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Mann herab. Eigentlich hatte er sich so benommen, wie sie von ihm ungefähr erwartet hatte. Deswegen hatte sie auch nie besondere Furcht vor dieser Begegnung verspürt.

      Es war ein langes Schweigen zwischen den beiden. Dann stand er auf und versetzte finster, in wiedergewonnener Ruhe: „Es bleibt mir jetzt nur noch die eine Hoffnung, dass du mit der Zeit zur Vernunft kommst. Du musst doch allmählich aus dem Taumel, in dem du jetzt bist, aufwachen, und dir selber sagen, wie mutwillig du dir mit einem solchen Schritt dein ganzes Leben für immer ruinierst. Du verlierst Namen, Familie, Geld, Verkehr, alles bei einer solchen Trennung — und was tauschst du dafür ein? — das möchte ich bloss wissen ...“

      „Mich!“

      „Nichts!“ sagte er. „Aber auch nichts, was eines solchen furchtbaren Opfers wert wäre! Das bedenke doch! Habe doch ein bisschen Pflichtgefühl und Selbstachtung und ...“

      Sie hob den Kopf.

      „Weiss Gott: ich habe meine Selbstachtung für mich! Gerade jetzt! und ihr anderen könnt ja über mich denken, was ihr wollt!“

      „Ich werde vier Wochen warten!“ sagte ihr Mann. „Zum Glück ist das jetzt während des Manövers möglich. Du bist eben bei deinen Verwandten in Berlin zu Besuch, das wundert vorläufig niemanden. Und ehe es so weit kommt, dass ein Skandal entsteht, bin ich wieder hier, dann wirst du dich entscheiden!“

      „Ich habe mich doch schon längst entschieden!“

      „Inzwischen werde ich dir noch schreiben und werde deinen Vater und deine Brüder benachrichtigen. Ich weiss, dass sie in einem solchen Fall auf meiner Seite sein und mir helfen werden.“

      Jakobe seufzte nur mit einer leichten Bewegung der Ungeduld bei dieser Aussicht.

      „Vielleicht gelingt es unserer aller Bemühungen doch noch, dich auf den rechten Weg zu bringen!“ schloss ihr Mann. Er wandte sich dabei zur Tür. „Wenn sich das aber nicht erfüllt, glaube nur nicht, dass ich dann in der Geschichte den Pojaz spielen und mir alles gefallen lassen werde! Dann suche ich mir meine Leute — vor allem den Wölsick — magst du jetzt mit ihm auch stehen, wie du willst. Und was dabei herauskommt, dafür trägst du die Verantwortung ...“

      Er wartete auf eine Erwiderung von ihr. Aber es kam keine. Und nachdem er eine Weile unschlüssig dagestanden, drückte er plötzlich rauh die Klinke auf, kehrte Jakobe den Rücken und verliess ohne Gruss das Zimmer. Sie hörte, wie er nebenan mit Fräulein von Kritzing sprach und, ohne sich die Mühe zu nehmen, seine Stimme zu dämpfen, zu ihr sagte: „Ich zähle auch auf Sie, liebe Cousine, wie auf die Unterstützung der ganzen Familie. Wir müssen alle zusammenhalten. Dann muss sie doch schliesslich Raison annehmen! Die Situation ist ja für sie unhaltbar ... einfach lächerlich auf die Dauer ...“

      Was jene darauf erwiderte, vermochte Jakobe nicht zu verstehen, wahrscheinlich gar nichts Zusammenhängendes. Das alte Fräulein war zu verwirrt und beängstigt durch diesen plötzlichen Aufruhr, die wilden Stimmen, die nassen Augen, innerhalb ihrer stillen vier Wände. Sie war noch ganz auseinander, als sie zu Jakobe hereinkam, während draussen schwer die Flurtüre ins Schloss schlug, und sich erschöpft hinsetzte und klagte: „Nein — Kinder — es ist schrecklich mit euch! So benehmen sich doch keine Christenmenschen! ... Wie ihr da eine Ehe von zehn Jahren in Fetzen reisst, als wäre es ein altes Hemd — es blutet einem ja das Herz, so was zu sehen ...“

      „Es ist ja nun vorbei, Tante — für immer — Gott sei Dank!“

      Jakobe stand am Fenster. Da unten ging ihr Mann quer über die Strasse, vornüber gebeugt, die Hände in den Taschen des Paletots. Er kehrte sich nicht mehr nach dem Hause um, sondern winkte einer geschlossenen Droschke, stieg schwerfällig ein und fuhr mit ihr um die Ecke. Und Jakobe Ansold schob, von einem plötzlichen Gedanken erfasst, den Halsausschnitt ihres Morgenkleides etwas mit der Hand zurück. Auf der linken Schulter war ein grosser blauer Flecken — ein paar kleinere daneben — da, wo ihr Mann sie geschüttelt hatte. Die betrachtete sie. Ein seltsames Lächeln ging über ihr Gesicht. Dann schaute sie wieder vor sich hin und weiter über die Dächer in die Ferne....

