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dann hieß es in allen Klavierklassen und auch bei denen, die andere Instrumente erlernten: „Die Wildhofer spielt. Das ist zwanzig Pfennig wert.” Der Saal war immer überfüllt, wenn sie — gewöhnlich zusammen mit dem noch vollendeter spielenden Mirko Machaczek — ein Schülerkonzert gab. Bald würde sie ihr erstes öffentliches Konzert geben; Dämpfinger sagte kürzlich: „Wozu brauchen Sie noch die Abschlußprüfung zu machen, Wildhofer? Sie und der Mirko sind fertig.”

      Ja — sie und der Mirko waren auch miteinander fertig. Charlo ließ die manikürten Hände in den Schoß sinken und kreiselte einmal auf dem Klavierstuhl rundherum. Sie schaute verbissen sinnend in den engen Hof hinaus, gegen die Fensterfronten der Vorderhäuser, die hier in einem Karree zusammenstießen. Kahl wie der alte Kastanienbaum, der aus der Hofmitte bis zum vierten Stock emporwuchs (die „Cicaden” wohnten im dritten), und ebenso von Winterstürmen gezaust sah ihre Seele aus. Mirko, ja, der hätte sie gern für immer an sich gerissen und nicht mehr losgelassen so wie in dem kleinen Tanzlokal, das sie zum Schluß am Neujahrsmorgen aufsuchten — in der „Lagune”, einer Künstlerschänke geradeüber vom Schöneberger Rathaus.

      Die Ohrfeige aber, die Mirko von ihr erhielt, hatte gesessen. In der Minute war Charlo noch einmal ganz nüchtern gewesen. Am liebsten hätte sie ja Stefan auch eine Watschen verabreicht, weil er über das freche Zudringlichwerden Mirkos laut lachte, anstatt — eifersüchtig herbeizuspringen und an ihrer Stelle die Exekution vorzunehmen.

      Mirko hatte daraufhin Hut und Mantel vom Garderobenständer gerissen und war mit unheildrohender Miene grußlos davongestürzt. „Der gibt’s dir zurück, Charlo,” hatte Sabine Wendt, die kleine Cellistin, ihr zugeflüstert. Aber Charlo hatte nur die Achseln gezuckt: Was ging sie Mirko an? — Stefan!

      „Stefan —” flüsterte Charlo in die Abenddämmerung. So zärtlich, wie es ihr keiner zugetraut hätte.

      Große Flocken kamen vom Himmel und überschütteten auch den Hinterhaushof, in den Charlo sinnend hinausschaute, mit einem besänftigenden Silberglanz.

      „Constanze weiß ja gar nicht, was Liebe ist —” flüsterte Charlo vor sich hin. „Vielleicht aber lieben das gerade solche Männer wie Stefan.”

      In diesem Augenblick rief Stefan Klodwig an: „Wo ist Constanze?” Natürlich — die erste Frage: wo ist Constanze?

      „Stanzi geht spazieren im Park. Sicher hängt sie einer stillen Liebe nach.”

      „Charlo, sei doch nicht gehässig. Habt ihr euch gezankt?” fragte Stefan besorgt. Natürlich war er nur um Constanze besorgt.

      Charlo lachte. Ihr Lachen hatte viel Musik in sich wie alles an ihr Musik war: der Schritt, die Gesten, die Sprache. Ihre dunkle Stimme flog Stefan wie ein seltsamer Nachtfalter durchs Telefon an: „Aber keine Spur, lieber Stefan! Stanzi und ich zanken? Kommt gar nicht in Frage!”

      „Also, Kinder, hört,” ließ sich der angehende Musikdozent von drüben vernehmen, Charlo sah ordentlich, wie er bei diesen Worten die Brille zurechtrückte und mit einer gewissen verlegenen Gebärde über seinen schon etwas sich lichtenden Scheitel fuhr, „wißt ihr, was passiert ist?”

      „Nun, lieber Stefan —?”

      „Die Spanier sind aus meinem Haus ausgezogen.”

      „Die Spanier? Hurrah für dich, Stefan! Da brauchst du dir endlich nicht mehr alltäglich zur Nachmittagsschlummerstunde das disharmonische Harmonikagedudel anzuhören, das der Sprößling dieser ehrenwerten Torerofamilie vollführte. — Der Vater war kein Torero? Ganz gewöhnlicher Geschäftsreisender? Na, aber mit seinem Musterkoffer schritt er die Treppe immer hinab wie ein Torero in die Arena. Also — die sind fort. Ich gratuliere.”

