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als Fränzi sanft mahnte, er möchte doch zum Garden gehen, sagte er ganz traurig: »Ich bin todmüde – gute Nacht, alle zusammen.«

      Beklommen ging der Haushalt zur Ruhe und die harte Tagesarbeit brachte Josi wenigstens bald den Schlaf.

      Er wurde furchtbar daraus geweckt. Ihm war im Traum, als rüttelte der Wind am Haus, als knackte das Schindeldach – er wurde munter – das Getöse dauerte fort, die Balken knarrten, die Ziegen im Stall begannen zu meckern. Im Dorf bellten die Hunde und von weit her hörte er das Vieh plärren. Er schlich sich erschrocken zur Luke, die von seinem Dachgemach ins Freie ging. Der Himmel über den Bergen war sternklar, aber vom Stutz herauf schwebte es wie ein grauer Nebel und die Luft wogte. Feiner Schneestaub begann zu rieseln, die Gegend verfinsterte sich.

      Da wußte er es: Die Wildleutlaue an den Weißen Brettern ist gegangen.

      Jetzt fingen die Glocken zu läuten an, wie es Brauch ist in St. Peter, wenn eine Lawine, ein Gewitter oder ein Brand im Thale wütet. »Betet, betet!« läuteten sie.

      Halb angekleidet stieg Josi in die Stube hinunter.

      Welch ein Anblick! Die Mutter saß totenblaß auf einem Stuhl, vor ihr auf dem Boden kniete, barfuß und nur halb bekleidet, der Vater, das Haupt in ihren Schoß geneigt, seine sehnigen Hände um die ihrigen geschlungen.

      Der gewaltige Mann stöhnte, schluchzte und rang nach Worten, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen. Vroni saß am Tisch vorgelehnt, durch die Hände, mit denen sie das Gesicht bedeckt hielt, drangen die Thränen, ihre junge Brust bebte vor Leid.

      »Was giebt's?« fragte Josi; als er aber von keiner Seite Antwort erhielt, fingen vor Angst auch ihm die Glieder an zu zittern, die Zähne zu klappern.

      Da kam's aus der Brust des Vaters, als würde ihm das Herz abgedreht und sich im Leib auch eine Lawine lösen:

      »O Fränzi – liebe Fränzi – ich habe es versprochen – ich muß an die Weißen Bretter steigen.«

      Ein Schrei drang aus der Hütte in die Nacht, er kam von Vroni. Die Mutter saß entgeistert, sie hatte willenlos ihre Hände aus denen des Vaters gelöst und strich ihm über den Scheitel. Sie flüsterte immer nur: »Mein armer Seppi – mein armer Seppi! Das also ist's, warum du nicht hast reden können. Gott! Gott!«

      Ihr Streicheln und ihre Worte beruhigten den Knieenden, so daß er, wenn auch nur stoßweise, sprechen konnte.

      »Ich habe dem Presi die drei Zinslein für das Aeckerchen bringen wollen. Der Bäliälpler mit der krummen Nase hockte da – der Wildheuer Bälzi mit den wässerigen Augen und dem schwarzen Bocksbart. – Wir haben um eine Maß gehäkelt. – Ich habe beide über den Tisch gezogen. – Da fingen sie an zu necken und zu hänseln. – Ich sei wohl stark, aber doch ein Hasenherz und wage mich nicht, wie sie, auf die Kronenplanken. Ich höre eine Weile zu und sage nichts. Da kommt endlich der Presi und redet von der Wildleutlaue. Er lacht, er spricht so drum her, es könnte einer ein schönes Stück Geld verdienen, wenn er die Gemeinde nicht zum Los kommen lasse. Ich meine, es geht auf Bälzi. ›Hast ja acht Kinder, laß dich auf den Handel nicht ein!‹ sage ich.

      »›He, es wird einer an die Bretter steigen müssen,‹ machte der Presi unwirsch, ›er braucht ja nicht grad in die Ewigkeit zu fallen.‹ Ein Wort giebt das andere. Plötzlich sagt er zu mir: ›Wenn einer noch drei Zinslein schuldig ist, braucht er den Mund nicht so weit aufzumachen, wie du, Seppi; gescheiter wär's, du stiegst an die Weißen Bretter.‹

      »Ich bin wie vom Donner getroffen, ich rolle das Geld aus dem Sack auf den Tisch, da höhnt er: ›Eben, eben, hast die Loba verkauft. Wenn ich's schon nicht hätte erfahren sollen, so weiß ich's. Hättest mir wohl vorher einen Deut thun können.‹ Ich darauf: ›Es darf doch noch einer sein Rind verkaufen, ohne daß so und so viel Franken in den Fingern des Presi bleiben.‹

      »Da schlägt er auf den Tisch, brüllt, es sei traurig, wenn einer an der Zahlung von vierhundert Franken sechs Jahre herumzerre. Und er kündigt mir den Brief auf Martini.

