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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По
Читать онлайн.Название 50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
Год выпуска 0
isbn 9782291092247
Автор произведения Эдгар Аллан По
Жанр Учебная литература
Издательство Bookwire
In diesem Augenblick hörte man von draußen eine Kinderstimme.
»Da ruft eines?«
»Nein, meine gnädigste Frau, meine Kinder sind nicht hier. Die sind im Wald draußen, beim Vater, und die Älteste, die jetzt sieben ist, das heißt, sie wird acht zu Michaeli, die muß schon die kleine Mutter sein und die beiden andern in Ordnung halten. Denn die Magd hat in der Küche zu tun und mit dem Vieh im Stalle. Da muß denn eben alles mit anfassen. Und die gnädige Frau sollten das Kind sehen, wie sie sich in Respekt zu setzen weiß, ja, sie gehorchen ihr besser als mir, denn die Kinder untereinander besinnen sich nicht lang, ob ein Klaps paßt oder nicht. Und mein Mann sagt oft: ›Sieh, Frau, die Trude versteht es besser als du: so mußt du's machen. Du bist zu gut.‹«
»Und das trifft auch wohl zu?«
»Nun, bös bin ich grade nicht. Aber wer will sagen, daß er zu gut sei? Wenn man so gut ist, wie man nur irgend sein kann, ist man noch immer nicht gut genug. Am wenigsten gegen die Armen. Ach, meine gnädigste Frau, das lernt man im Wald. Wenn man die Not der Menschen sehen will, dann muß man im Walde leben und das arme Volk sehen, das sich ein bißchen Reisig zusammensucht und immer noch in Angst ist, daß sie was mitnehmen, was sie nicht mitnehmen dürfen. Aber ich habe meinem Mann auch gesagt: ›Tu, was du mußt; aber wenn's sein kann, drück ein Aug zu, denn die Not ist groß.‹ Und wer den Armen ein Leid tut oder strenger ist als nötig, der ist wie der Reiche, der nicht ins Himmelreich kommt.«
Cécile nahm die Hände der jungen Frau. »Ihr lieber Mann wird wohl so sein, wie Sie selber sind. Mir ist nicht bang um ihn. Aber wenn er auch anders wäre, Sie werden ihn schon bekehren und für seine Seele sorgen, und er wird das Himmelreich haben, wie Sie selbst, dessen bin ich sicher. In einer guten Ehe muß sich alles ausgleichen und balancieren, und der eine hilft dem andern heraus.«
»Oder reißt ihn auch mit hinein«, lachte die junge Frau.
»Vielleicht, vielleicht… Aber ich denke, die Gnade rechnet mehr unsere Guttat an als unsere Schuld.«
Cécile wollte nur ruhn, aber zuletzt war sie doch eingeplaudert worden; ein paar Pfauentauben flogen aufs Fenstersims, und die junge Frau Försterin verließ leise das Zimmer, um auf die Veranda, wo nur noch St. Arnaud und der Präzeptor verblieben waren, zurückzukehren und hier Mitteilung zu machen, daß die gnädige Frau schlafe.
»Das ist gut«, sagte St. Arnaud, »ich sah, daß sie der Ruhe bedurfte. Nun aber, mein Herr Präzeptor, müssen Sie mich mit Ihrem ganzen Gewese bekannt machen. Ich find es nur in der Ordnung, daß man im Publikum überall von Ihrem ›Schloß Rodenstein‹ spricht, denn wirklich, Ihr Gasthaus hängt wie eine Burg am Felsen. Ist es Granit?«
»Porphyr, Herr Oberst.«
»Desto besser, oder wenigstens um eine Stufe vornehmer. Aber vornehmer oder nicht, ich muß das alles sehen, immer vorausgesetzt, daß Ihnen Ihr Fuß ein Umhersteigen gestattet.«
»O gewiß, mein Herr Oberst, wenn Sie nur Geduld mit einem alten Invaliden haben wollen, der ein etwas langsames Tempo hat und immer nur einen Schritt macht, wenn andre drei machen.«
»Ganz nach Ihrer Bequemlichkeit. Ich werde Sie doch nicht um etwas bitten und Ihnen zum Dank für die Gewähr auch noch das Tempo vorschreiben wollen. Das wäre doch ein gut Teil zuviel. Aber nun sagen Sie mir zuvörderst, was bedeutet das Tempelchen, das ich da sehe? Hier, gleich links, auf der obersten Spitze?«
»Das ist mein Schmuckstück, mein Belvedere, wohin ich Sie gerade führen möchte. Da tritt der Porphyr am reinsten heraus, und Altenbrak liegt uns zu Füßen. Erlauben der Herr Oberst, daß ich die Tête nehme.«
Bei diesen Worten erhob er sich und schritt, sich auf sein Weichselrohr stützend, auf einen in den Fels gehauenen Zickzackweg zu, der nach dem Aussichtstempelchen hinaufführte. St. Arnaud folgte, schwieg indes, weil er wahrzunehmen glaubte, daß dem alten Herrn nicht bloß das Steigen, sondern auch das Atmen schwer wurde.
