was ist mit dem Verunglückten? Ihm oder ihr? Den ich angefahren haben soll, meine ich?«

      »Seinen Papieren nach ein gewisser Titus Durchdenwald.«

      »Seinen Papieren nach? Was heißt das?«

      »Er war noch nicht ansprechbar«, sagte der Polizist, den sein Kollege Gerd genannt hatte.

      Eine plötzliche Röte schoß in Evas bisher geisterhaft blasses Gesicht. »Aber er wird doch nicht … sterben?«

      »Wir wollen’s nicht hoffen. Also dann. Gehen wir.«

      Die Polizisten tippten sich an ihre Mützen und wandten sich zur Tür.

      Eva lief ihnen nach. »Wo ist er? Wo kann ich ihn finden?«

      »Man hat ihn ins Kreuzberger Krankenhaus gebracht.«

      »Aber, wie gesagt, er ist noch nicht ansprechbar.«

      Dann waren sie gegangen, und Eva und Fabian blieben allein zurück.

      »Eine schöne Scheiße«, sagte Fabian aus tiefstem Herzen.

      »Wir hätten anhalten sollen! Wir hätten …«

      »Hör auf damit! Das nützt uns jetzt doch auch nichts mehr.«

      Eva ging zum Schreibtisch und leerte das Glas. »Stimmt«, sagte sie nur. Sie begriff, daß es keinen Sinn hatte, sich selber oder gegenseitig Vorwürfe zu machen. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich durch Worte nicht aus der Welt schaffen.

      Sie begann den Tisch abzuräumen, hielt mitten drin inne und fragte: »Oder ißt du noch was?«

      »Danke. Mir ist der Appetit vergangen.«

      »Ich spüle das nur noch eben weg und bring’ die Couch in Ordnung. Dann muß ich nach Hause.«

      »Ich weiß schon. Großer Putztag mit Tante Katrin.«

      »Einmal in der Woche muß es sein«, verteidigte Eva sich mechanisch.

      Es war durchaus nicht so, daß er sie ständig um sich haben mochte. Aber es ärgerte ihn immer wieder, wenn sie von sich aus nicht bei ihm bleiben wollte. Doch in dem einen Punkt blieb Eva ihm gegenüber fest: daß sie den Samstag ihrer Tante widmete, für die sie während der Woche meistens zu wenig Zeit hatte. Sie hatte der jüngeren Schwester ihres Vaters so viel zu verdanken. Tante Katrin war es gewesen, die sie zu sich geholt hatte, als sie, noch in der Pubertät, durch die ewigen Streitereien ihrer Eltern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben worden war. Ohne das Eingreifen ihrer Tante, davon war sie auch heute noch überzeugt, wäre sie in der Klapsmühle gelandet. Sie war damals so weit gewesen, daß sie mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen hatte, in dem verzweifelten Versuch, nichts mehr hören und sehen zu müssen.

      Sie war froh, als er sich ausnahmsweise nicht näher auf dieses Thema einließ; er mußte wohl spüren, daß er damit den Bogen überspannt hätte.

      »Soll ich dich nach Hause bringen?« fragte er statt dessen.

      »Danke. Sehr lieb von dir. Aber ich kann genausogut die U-Bahn nehmen.«

      »Ganz, wie du willst.«

      Mit leichter Verbitterung wurde ihr bewußt, daß er, der den Unfall verursacht hatte, in aller Seelenruhe weiter Auto fahren durfte, während es ihr jetzt und auf unabsehbare Zeit verwehrt war. Aber war sie denn wirklich ohne Schuld? Hätte sie ihn nicht zwingen müssen anzuhalten? Es war ihre verdammte Schwäche, die sie schuldig oder zumindest mitschuldig hatte werden lassen.

      Hastig schaffte sie Ordnung. Dann rollte sie ihr kleines schwarzes Partykleid von der Nacht zuvor zusammen – dachte daran, daß sie es wohl niemals mehr ohne schwere Gedanken würde tragen können – und verstaute es mitsamt ihrer gebrauchten Wäsche und anderen persönlichen Utensilien in ihrem kleinen leichten Koffer aus Leinen und Leder. Sie nahm Geld aus ihrer Handtasche und legte sie in den Koffer.

      Er hatte inzwischen weder Anstalten gemacht, ihr zu helfen, noch sich anzuziehen, sondern war unruhig auf und ab gegangen und ihr im Weg gewesen, während sie die Zeitungen eingesammelt und zusammengefügt hatte.

      Als sie in ihren Mantel geschlüpft war, standen sie sich gegenüber.

      »Also bis dann«, sagte sie.

      »Bis dann«, wiederholte er.

      Aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

      Sie wartete darauf, daß er sie bitten würde, die letzten Seiten seines Manuskriptes abzuschreiben. Aber er tat es nicht. Sie wußte, daß es klug gewesen wäre, jetzt einfach zu gehen. Doch sie brachte es nicht über sich.

      »Bist du mit deinem Theaterstück weitergekommen?« fragte sie.

      »Ja.«

      »Das freut mich für dich.« Es kostete sie eine gewaltige Willensanstrengung, aber es gelang ihr, sich zur Tür zu wenden.

      »Eva«, sagte er leise.

      Wie erlöst drehte sie sich zu ihm um. »Ja?«

      »Bist du denn nicht gespannt darauf, wie es weitergeht?«

      ›In meinem eigenen Leben gibt es Spannungen genug‹, hätte sie beinahe erklärt. Statt dessen sagte sie das, was er hören wollte: »Doch, natürlich. Darf ich es lesen?«

      »Wenn du es mir abschreibst.«

      »Tue ich das nicht immer?«

      »Ja, das tust du.« Er ging zum Schreibtisch, öffnete die mittlere Schublade und nahm einen flachen Stapel

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