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mag das Gleiche nicht zweimal sagen.«

      »O, das macht mir und Sebi nichts, wenn du nur erzählst,« versicherte Binia.

      Da begann Vroni:

      »Man wunderte sich, wie die Wildleute Wasser in die Weinberge hinaufführen oder tragen werden und viele Leute gingen nach Hofpel hinaus, um es selber zu sehen. Die Wildleute fingen aber bei St. Peter zu arbeiten an, sie hieben Bäume um und höhlten die dicken Stämme fast ganz aus, so daß breite und tiefe Kännel entstanden. Den ersten legten sie an das Gletscherthor, aus dem die Glotter ins Thal läuft, und dann viele Hunderte daran, den Anfang des einen in das Ende des anderen, immer fast eben hin. Von Zeit zu Zeit prüften sie, ob das Wasser hindurchfließe, und wenn es lief, so tanzten sie vor Freude und klatschten in die Hände. ›Alleweil sanft, alleweil sanft,‹ riefen sie sich zu, und da ihnen der Boden des Thales zu rasch abwärts ging, zogen sie die Kännel den Berg entlang, so daß sie viel höher als der Thalboden zu liegen kamen und sich hoch am Berg dahinwanden. Die Thalleute wunderten sich, daß sich die Wildleute so viel Mühe gaben, sie wußten nicht, was werden solle. Die Wildleute aber riefen:

      ›Sunneschyn, ja Sunneschyn

      Macht die ruchen Wasser fyn!‹

      »Wo ein Baum stand, der die Kännel beschattet hätte, fällten sie ihn. So zogen sie die Leitung der Sonnenseite des Thales entlang und hoch durch ihren eigenen Wald zwischen dem Dorf und dem Schmelzwerk, wo jetzt die Weißen Bretter sind:

      ›Durefüehren, durefüehren,

      Zirble aber nit anrüehren!‹

      »So riefen sie sich ängstlich zu. Den Leuten kam es seltsam vor, daß die Wasserleitung im Wildmannliwald am Schatten gehen sollte, sie aber sagten:

      ›E Wurzen git dem Berg den Halt

      Und wenn sie bricht, so fallt der Wald!‹

      »So bauten sie die Kännel, viele Kirchtürme hoch über Hospel kam das Wasser in die Weinberge, und vom langen Lauf an der Sonne war es ganz warm.

      »,Aber es ist ja trüb, was sollen wir mit trübem Wasser anfangen? murrten die Weinbergleute. Die Wildleute jedoch tanzten wie närrisch um die fertige Leitung und mahnten:

      ›Trüebe Wasser, güldige Wyn!

      Grabend Gräben, lassend's yn!‹

      »Die Leute folgten dem Rat, sie gruben Furchen zu den verdorrten Weinstöcken und siehe, die Reben grünten und trieben Schosse, wo ein Tröpflein hinkam, sproßte das Gras, die Bäume schlugen aus. Das ganze Land um Hospel wurde schön wie ein Garten und prangte in Fruchtbarkeit.

      »Die Leute standen da, die Eltern zeigten das Wunder den abgemagerten Kindern, die Greise weinten vor Freude und streckten die Hände ins Wasser, daß sie merken, wie es riesele.

      »Da rief einer: ›O du heliges Wasser‹, und alle antworteten: ›Ja, heliges Wasser, heliges Wasser!‹ Seither hat man die Leitung nie anders genannt.

      »Die Dörfer des Thales, St. Peter, Tremis und Fegunden, und alle jene, die von dem Ueberfluß der Hospeler Wasser erhielten, traten zu einer Landsgemeinde zusammen. Sie beschworen, daß niemand das helige Wasser letzen oder damit Vergeudung treiben dürfe, sie setzten Verbannung oder Tod darauf, sie legten das Landbuch an, in dem jedes Grundstück aufgezeichnet und ihm das Maß des Wassers bestimmt ist, das ihm zur Tages- oder Nachtzeit zugeleitet werden darf, sie bestellten beeidigte Wächter, die nachsahen, daß keiner zu viel und keiner zu wenig vom Segen erhielt. Und alle drei Jahre legten die Leute den Finger auf das Landbuch, daß sie ewig halten, was darin stehe. Von da an hatten die von St. Peter Reben, die Wildleute aber zogen sich wieder tief in den Wald zurück.«

      Während Vroni so sprach, schien es, als bewegten sich den steilen Alpenweg hinab drei Bündel. Zuerst waren sie nur wie dunkle Punkte gewesen, aber jetzt wurden sie größer und größer. Ihre Träger sah man nicht, aber die Erzählerin jubelte, sich selber unterbrechend, doch: »Sie kommen, schaut, wie viel Heu sie haben. Es ist das erste des Jahres.«

      »Bis sie da sind, erzähle noch ein wenig, Vroni, es ist alles schön, was du sagst,« schmeichelte Binia. Selbst der blöde Sebi nickte.

