Скачать книгу

      Fränzi hatte genug zu thun, um ein klein wenig Ordnung in die verwirrte Kinderseele zu bringen. Sie löste Binia alle Fragen auf, nur eine konnte sie ihr nicht lösen: Wie es möglich ist, daß ein Kind Vater und Mutter gleich heiß liebt, daß der Vater die Mutter aber nicht gut leiden mag.

      »Ihr seid sicher, daß dem Vater die Hand nicht aus dem Grabe wachsen wird, wie der wüste Kaplan gesagt hat?«

      Feierlich nahm Fränzi die Hand des Kindes und ihre Augen begegneten dem dunklen Sternenpaar Binias: »Ja. Nicht die böse Unterschrift hat meinen seligen Seppi an die Weißen Bretter geführt, als ein Freiwilliger ist er gegangen. Es hat sich alles gewandt und dein Vater ist unschuldig an seinem Tod.«

      Binia dankte mit einem innigen Aufleuchten des Blicks: »Es ist kein Unsegen auf mir?«

      »Deine selige Mutter wacht vom Himmel über dir und jede Nacht bin auch ich in Gedanken bei dir.«

      Da küßte Binia die arbeitsharten Hände der mütterlichen Trösterin mit brennendem Mund.

      Noch hatte das neugierige Kind viele Fragen, die Antwort forderten.

      »Ihr denkt, der Vater habe mich doch lieb? – O, Fränzi, wenn Ihr wüßtet, wie ich ihn liebe.« »Natürlich, du kleine Ungläubige – jeder Vater hat in seinem Herzen ein Plätzchen für sein Kind, und wenn es zu tiefinnerst versteckt wäre! Sei liebevoll und demütig gegen den Vater; auf Kindern, die gegen ihre Eltern ehrfürchtig sind, steht die Verheißung, daß es ihnen wohl ergehe.«

      »Ich demütig – das ist schwer. – Wohl, wohl, ich will demütig sein!« flüsterte Binia mit feinem Stimmchen und gesenkten Lidern, »aber –«

      »Was für Rätsel hast du denn noch, du grüblerisches Kind?«

      »Ich habe jetzt zwei Mütter, eine tote, die mir lieb über alles ist – und eine lebendige. Wie soll ich's da halten? Kränke ich die tote nicht, wenn ich gut zu der lebendigen bin?«

      »Richte in deinem Herzen einen Altar auf für die tote, schmücke ihn mit Blumen der Liebe; der lebendigen aber diene als gutes Kind, denn, Binia – Frau Cresenz ist eine wackere Frau.«

      Binia schwieg mit gesenktem Kopf.

      Da drang von der Kirche herüber der Einuhrschlag, er mahnte Fränzi an die schwere Stunde, wo Seppi für immer Abschied genommen hatte.

      »Und nun sollte ich auch dich herzlich um etwas bitten. Vögelchen. In grenzenlosem Leid hat dich der selige Seppi beschimpft. Vergieb ihm, Binia!«

      Statt jeder Antwort preßte das Kind das Köpfchen an die Brust der Frau, nicht anders, als wäre sie die Mutter.

      »O, Fränzi, ich höre Euer Herz – das ist so ein liebes, warmes Herz.« »Ja, aber jetzt geh' – jetzt geh', du Nachtwandlerin, ich kann dein Bleiben nicht mehr verantworten.« Als Fränzi schon die Thüre aufschließen wollte, bettelte Binia: »Zeigt mir doch noch Vroni, wie sie schläft – o, wie manchmal hat's mich an der ganzen Seele und am ganzen Leib zu ihr gezogen.«

      Fränzi lächelte, sie führte die Bettlerin zu Vronis Lager, und Binia preßte einen Kuß auf die roten Wangen der Freundin, die tief atmend auf den gelösten Strähnen ihres Goldhaares ruhte.

      Die Schlafende regte sich, leise traten die beiden nächtlichen Besucherinnen aus dem Kämmerchen zurück.

      »Willst Josi auch noch sehen?«

      »Ja, gern,« hauchte Binia und eine Blutwelle ergoß sich über ihr feines Gesichtchen. Sie stiegen die schmale Treppe empor. Im Licht, das Fränzi durch die Finger auf den Schläfer fallen ließ, sah Binia die Furche der Willenskraft, die sich von der Stirne zur Nase Josis zog und das junge Gesicht schon halb männlich erscheinen ließ. »Aber schön,« dachte Binia bei sich selber, »ist Josi doch, so schlank, so braun.«

      Da fiel ihr plötzlich schwer aufs Gewissen, wie sie den arglosen Schläfer wider ihren Willen, doch ohne die Fähigkeit, den Widerruf vorzubringen, bei ihrem Vater verleumdet hatte; sie zitterte und sagte kleinlaut: »Fränzi, ich muß gehen! Ich dank' Euch tausendmal, liebe Fränzi.«

      Und über den mondbeschienenen Schnee lief Binia flink wie eine Gemse dem unter schweren Winterlasten seufzenden Dorfe zu.

