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waren, kehrte in Hospel und in den Dörfern wieder Dürre und Mangel ein. Der Zorn der Bewohner des großen Thales wandte sich gegen die Venediger und die Leute von St. Peter, da sie schuld an dem Unglück seien. Die Dörfer forderten sie durch Boten auf, daß sie die Leitung wieder herstellen, doch wagte es niemand, an die senkrechten Weißen Bretter hinaufzusteigen, Kännel darüber hinzuführen und sie zu befestigen. Da stellten die Hospeler und die Dörfer im Thal bei Tremis Wachen auf, sie ließen niemand weder nach St. Peter hinein, noch von dort nach Hospel hinaus. »Unglück über uns!« klagten die von St. Peter, aus Mangel zogen die Venediger über die Schneelücke ab, das Bergwerk zerfiel und die Füchse wohnten in den Stollen. Die Not wurde immer größer, denn die kleinen Aeckerchen, welche die Leute um das Dorf hin anlegten, gaben nicht genug Brot, es fehlte das Holz und viele Bewohner erfroren im Winter. Der Pfarrer erlag der Seuche, die im Dorfe herrschte, niemand verkündete mehr das Wort Gottes. Da sagten die von St. Peter: »Ehe wir gottlos werden wie die wilden Tiere, ehe unsere Kinder ins Leben treten ohne Taufe, die Söhne und Töchter heiraten ohne Trauung, die Greise sterben ohne Beichte und Sakrament, wollen wir uns mit Gewalt den Thalweg erzwingen.« Mit Sensen und Gabeln fielen die Männer und Frauen von St. Peter über die Wachen bei Tremis und töteten sie, aber in der zweiten größeren Schlacht, die beim Bildhaus an der Gemeindegrenze von St. Peter und Tremis geschlagen wurde, erlagen sie. Die Krieger aus dem großen Thal drangen bis ins Dorf vor, raubten und plünderten und die Bewohner mußten sich ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben.

      Da kam ein großes Versprechen zu stande, das für ewige Zeiten ins Landrecht aufgenommen wurde. Die von St. Peter sollen die heligen Wasser an den Weißen Brettern vorüberführen und sie vom Gletscher an bis zum Bildhaus bei Tremis unterhalten, wie es das gemeinsame Wohl forderte, dafür sollen sie ungehindert aus dem Thale verkehren können und ihre Weinberge zurückerhalten, die vorderen Dörfer aber sollen die Leitung von der Brücke an besorgen und Friede immerdar währen.

      Jetzt wußten die von St. Peter, daß ihnen nichts anderes übrig blieb, als die heligen Wasser, sollte es auch alle Bürger kosten, an den Weißen Brettern vorüberzuleiten. Sie bestimmten, daß das Los unter ihnen entscheide, wer von ihnen die großen Eisenringe, in die man die Kännel hängen wollte, hoch an den gräßlichen Felsen befestigen müsse. Des Losens war kein Ende, einer nach dem andern stieg hinauf, schon waren sieben gefallen, das Wehklagen des Dorfes füllte das Thal, und viele, die das Los noch verschont hatte, wanderten heimlich mit ihren Haushaltungen über die Schneeberge aus. Da war ein Ehrloser, Matthys Jul mit Namen, der zu Hospel an einer Kette im Gefängnis lag, weil er einen andern Mann im Zorn erschlagen hatte. Er anerbot sich, die Leitung herzustellen, wenn er dadurch seine Freiheit und Ehre wiedererlange. Man führte ihn an die Weißen Bretter und siehe da – ihm gelang es, die Reifen festzumachen und die Kännel zu legen. Die Merkhämmer klopften, das Wasser floß nach langem Unterbruch wieder fröhlich durchs Thal; da wurde beschworen, daß jede Blutschuld gesühnt sei, wenn der Thäter die heligen Wasser an den Weißen Brettern aus dem Verderben rette.

      Alle zweimal sieben Jahre, bald ein paar Sommer früher, bald ein paar Sommer später, saust die Wildleutlaue über die Weißen Bretter herunter und zerstört die Wasserfuhre, immer muß dann ein Mann auf Leben und Sterben an die Felsen emporsteigen, daß er die Kännel wieder füge, und geheimnisvoll waltet, wenn sich kein Freiwilliger meldet, darüber das Los.

      Als vielhundertjährige, durch Brauch und Sitte, ja sogar durch die kirchlichen Anschauungen geweihte unablösbare Fron liegt die Instandhaltung der heligen Wasser auf dem Dorf, der milde Segenspender von Hospel ist der Drache von St. Peter, der die blühende Mannschaft des Dorfes verschlingt. Dunkle Sagen melden von manchem Opfer, das unfreiwillig an die Weißen Bretter emporgezwungen worden ist; mit den Ueberlieferungen, die von den Unglücksfällen berichteten, welche an den schrecklichen Wänden geschehen sind, könnte man ein Buch füllen.