      Vroni, das sah man ihren glänzenden Augen an, war im Zug:

      »Das dauerte lange, lange Zeit. Die Menschen kamen auf die Welt und starben, niemand wußte mehr etwas anderes, als daß die heligen Wasser Jahr um Jahr Segen und Fruchtbarkeit spendeten. Unterdessen betrieben die Venediger den Bergbau, sie lebten üppig und in Freuden, das fröhliche Leben ging im Bären nie aus. Die von St. Peter wurden durch den Wein, den sie an den Bergen von Hospel pflanzten und den Knappen verkauften, sehr reich. Allein es kam die Zeit, wo die Bergleute alles Holz, das an den Thalseiten wuchs, für ihre Feuer abgeschlagen hatten, und wegen der Lawinen und Steinschläge wuchs das neue nur langsam nach. Der Holzmangel war groß. Der Wald der Wildleute aber, der so nahe am Schmelzwerk lag, stand in Schönheit und Pracht. Da boten die Venediger denen von St. Peter so viel lötiges Silber, als sie in sieben Wochen gewannen, wenn sie diesen Wald schlagen dürfen. Da man schon lange keinen Wildmann mehr gesehen hatte und die Leute glaubten, die Wildleute seien gestorben oder fortgewandert, so verkauften sie den Forst, der nicht ihnen gehörte, und die Venediger schlugen ihn. Manchmal, wenn die Bergknappen die Axt in einen der Bäume hackten, erscholl aber aus dem Wald ein Klagen, wie wenn Kinder weinen würden, und aus den Gebüschen hörte man das Geräusch der fliehenden Wildleute. Als die Knappen die Axt an die älteste Arve legten, überpurzelte der mächtige Baum, es klirrte, wie wenn im Boden eine Kette reißen würde, und ein Wildmannli, das erschreckt forteilte, rief:

      ›Untrü, Untrü, du machst großes Weh,

      Jetzt hebt der Wald am Berg nit meh!‹

      »Das war der letzte Wildmann.«

      Vroni brach ab. Die Wildheuer, der Vater, die Mutter und Josi, mit ihren Lasten waren herangekommen. Sie warfen ihre Bündel ab, streiften die weißleinenen Kapuzen zurück, die ihre Köpfe vor dem Heustaub schützten, und wuschen sich am Brunnen, der neben der Hütte summt, die erhitzten Gesichter und die Hände.

      Vroni, die fast den ganzen Tag einsam gewesen war, begrüßte die Ankömmlinge mit lebhafter Freude, aber sie dauerte nur einen Augenblick. Warum zog sich die Stirne des Vaters so finster zusammen, als er Binias ansichtig wurde, was war das für ein fremder, schmerzlicher Zug, der über das braune Gesicht bis in den blonden Bart hineinzuckte?

      Plötzlich schrie er wie aus wilder Qual heraus Binia an: »Fort mit dir, du Schlechthundekind!«

      Die Erschrockene und Verwirrte, die das böse Wort wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf, stand einen Augenblick fassungslos, dann flüchtete sie so schnell wie eine Gemse. Hinter ihr drein Eusebi, der aber weit zurückblieb.

      Fränzi und die Kinder standen verdutzt; erschreckt, vorwurfsvoll sagte die Frau: »Seppi, Seppi! bist du letzköpfig geworden? Die Binia hat dir ja nichts gethan!«

      Der verstörte Mann gab keine Antwort, er setzte sich auf den Dengelstein, mit verbissener Wut begann er die Sicheln zu rüsten, als ob sie in Stücke gehen müssen.

      Fränzi ging beleidigt ins Haus, Vroni standen die hellen Thränen der Kränkung in den Augen, Josi machte sich mit dem Heu zu schaffen, damit seine tiefe Verlegenheit nicht zu auffällig sei.

      »Vater, der Garde hat gesagt, Ihr sollt heute abend noch zu ihm kommen!« wagte Vroni schüchtern zu melden.

      Da schnob Seppi Blatter: »Hole der, welcher hinkt, den Garden mit dem Presi!«

      Weinend lief Vroni davon. Mutter und Kinder verstanden den Vater nicht mehr. Den ganzen Tag war er einsilbig gewesen und hatte gebrütet. Und jetzt war er so sinnlos wild, er, der Mann, der sonst immer von stiller Gemütsheiterkeit war und gern einen Scherz machte, wenn ihn die Sorgen nicht zu stark drückten.

      Etwas mußte gestern abend im Bären vorgefallen sein.

      Aber was? – Wenn er es nicht freiwillig sagte, erfuhren es Mutter und Kinder nicht. Das wußten sie schon.

      Als die Haushaltung in der kleinen Stube beim Abendbrot,

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