      »Ob ich's wohl noch erleben und sehen werde, wohin dich dein Weg führt, du Kind mit den vielfragenden Augen und dem Rätselherzchen?« Mit diesem Gedanken sah Fränzi der schlanken Gestalt nach, die in den schweren nächtlichen Schlagschatten der Häuser verschwand.

      Als Vroni am nächsten Morgen sich zu Tische setzte, erzählte sie mit strahlendem Gesicht, sie habe so lebhaft von Binia geträumt, wie wenn sie selber bei ihr am Bett gestanden hätte. Mutter Fränzi lächelte, sie weihte die Kinder so stark in das Geheimnis des nächtlichen Besuches ein, als sie für gut fand. Josi aber sagte: »Das ist mir alles gleichgültig, wenn mir die Giftkröte nur nie mehr über den Weg läuft.«

      Vroni lachte und drohte mit dem Finger: »Josi, Josi, ich erzähle es der Mutter, was draußen im Teufelsgarten geschehen ist.«

      Mit zornrotem Gesicht stand er auf: »Ich will nichts mehr wissen vom Kind eines schlechten Hundes, dem Vater selig bin ich's schuldig.« Er schlug die Thüre ins Schloß und ging die Ziegen füttern. Fränzi war neugierig, was draußen im Teufelsgarten geschehen sei, als ihr aber Vroni gebeichtet hatte, sagte sie kein Wort.

      Die Geschichte machte ihr einige Tage schwer.

      Für Vroni blieb der unerwartete nächtliche Besuch Binias das große freudige Ereignis des Winters, sie hoffte, die Freundin würde wieder kommen, und erwartete sie mit wachenden Augen Abend für Abend.

      Binia kam aber nie wieder, Vroni und die Mutter bemerkten es jedoch wohl, wie sie manchmal aus der Ferne sehnsüchtig nach ihnen und ihrem Häuschen blickte, wie sie dann aber die Angst, sie würde vom Vater bemerkt, fortjagte.

      Um Josi stand's nicht gut. Wenn er Holz im Walde sammelte, so setzte er sich oft auf die fertige Bürde, stützte den Kopf in die beiden Hände und im winterlichen Walde, der unter der Schneelast knackte, zogen mit furchtbarer Lebendigkeit die Bilder noch einmal vorüber, wie sein Vater an den Weißen Brettern gelitten hatte und gestorben war. Der Gram um den Vater machte ihn je länger je mehr zu einem düsteren Groller. Der verbissene Arbeiter war zuweilen hart und grob gegen Vroni, finster gegen die Mutter, und das kleine, innige Glück des Haushaltes erhielt durch ihn manchen Stoß.

      »Sie sind alle, alle schuld, die von St. Peter, am meisten der Presi,« grollte er.

      Eines Tages ging er doch durchs Dorf und stand plötzlich vor dem verhaßten Mann. Da schrie der Presi ihn an. »Wie darfst du dich noch unter rechten Leuten zeigen, du Lausbub, du!« Jetzt war Josi im Innern mit dem Presi und mit denen von St. Peter fertig.

      »Besser ungerecht leiden als ungerecht thun,« erwiderte Fränzi mit einem tiefen Seufzer, als der Bursche sein Erlebnis unter Thränen des Zorns berichtete.

      Allein er gab sich damit nicht zufrieden, er hatte einen furchtbaren Haß gegen den Presi gefaßt.

      »Anzünden! den Bären anzünden,« brüllte es in der Brust des Schwerbeleidigten, der Gedanke setzte sich darin fest, daß, wie gräßlich es sei, der Bären eines Tages verbrennen müsse.

      Aber Binia! – Bah, Binia! – Warum sollte er den Bären nicht anzünden?

      Oft warf er die Zündhölzchen, die er mitgenommen hatte, um im Wald ein Feuer anzumachen, mit zitternden Fingern von sich. Aber die Furcht, daß er eines Tages das Entsetzliche doch thun würde, quälte ihn.

      Hätte Josi mit kühlem Blut geurteilt, so würde er sich gestanden haben, daß die Leute von St. Peter den Groll nicht verdienten, den er auf sie warf. Sie erwiesen der verwaisten Familie jene Achtung und jenes stille Wohlwollen, das würdig ertragenes Unglück überall findet, sie vergaßen es nicht, daß Seppi Blatter im Gemeindedienst gefallen war, und hätte es dessen bedurft, so würde Fränzi immer die Hilfe gefunden haben, die notwendig gewesen wäre, den kleinen Haushalt aufrecht zu erhalten.

      Zuweilen streckte der Garde

Скачать книгу