      Auf einer der vielen Gedenktafeln im grauen Kirchlein an der Brücke, das einst den fröhlichen Bergknappen als Gotteshaus diente, sagt eine Inschrift, die auch schon halb verblaßt ist, kurz und schwer: »Welche Trauer! Der Totfäll' ist kein End'!«

      Sollen die Opfer überhaupt nie enden? – Die Sage tröstete, einst würde ein Liebespaar St. Peter von der Blutfron an den heligen Wassern erlösen, aber eine Jungfrau müsse darüber sterben. Wann? – Ja, wohl erst, wenn sich die andere Sage erfüllte, daß auf den Bergen, auf denen jetzt die großen Gletscher liegen, Rosengärten blühen, der kreisende Adler sich des fallenden Zickleins erbarmt und es der Mutter bringt.

      Heute ist Wassertröstung – Losgemeinde. Nur scheu und verstohlen wagt sich die Frage, die auf allen Herzen brennt, hervor: Wer wird an die Weißen Bretter steigen müssen? – Das Los – das blinde Los, wen trifft's? – Sie liegt wie ein Alpdruck auf den Gemütern, denn keiner weiß, ob nicht er aus der alten silbergetriebenen Urne des Dorfes, die noch an die Bergwerksherrlichkeit erinnert, sich die Verdammnis ziehen wird, als Bürger von St. Peter den Gang auf Leben und Sterben zu wagen. Er – oder wenn nicht er, sein Vater, sein Sohn oder sein Bruder. Auf jedem Herzen liegt die Furcht und gräßliche Spannung. Da ist kein Unterschied zwischen arm und reich, wer zwischen zwanzig und sechzig Jahren und im Besitze der bürgerlichen Ehren steht, der muß dem Rufe folgen, wenn er aus der Losurne an ihn ergeht.

      Auf die erste Nachmittagsstunde, nachdem die heligen Wasser gebrochen waren, sollten die Bürger zur Losgemeinde einberufen werden. So forderten es die alten Satzungen. Vom Fall der Lawine an bis zur Loswahl standen in St. Peter alle Rechtshandlungen, die sich nicht auf die heligen Wasser bezogen, Kauf, Verkauf, Taufe, Hochzeit und Begräbnis still. Beim Ehrenverlust durfte niemand das Thal verlassen, alle hatten dem Klang der Glocken zu folgen, die vom Mittag an eine Stunde lang zur Wassertröstung läuteten. Die Satzungen drängten auf rasches Handeln, und das war gewiß besser als die lange Ungewißheit; um so furchtbarer aber lasteten die kurzen Morgenstunden auf dem Dorfe, denn noch war die Abmachung zwischen dem Presi und Seppi Blatter nur wenigen bekannt, und die schwiegen.

      Die einen, die im Bären saßen, stierten trübsinnig in das Glas und der Wein mundete ihnen nicht, die anderen tranken und johlten dazu.

      St. Peter, das stille Dorf, wo die Leute kaum zu lachen und zu reden wagten, war heute laut und lebendig, der Hälfte der Bewohner hatte die Furcht und Spannung die Zunge gelöst.

      »Hört! – hört!« Alle drängten sich um den Tisch, wo der bocksbärtige Bälzi beim Schnaps hockte und prahlerisch wiederholte: »Ich weiß, was ich weiß – es kommt nicht zum Losen. Es meldet sich einer.« Allein er blieb bei dunklen Andeutungen – enttäuscht wandten sich die anderen von ihm ab: »Er ist ein unzuverlässiger Lump. Gebt nichts auf den!«Doch hatte sich's schon einigemal zugetragen, daß sich unverhofft und in den bittersten Nöten ein Freiwilliger für die gefahrvolle Arbeit meldete. Im Anfang des Jahrhunderts ein armer, braver Knecht, der umsonst beim harten Vater um die Hand der Meisterstochter gebeten hatte. Er legte die Kännel, und die Gemeinde trat für ihn als Freiwerber ein. Im Jahre 1819 fiel ein Freiwilliger, der geglaubt hatte, seinem toten Vater, der wandeln mußte, die Ruhe zu verschaffen. Und nachdem zweimal das Los gewählt, hatte sich vor vierzehn Jahren Hans Zuensteinen freiwillig als Helfer gestellt; sein Gang war die Lösung eines Gelübdes, das er für die glückliche Errettung seines Weibes aus dreitägigen Nöten bei der Geburt Eusebis gethan hatte.

      Darauf hatte man ihm das Ehrenamt des Garden verliehen, das er musterhaft verwaltete.

      Wunderbar wäre also nicht, wenn auch jetzt wieder einer, von den geheimen Mächten des Lebens getrieben, aufstehen und den Bann von der Gemeinde nehmen würde.

      Susi, die alte Trottel von Haushälterin, und Mägde aus dem Dorf besorgten die Wirtschaft, der Presi ließ sich seit einer halben Stunde nicht blicken, aber wenn die Gäste gehorcht hätten, so hätten sie seine schweren Schritte durch die Decke über sich gehört.

      »Gott's Maria und Sankt Peter – Räusche haben wir alle gehabt.« – Jetzt stand er im Selbstgespräch still und stützte sich auf den Tisch. »Ich muß hinter sich machen.« Er nahm ein beschriebenes Blatt Papier, er that, als wolle er es zerreißen. Er legte es aber wieder hin. »Was angefangen ist, muß man vollenden.« Er lief und wiederholte: »Dumm« – »dumm« – »dumm.« Der Mann kämpfte gegen sich selbst, daß ihm die hellen Schweißtropfen auf der Stirne standen. Er hatte nichts Großes gegen Seppi

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