      „Und das muß gefeiert werden. Ich lade euch demzufolge huldvollst zu einer Tasse Kaffee ein. Kuchen bringt bitte von euerm Senkbley mit. Constanze hat ja da bei dem Bäckergesellen einen Stein im Brett. Der sucht ihr dann die schönsten Stücke aus. Ich bezahl ihn natürlich —”

      „Den Bäckergesellen?”

      „Den Kuchen!”

      „Ach ich dachte den Bäckergesellen, damit er weiter der süßen Constanze Äugelchen macht.” Charlo biß sich auf die Lippen. Das hätte sie nicht sagen sollen. Es kam gereizter heraus als beabsichtigt. Bums — Stefan hat es auch richtig gemerkt:

      „Du bist ungerecht gegen Constanze. Im übrigen —: Constanze ist nicht nur das zuckersüße Puttchen, als das du sie hinzustellen beliebst.”

      „Woher die Wissenschaft?”

      „Ich weiß es. Auch — ohne — Wissenschaft. Aber nun verdirb mir nicht die Freude, Charlo. Du kommst?”

      „Natürlich, lieber Stefan.”

      „Und sagst es Constanze?”

      „Mit feierlichster Musikbegleitung. Was soll ich dazu spielen, wenn ich’s ihr verkünde: „Ich trage meine Minne voll Wonne stumm.... Oder: Ach, ihres Auges Zauberblick —”

      „Das wirst du nicht tun, Charlo. Versprich mir’s!” Stefan wurde sehr ernst.

      „Huch, wie offiziell! Gern, lieber Stefan. Ich gehorche dir immer aufs Wort. Das weißt du. Adjüs!”

      „Auf Wiedersehen!”

      V

      Schließe mir die Augen beide

      mit den lieben Händen zu!

      Geht doch alles, was ich leide,

      unter deiner Hand zur Ruh.

      Und wie leise sich der Schmerz

      Well’ um Welle schlafen leget,

      wie der letzte Schlag sich reget,

      füllest du mein ganzes Herz.

      Stefan hatte die beiden Stormschen Liebesstrophen vertont. Es war sein erster Versuch einer Liedkomposition. Aber es war ihm schon meisterlich gelungen. Bisher hatte er solche „Spielereien” streng von sich abgewehrt, wenn die Versuchung ihn ankam, auch einmal dies oder jenes freischaffend zu probieren. Nur was in die Methodik seines Lernens paßte, übte er mit Eifer und Sorgfalt aus. Er galt als der begabteste Musiktheoretiker von allen Hochschülern, die augenblicklich die Hochschule für Musikerziehung besuchten. Denn dort hatte er auch bereits mehrere Semester belegt, um noch vor Ostern das staatliche Musikerzieherexamen zu machen. Dazu — welch Klavierspieler! Wie liebkoste er sein Cello! Wie feinfühlig dirigierte er schon den Hochschulchor! Gewiß — Charlo spielte entflammter, besessener, genialer —! Stefan aber diente mit mustergültiger Hingabe den Werken der Großen.

      Weil er sich der erdrückenden Übermacht dieser klassischen Werke bewußt war, hatte er bisher nichts selbst zu komponieren versucht außer solchen Stücken, die für die Tonsatzlehre unerläßlich und von den Lehrern vorgeschrieben waren.

      Nun hatte er’s gewagt!

      In seinem schlichten möblierten Zimmer, das Beethovens Totenmaske an der Wand zierte, sonst kahl wie eine Mönchzelle neben dem Klavier nur Bett, Schrank, Tisch und ein paar Stühle enthielt, hatte er’s ihnen, Charlo und Constanze, vorgespielt. Kaffee und Kuchen zur Feier des „Auszugs der Spanier mit ihrem harmonikadudelnden Sprößling” waren verzehrt.

      Mit leiser Stimme hatte er’s gesungen. Sein sich zärtlich einschmeichelnder Bariton zitterte vor innerer Erregung. Charlo merkte es. Constanze, der das Lied galt, hörte es kaum. Jedenfalls machte sie sich nicht die Gedanken, die sich Charlo sofort machte.

      Stefan hatte beiden den Rücken gekehrt, als er am Klavier sein Liebeslied sang und sich selbst begleitete. Aber Charlo spürte deutlich, wie alle unsichtbaren Wellen seiner sehnenden Seele zu Constanze hinströmten. An ihr vorbei. Das tat weh.

      Als Stefan sich jetzt langsam umwendete und die Gesichter der beiden Mädchen prüfte, wie das Lied auf sie gewirkt hätte, da lächelte Charlo und kam Constanzen mit ein paar fein und klug gewählten Lobesworten zuvor. Verglich das Lied mit Pfitznerschen und Richard Straußischen Vertonungen

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