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Herzblut. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Herzblut
Год выпуска 0
isbn 9788711507124
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie hatte sich in Erregung geredet. Sie atmete schwer.
„Und das ist das, was ich meinen Stolz nenne. Den bekam ich, wie ich wieder allein war, im August und September, ganz allmählich, von einem Tag zum anderen mehr. Das war wie ein Schrecken. Der wuchs und ich frug mich plötzlich: Was tust du denn noch in diesem Hause?“
„In unserem Hause?“ schrie der Hauptmann Ansold.
„Ja. In unserem Hause — ohne Daseinszweck, seit man dir dein Kind genommen hat, von einem Manne bekleidet und genährt und beschirmt, den du nicht liebst — der deiner zu seinem Glücke längst nicht mehr bedarf — kein geistiges Band zwischen dir und ihm — nichts Innerliches — und dies Nebeneinanderleben auf engem Raum — das schien mir auf einmal so entwürdigend für mich ... so demütigend ... im Vergleich zu dem, was ich fühlte — was in mir etwas Heiliges war, trotz aller Schmerzen und Enttäuschungen — das ertrug ich nicht — ich wäre dran zu Grunde gegangen, auf die Dauer, und fühlte doch noch so viel Kraft in mir — viel mehr als früher, und Stolz ... jawohl: ich sage immer wieder ‚Stolz‘ — und alles in mir schrie: fort! ... fort! ... du musst unabhängig sein — ohne Lüge und Zwang — nach dem, was du in dir durchlebt hast — und da hab’ ich’s getan und will die Folgen tragen, und weiter kann ich nichts sagen! Ob du mich verstanden hast, das weiss ich freilich nicht!“
Und Leopold Ansold sagte dumpf vor sich hin: „Nein — weiss Gott, das ist mir zu hoch! ... Das sind alles Redensarten — weiter nichts ...“
Dabei sah er sie nicht an und ging im Zimmer auf und ab, langsamen schweren Schrittes, dass die Nippsächelchen auf dem Glasspind zu seinem Säbelrasseln klirrten. Sie folgte ihm mit den Blicken, die Hände ineinander ringend, in ihrer Hilflosigkeit, ihm das, was sie fühlte, zu erklären, und versetzte noch einmal: „Begreifst du das denn nicht, dass solch eine Ehe eine Sünde ist ... vor dem Geist der Ehe? ... Eine grössere Sünde als manche gebrochene Ehe? ... Begreifst du nicht das Herabwürdigende einer solchen Ehe für mich, so wie ich das begriffen hab’ in diesem Sommer? ... Da bin ich ein anderer Mensch geworden ... Ich habe mich selbst gefunden ... Mehr weiss ich nicht zu sagen ... Es gibt keine anderen Worte dafür ... Ich bin fertig ...“
Es war, als habe ihr Mann auf ihre letzten Sätze gar nicht mehr geachtet. Er starrte vor sich auf einen Punkt in der Luft.
„Da hat der Altar gestanden!“ sagte er. „Da war der Pfarrer. Da haben wir gekniet, du und ich, und er hat dich gefragt, ob du meine Frau sein willst in guten und bösen Tagen — und du hast ‚ja‘ geantwortet, vor Gott und aller Welt ...! Fühlst du denn gar kein Gewissen, nun zehn Jahre später einfach nach Berlin zu fahren und solch einen Schwur vor unserm lieben Herrgott im Himmel zu brechen, als wäre da weiter gar nichts dabei ...? Schau doch einmal in den Spiegel, Jakobe, ob du dich darin noch ansehen kannst — mach dir das doch einmal klar!“
Und sie wiederholte: „Zehn Jahre später! — da sagst du’s selber! Das ist’s! Das bin nicht mehr ich, die das damals geschworen hat ...“
„Doch! Da stehst du!“
„Nein! Ich habe nicht gewusst, was ich tat. Ich war noch ein halbes Kind mit meinen kaum achtzehn Jahren. Sonst hätte ich es überhaupt nicht getan ...“
Plötzlich schleuderte Leopold Ansold den Stuhl, um dessen Rückenlehne er bisher im Stehen die rechte Hand geklammert hatte, von sich in die Ecke, eine Welle roter Wut lief über sein Gesicht und verlor sich unter dem schon sehr dünnen Haarwuchs der Schläfen, er zitterte am ganzen Körper und schrie mit erhobenen Fäusten: „Und dabei soll es bleiben ... bildest du dir ein?“
„Ja.“
„Und ich, denkst du, lasse mir so was einfach gefallen?“
„Sprich doch ruhiger! Das Haus läuft ja zusammen!“