      »Ich habe immer gehofft, er werde wieder gut zu mir, er ist sonst nicht ungrad und wir sind alte Schul- und Militärkameraden, drum bin ich in der Stube sitzen geblieben. Er ist auch wieder artig geworden, man redet, man trinkt, da lacht er auf einmal: ›Wage den Streich, Seppi, steige an die Weißen Bretter. Auf deinem Aeckerchen, das für vierhundert Franken verschrieben ist, steht noch eine Schuld von hundertachtzig Franken. Ich will nicht der Presi sein, wenn die Gemeinde dir nicht den Brief abnimmt, sofern du die heligen Wasser wieder herstellst; sage ja, und ich übernehm's auf meine Verantwortung, ich gebe dir gleich den Vertrag. Die Genehmigung durch die Gemeinde bleibt vorbehalten. Soll ich schreiben?'

      »›Nein, nein,‹ schreie ich und kann fast nicht reden, ›kennst du das Vaterunser: Und führe mich nicht in Versuchung!‹

      »›Ho,‹ meint er, ›es ist ein schöner Verdienst, du kannst an einem Tag nicht mehr gewinnen. Du verdienst nicht so viel in einem Jahr. Und wenn ich das Briefchen kündige, kommst du auch in Verlegenheit.‹«

      »›Ein dummer Teufel bist,‹ sagte Bälzi.«

      »Ich trinke, die anderen lachen: ›Den Schlotter hast, aber keinen Mut!‹ Da habe ich den Wein im Kopf gespürt, ich habe auf einmal den Acker deutlich vor mir gesehen, wie er schuldenfrei voll Aehren steht. – Hin und her hat es mich gezerrt, daß mir ganz taumelig geworden ist. – Der Presi schreibt, die anderen zwei schwatzen auf mich ein, ich sehe nichts, ich höre nichts. – Da liegen die Scheine vor mir, der Presi sagt: ›Du mußt unterschreiben, – entweder den Empfang der Kündigung oder den Vertrag, daß du an die Bretter gehst.‹

      »Ich nehme die Kündigung, da schreit Bälzi: ›Du Großhans, wo willst du zu Martini hundertachtzig Franken hernehmen? Da hast den anderen Schein!‹

      »Mir ist schwarz worden vor den Augen – ich habe nicht mehr gesehen, was ich unterschrieb – als der Presi den einen Vertrag eingesteckt hat, habe ich es gewußt, was ich gethan.

      »Da ist die Sünde!« Der bleiche Mann zog aus der offenen Weste ein zerknittertes Papier hervor und warf es auf den Tisch. Dann neigte er sein Haupt in den Schoß seines Weibes.

      Lautes Weinen erfüllte die Hütte; mit dem rauchenden Kienspanlicht, das seinen flackernden Schein über die Gruppe des Elends warf, kämpfte das Morgenrot.

      Kapitel Drei

      Die Wildleutlaue ist gegangen!

      In der Nacht schon standen die Leute in Gruppen vor den Häusern des Bergdorfes, redeten miteinander, und als der Morgen kam, dachte niemand ans Tagewerk.

      Im Bären saßen schon Gäste. Ihre Zahl wuchs, als die, welche an den Stutz hinausgegangen waren, um die Größe der Verwüstung zu sehen, zurückkehrten. Sie brachten den Bericht, den man erwartete: die Lawine hatte die Leitung der heligen Wasser von den Weißen Brettern hinuntergefegt und den Abgrund der Glotter mit Eis und Schnee gefüllt.

      Also ist heute Wassertröstung! Die Bauern erzählten sich die Schrecken der Nacht: Die Scheiben klirrten, die Luft sprengte die Thüren auf, die Betten wackelten, die Kinder schrieen, die Frauen riefen zu den Heiligen.

      Die alten Sagen von den heiligen Wassern hatten freien Lauf. Binia, die der Lärm aus dem Bett geschreckt hatte und wie ein aufgescheuchter Vogel verwirrt und übernächtig von einem Gemach des Hauses zum anderen flatterte und überall fortgeschickt wurde, hätte in der großen Wirtsstube nur zu horchen brauchen, um den Rest der Geschichte zu vernehmen, den ihr Vroni schuldig geblieben war.

      Nachdem die Venediger den Wildleutewald geschlagen hatten, kam an der Stelle, wo die große Arve gestürzt war, ein weißer Fleck, der Felsen, zum Vorschein und glänzte, als ob dort ein Stück Schnee nicht weggegangen wäre. Mit jedem Gewitter und jeder Schneeschmelze wurde der unheimliche Fleck größer, die Weißen Bretter wuchsen gespenstisch aus dem dunklen Erdreich, die Wasser wühlten die Furren, schlechte Jahre machten die Gletscher groß und eines Tages wischte ein Gletscherbruch die Kännel der heligen Wasser, deren Befestigung immer schmieriger wurde,

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