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sie erlauschte, war immer nur das Klagen des Windes in den Felsen.

      Hatte er wohl das Thal verlassen und war ohne Abschied über Hospel hinaus in die weite Welt gegangen, wie jener Bursche im Kirchhoflied? Hinweg vom Grab des Vaters und der Mutter.

      »Gebräunter Bursch ist fortgezogen,

      Den Mund so frisch, den Blick so hell,

      Dahin mit Wellen und mit Wogen

      Gewandert ist der Frohgesell.«

      Oder war er einsam irgendwo auf den Bergen verunglückt? – Sie hoffte es fast, denn ein toter Bruder wäre ihr lieber gewesen als einer, der in Unehren lebt. O, was mochten die Mutter und der brave Vater in ihrer Abgeschiedenheit von Josi denken.

      Oft fielen die Thränen um ihn auf das Armseelenmahl, das sie für die Toten rüstete. Und doch ging es ihr gut. Die stolze Gardin sprach zwar von oben herab zu ihr, behandelte sie, wenn es der Garde nicht sah, wie eine Magd und predigte ihr Bescheidenheit.

      »Ich bin ja gewiß bescheiden,« dachte sie dann, »wenn ich nur im Haus bleiben darf.«

      Wenn sie aber besonders niedrige Dienste verrichtete, wenn sie die Jauchetanse an den Rücken hängte oder den Mist der Schweine aus dem Stall zog, dann knurrte der breite Garde: »Du darfst das nicht thun, Vroni; laß das den anderen!«

      Eusebi freute sich darüber unbändig und begann den Vater nachzuahmen, indem er sie von den rauhesten Arbeiten zurückhielt, die Gardin aber schmollte: »Herrgott, ist Vroni, weil sie blondes Haar und ein sauberes Gesichtchen hat, denn eine Prinzeß?«

      »Die ist mehr als eine Prinzeß, Gardin; merkst du nicht, daß uns Gott das Mädchen eigens zum Trost ins Haus geschickt hat? Sieh dein Schmerzenskind, den Eusebi, an. Denke, wie er noch vor zwei Jahren war und wie er jetzt ist. Stottert er noch? Läßt er die Glieder noch so elend hängen? – Nein, es ist eine Freude, wie der Bursche alles nachholt, was er in sechzehn Jahren versäumt hat.« So mahnte der Garde voll Vaterglück.

      »Meinst du, es freue mich nicht auch?« fragte seine Frau, »meinst du, es freue das Mutterherz nicht am meisten – warum bin ich denn so viel gewallfahrtet für Eusebi!«

      »Deine Wallfahrten in Ehren, dem Burschen aber haben nichts als Geschwister gefehlt; doch hätten ihn sechs Brüder und sechs Schwestern nicht so geweckt wie die einzige stille Vroni.«

      »Nun – nun – ich lasse ja sie gelten, wenn sie nur nicht einen so geringen Bruder hätte.«

      »Daran ist der Presi schuld!«

      So tauschten Garde und Gardin ihre Meinungen.

      Nicht so bald, wie er es zu Vroni gesagt hatte, sondern erst gegen den Herbst hin kam der Presi zu dem langsam genesenden Freunde auf Besuch. Binia begleitete ihn. Aber zwischen den beiden Männern war nichts als Streit und Zank.

      »Wenn der Bursche hinter die genagelte Thür in der Stadt kommt, wenn St. Peter diese Schande hat oder wenn er, wie's den Anschein hat, verhungert an den Bergen modert, so liegt's auf Eurem Gewissen, Presi. Ich hätte mit dem Peitschenstiel auf Euch losgehen mögen, als Ihr den Waisenbuben zu Bälzi gabt.«

      Da fuhr der Presi auf: »Gott's Donnerhagel! So ist mir noch niemand gekommen! Garde – Garde! – Wißt Ihr noch, was der Lumpenhund gesagt hat?«

      »Ihr seid der Presi, seid doch erhaben über ödes Geschwätz. Und nun wollen wir Binia fragen, ob er's wirklich gesagt hat!«

      Binia, die sich in der Küche bei Vroni leise nach dem verschwundenen Josi erkundigte, kam auf den Ruf des Presi hochrot vor die entzweiten Männer, und auf ihre Frage funkelte der Mut der Verzweiflung in ihren Sammetaugen, ihre Nasenflügel und Lippen bebten.

      »Vater! – Vater! – er hat's nicht gesagt – ich schwör's Euch noch einmal wie am Tag nach Fränzis Tod – er hat's nicht gesagt – sondern der Kaplan Johannes.«

      Ihre Stimme klang wie ein zersprungenes Glöckchen, sie stand da wie eine kleine Märtyrerin.

      »Wie am Tag nach Fränzis Tod,« wiederholte der Garde und sah den Presi mit zusammengezogenen Brauen scharf an.