      III

      Vor der niederen grauen Front des Auswärtigen Amts in Berlin hielt eine Taxameterdroschke in dem feinen, eiskalten Oktoberregen, der die menschenleere Wilhelmstrasse übersprühte, und innen, in seinem Arbeitszimmer, sagte der Geheime Legationsrat von Teichardt etwas ungeduldig zu seiner Frau, die ihn, einen Brief in der Hand, mitten in die Dienststunden hinein besucht hatte: „... und ausserdem lass doch den Wagen draussen nicht so lange warten! Das kostet ja wieder ein Heidengeld! fahre schon in Gottes Namen zu Erich hin! Es hilft doch nun einmal nichts!“

      Er war ein sehr grosser, breitschultriger Mann in den Vierzigern mit Bismarckschnurrbart, Glatze und vielen Schmissen. Die kleinen Augen blickten scharf und klug hinter dem goldenen Kneifer. Er wiederholte jovial, aber sehr bestimmt: „Ich hab’ zu tun, Helmine! Da liegt der angefangene Bericht und es ist bald sechs Uhr Abends! Du weisst: ich liebe es überhaupt gar nicht, dass du mir hier in die Aktenbude hereinschneist! Nun dalli, Kind! Es ist dein Bruder! Beiss in den sauren Apfel ...“

      Frau von Teichardt, geborene von Wölsick, war eine Frau, die weniger hübsch als distinguiert aussah, sehr schlank, sehr elegant gekleidet, zehn Jahre jünger als ihr Mann. Über ihr scharf geschnittenes, lebhaftes und bewegliches Gesicht glitt erneut ein Schatten, und sie versetzte ärgerlich: „Das ist so echt Mama! Mir schreibt sie’s und ich darf es Erich ausrichten! Warum schreibt sie ihm denn nicht direkt? Bloss um sich Ungelegenheiten zu ersparen! ... Ich weiss wirklich nicht, wer von den beiden der grössere Egoist ist, Mama oder Erich!“

      „Erich!“

      Der Geheimrat erwiderte das phlegmatisch. Die Hände auf dem Rücken stand er da und schaute in das Abenddämmern des schon herbstlich kahlen Parks hinaus, der sich vor den Fenstern seines Bureaus zur Königgrätzerstrasse hin erstreckte. Er liebte seinen Schwager nicht besonders, aber er war viel zu sehr ein Mann des praktischen Lebens, um es mit ihm zu verderben, der als Majoratsherr aus freien Stücken seiner Schwester eine so ansehnliche Jahresrente gab.

      Und diese meinte: „Das dachte ich mir schon lange, dass er doch einmal an den Unrechten kommen würde — oder an die Unrechte! Nun macht eine mal Ernst aus seinem Spiel! Das wird ihm eine Lehre sein ... ich sag’ dir: ich nehm’ diesmal kein Blatt vor den Mund!“

      „Mache es nur nicht zu bunt!“ sagte ihr Mann etwas besorgt, mit dem Gedanken an die Zulage. „Schliesslich ... diese Frau Hauptmann Ansold ... mag sie von ihrem Mann fort sein — ich begreife ja, dass es deiner Mutter höchst peinlich ist, wenn in ihrer ganzen Nachbarschaft, rings um Sommerwerk herum, von diesem unwillkürlichen Geniestreich Erichs geredet wird — aber was geht das uns an? Wir brauchen da wahrhaftig nicht Partei zu ergreifen!“

      „Doch! Ich bin auch Frau! Mich erbittert das! Das ist doch nicht der erste Mensch, den er sich so vom Weg gepflückt und wieder weggeworfen hat.“

      „Und du bist sicher, dass er noch von gar nichts weiss?“ frug ihr Mann.

      „Nein! Offenbar nichts! ... wo er doch erst vor ein paar Tagen aus dem Ausland zurück ist. Vorgestern nachmittag, als er bei mir war, erzählte er von allem möglichen — aus Schottland — und dass er für diesen Herbst genug von der Jagd habe und deswegen gar nicht erst nach Sommerwerk gehen und Mama besuchen wolle ... Du verstehst: weil er glaubt, sie, die Frau Ansold, sei noch dicht daneben, in der Garnison bei ihrem Mann, und bei Leibe kein Zusammentreffen wünscht ... natürlich: er hat die Geschichte schon halb vergessen ... dann ärgert es ihn jedesmal, wenn andere so ein unangenehmes Gedächtnis für ihn haben!“

      „Ja — er hat eine merkwürdige Anziehungskraft für die Menschen!“ sagte der Geheimrat. „Worin die eigentlich besteht ... na ... Helmine ... es sind schon wieder fünf Minuten verstrichen ... da liegt mein Bericht ... die Weltgeschichte wartet ... Willst du den Reichskarren umschmeissen? Nein? ... dann fahre davon! ... Auf Wiedersehen zu Tisch!“

      Frau von Teichardt seufzte, während ihr Mann sie zur Tür hinausgeleitete, nahm ihr Kleid auf und ging die Treppe hinab und an dem ehrerbietig grüssenden Pförtner vorbei zum Wagen. Auf der

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