Er beachtete ihre Worte nicht. Schwerfällig ging er auf sie zu. Sie bebte. Aber sie stand aufrecht. Seine Stimme wurde noch stärker: „Und ich soll der Dumme sein, mit dem du deine Narrenspossen treibst! ...? Und soll nicht mal einen haben, an den ich mich halten kann? Dieser Kerl, der Wölsick, einfach weg? Fort aus dem Schuss? Tut, als hätte er kein Wässerchen getrübt? Du hier ganz ruhig bei der alten Tante ... und ich allein daheim in unserem Hause? — nein, Kinder ... das ist verrückt — das ist mir zu bunt ... da haue ich drein! Du kommst mit, verstehst du ... Ich will dir Mores lehren! ... Du kommst mit, auf der Stelle!“
„Ich bleib’ hier!“ sagte Jakobe. „Bitte, Tante Therese, lass uns jetzt allein!“
Das galt dem Fräulein von Kritzing, die es in ihrer Aufregung hinten in der Schule nicht hatte aushalten können und die Literaturstunde einer ihrer eben unbeschäftigt im Lehrerinnenzimmer sitzenden und Tee trinkenden Damen übergeben hatte. Jetzt streckte sie angstvoll ihr gutes, pausbäckiges, von weissen Löckchen unter der Spitzenhaube umrahmtes Gesicht durch den Türspalt und bat flehentlich, so als ob ihr damit ein persönlicher Gefallen geschähe: „Bringt euch nur nicht um ... hier in meiner Wohnung!“
Dann zog sie sich wieder zurück. Der Hauptmann Ansold hatte unterdessen keuchend weitergeredet. Er stammelte eigentlich nur noch und stiess die Worte gewaltsam hervor: „Und ich ... in der Garnison ... da ganz allein ... was soll ich denn da dem Mädchen sagen ... und dem Burschen ... und allen Leuten ... wo du steckst! Nett! ... sehr nett ... wenn sie da alle mit Fingern auf mich weisen ... und hinter meinem Rücken faule Witze reissen ... und die jüngsten Dächse im Kasino mich heimlich auslachen, weil ich nichts gemerkt hab’ und der Oberst mir erst die Augen aufgemacht hat. Natürlich muss mich der Oberst versetzen lassen ... Gott weiss wohin ... jetzt eben, wo ich die Kompanie mit Mühe und Not in die Höhe gebracht hab’, muss ich sie lassen und darf mich mit einer neuen herumrackern ... in der Wasserpolackei oder sonst wo ... sehr hübsch wird sich das in der Konduitenliste machen: ‚Frau durchgegangen — sonst brauchbarer Offizier‘ — das ist ein Knacks für immer! ... Davon erhole ich mich nie ... und wenn der Herbert in den Ferien heimkommt und mich frägt: ‚Wo ist denn die Mama?‘ — was soll ich ihm dann sagen — He du! — was soll ich ihm dann sagen? ... Gib Antwort ...“
„Sag, ich wäre hier und er müsse mich besuchen!“
Der Hauptmann Ansold packte in einem erneuten sinnlosen Wutanfall seine Frau an der Schulter und schüttelte sie hin und her. Sie liess es geschehen, sie schwankte unter seiner Faust, mit geschlossenen Augen und fest zusammengebissenen Zähnen. Es schoss ihr durch den Kopf, was die alte Kritzing eben gesagt: Bringt euch nur nicht um! — Und sie dachte sich zum ersten Mal: Jetzt tut er’s am Ende wirklich ...
„Willst du jetzt mitkommen oder nicht?“
Seine Stimme klang heiser. Sie fühlte seine keuchenden, noch von einem leichten Tabakhauch der Morgenzigarre durchwehten Atemzüge dicht vor ihrem Antlitz. Sein Griff tat ihr weh. Sie konnte sich kaum auf den Füssen halten, und er wiederholte leise und drohend: „Willst du jetzt mitkommen — zum letzten Mal ...“
„Ich kann doch nicht! Herrgott im Himmel! ... Ich kann doch nicht!“
Sie hatte die grossen blauen Augen aufgerissen und es ihm ins Gesicht hinein geschrien und er liess plötzlich von ihr ... Er wich ein, zwei Schritte zurück ... seine rechte Hand fuhr in die Tasche und es durchzuckte sie blitzschnell: Da hat er den Revolver stecken ... den kleinen, runden Armeerevolver, den er immer hat ... er zieht ihn heraus ... gleich ist das Zimmer voll Knall und Rauch und Blut ... Nur jetzt tapfer sein! Sie wich nicht einen Zoll breit zurück — sie veränderte ihre Haltung nicht ... sie schaute ihrem Mann fest ins Auge ...
Und über dessen Gesicht glitt eine Veränderung ... ein plötzlicher, bitterer Schmerz ... seine Hand brachte keine Waffe zum Vorschein, sondern das Taschentuch. Er brauchte es, denn die Tränen liefen ihm nun auf einmal in der jähen Erschöpfung nach dem Zornausbruch die Wangen hernieder. Die trocknete er und wandte sich ab und schnaubte sich dann heftig, zweidreimal hintereinander, und liess sich schwer auf einen Stuhl sinken, das Tuch wieder vor den Augen, und rührte sich nicht mehr, sondern schluchzte nur noch dumpf in sich hinein.
Jakobe stand vor ihm. Sie war blass geworden und atmete rascher. Der Spitzeneinsatz