      Da wurde der Presi bleich vor Scham und Zorn. »Hast du auch nicht gesagt, du wolltest Josi heiraten?« Er stammelte es mehr, als daß er es sprach.

      »Wohl, in meiner Verwirrung habe ich so viel geschwatzt, was ich nicht hätte sagen sollen.« Angstvoll und entschlossen zugleich sprach Binia, der Presi aber warf ihr einen Blick zu, als wolle er sie zu Boden schmettern.

      »Hinaus mit dir und heute nicht mehr unter meine Augen!«

      »Was für einen Mut hat das Kind,« knurrte der Garde beruhigend, als sich Binia geflüchtet hatte, »Presi, tragt dem Mädchen Sorge.«

      »Dem Kaplan will ich zünden!« schnob der Presi.

      Das kurze Gespräch hatte dem Garden ein Licht aufgesteckt. Darum also haßte der Presi Josi so grimmig, weil Binia ein Auge auf den hübschen Burschen geworfen hatte. Er wiegte, als der Presi gegangen war, den Kopf.

      »Kinder – Kinder! – Aber sie wachsen wie die Tannen und die Tannen sprengen mit den Wurzeln den Fels. Grad so die Jugend mit ihrer Liebe, es muß nur eine echte sein!« Zwischen Binia und Josi lag allerdings nicht nur ein Fels, sondern ein Berg. Und aus Josi wurde der Garde nicht klug. War der Bursche wirklich so empfindlich, daß er wegen eines unverdienten Donnerwetters seinen Vormund verleugnete?

      Da steckte ihm Vroni ein zweites Licht auf. Das sanfte Kind beichtete aus freien Stücken, doch als ob sie sich für ihren Bruder tief in die Erde schämen müsse: »Denkt, Pate, heute ging der Kaplan mit seinem Bettelsack am Haus vorbei, und als er mich sah, kam er und sagte, Josi lasse mich grüßen. Es gehe ihm wie einem Herrn.«

      Der Garde wußte jetzt, woher Kaplan Johannes die Mineralien für seinen Sommerhandel bezog.

      Der Herbst kam, die Fremden reisten von St. Peter, fort, mit klingendem Spiel zog das Vieh von den Bergen, voran die mit Enzianen geschmückte Meisterkuh. Jetzt mußte sich Josi, wenn er noch lebte, zeigen. Dem Winter, dem furchtbaren Höhenwinter würde er nicht trotzen, der würde ihn schon zu den Menschen zwingen, da verließen ja selbst die armen Seelen die Höhen, über die der Wind hinpfiff, und schlichen sich nachts in die Häuser, und die ausgehungerten Gemstiere kamen zu den Stadeln und schnupperten nach dem aufgespeicherten Heu.

      In der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen gab Josi bestimmte Kunde seiner Anwesenheit. Auf den Gräbern seiner Eltern lagen am Morgen Bergastern und standen Kerzen, und die hatte Vroni nicht hingethan.

      Sie entzündete sie und es waren ihr zwei Hoffnungsflammen.

      Was litt sie um Josi immer noch! Wo sie ging und stand, flüsterten die Leute: »Die Schwester des Rebellen!« und jetzt fragten sie: »Woher hat er das Geld gehabt für die Kerzen?« Andere trösteten wohl: »Man sieht's, daß er nicht verstockt ist, die Geschichte seines Vaters hat ihm nur den Kopf zerrüttet und der Presi hat ihn mit seiner Schärfe ganz um den Verstand gebracht.« Doch das war ein schlechter Trost.

      Der erste Schnee fiel, grimmige Kälte trat ein, Josi erschien nicht als reumütiger Sünder im Dorf. Da waren die Leute überzeugt, daß er nun doch verhungert sei, und erwarteten, daß man im Frühling sein Gerippe in irgend einer Alphütte finden werde.

      Kaplan Johannes, den der Garde einmal zur Rede stellte, gab zu, daß Josi eine Weile für ihn Krystalle gesucht habe, aber jetzt sei er, so versicherte er, ohne Ziel in die Welt gewandert.

      Das war nicht glaubwürdig, wer in St. Peter geboren ist, geht nicht von St. Peter fort, eher war Josi aus Mangel gestorben.

      »Aber vielleicht hat ihn das Kirchhoflied verführt!« seufzte Vroni.

      Der Presi kratzte sich im Haar: der Bube, der lieber verdarb als sich ergab, kam ihm unheimlich vor. »Der ist noch zehnmal stärker als sein Vater,« dachte er mit nagendem Verdruß.

      Und in den Abendgesellschaften der Dörfler lief dem toten Josi zu Ehren wieder die alte Kaufbriefgeschichte mit allerlei Verzierungen.

      Josi

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