Nun aber war man oben und sah in die Landschaft hinaus. Was in der Ferne dämmerte, war mehr oder weniger interesselos, desto freundlicher aber wirkte das ihnen unmittelbar zu Füßen liegende Bild: erst das Gasthaus, das mit seinem Dächergewirr wirklich an eine mittelalterliche »Burg Rodenstein« erinnerte, dann weiter unten der Fluß, über den links abwärts ein schlanker Brückensteg, rechts aufwärts aber eine alte Steinbrücke führte.
»Beneidenswerter, Sie«, sagte der Oberst. »König Polykrates auf seines Daches Zinnen. Und hoffentlich sagen Sie mit ihm: ›Gestehe, daß ich glücklich bin.‹ Ist es nicht so?«
Der Präzeptor wiegte den Kopf hin und her und schwieg, bis er nach einer kleinen Weile sagte: »Nun ja, mein Herr Oberst.«
»Nun ja! Was heißt das? Warum nicht bloß ja? Was fehlt? Ein Mann wie Sie, Liebling fünf Meilen in der Runde, gehalten von der Gemeinde, geschätzt von der Behörde - wie wenige dürfen sich dessen rühmen! Und wenn dann das Jubiläum kommt… «
»Das kommt nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich den Dienst quittiert habe.«
»Wie das? Aber freilich… Pardon… ich entsinne mich; Ihr Freund und Verehrer, der Herr Emeritus, hat uns schon in Thale davon erzählt und auch den Grund genannt, der Sie bestimmte. Gewissensbedenken, um nicht zu sagen Gewissensbisse.«
Der Alte lächelte. »Nun ja, Gewissensbisse, das auch. Aber das alles, offen gestanden, blieb doch bloß die kleinere Hälfte. Die Hauptsache war, ich wollte dem Ehrentag entgehen, demselben Ehrentag, dessen der Herr Oberst eben erwähnte.«
»Dem Jubiläum? aber weshalb?«
»Weil ich der sogenannten ›Auszeichnung‹ entgehen wollte.«
»Aus Bescheidenheit?«
»Nein, aus Dünkel.«
»Aus Dünkel? Ich bitte Sie, wer geht einer Auszeichnung aus dem Wege?«
»Die wenigsten. Und ich auch nicht. Aber Auszeichnung und Auszeichnung ist ein Unterschied. Ein jeder freut sich seines Lohnes. Gewiß, gewiß. Aber wenn der Lohn kleiner ausfällt, als man ihn verdient hat oder wenigstens verdient zu haben glaubt, dann freut er nicht mehr, dann kränkt er. Und das war meine Lage. Man wollte mir ein Bändchen geben an meinem Jubiläumstage. Nun gut, auch ein Bändchen kann etwas sein; aber das, das meiner harrte, war mir doch zuwenig, und so macht ich kurzen Prozeß und bin ohne Jubiläum, aber Gott sei Dank auch ohne Kränkung und Ärger aus dem Dienste geschieden. Ich weiß wohl, daß man nie recht weiß, was man wert ist, aber ich weiß auch, daß es die Menschen in der Regel noch weniger wissen. Und handelt es sich gar um ein armes Dorfschulmeisterlein, nun so geht alles nach Rubrik und Schablone, wonach ich mich nicht behandeln lassen wollte. Von niemandem, auch nicht von wohlwollenden Vorgesetzten. Und da hab ich demissioniert und dem Affen meiner Eitelkeit sein Zuckerbrot gegeben.«
»Bravo«, sagte der Oberst und reichte dem Alten beide Hände. »Sich ein Genüge tun ist die beste Dekoration. Im letzten ist man immer nur auf sich und sein eigen Bewußtsein angewiesen, und was andre versäumen, müssen wir für uns selber tun. Das heißt nicht, sich überheben, das heißt bloß die Rechnung in Richtigkeit bringen. Und nun erzählen Sie mir von dem Porphyr hier. Ich dachte, der Harz wäre Granit. Aber es ist auch in der Natur so: mitten aus dem allgemeinen Granit wächst mal ein Stück Porphyr heraus. Da heißt es dann, woher kommt er? Aber es ist eine nutzlose Frage. Er ist eben da.«
So plauderten sie weiter, und als sie, bei fortgesetztem Gespräch über Altenbrak und die Altenbraker, endlich den Zickzackweg wieder abwärts stiegen, bemerkten sie Gordon und die beiden älteren Herren die, von einem Dorfspaziergange heimkehrend, eben aus der Talschlucht nach Burg Rodenstein hinaufkletterten. In ihrer Mitte Rosa. Diese begrüßte jetzt der ihr bis in Front des Hauses entgegengehende St. Arnaud unter gleichzeitigen