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sagte Athos eisig, ›Sie sind nicht einmal ein Mensch, sondern ein Dämon, der Hölle entkommen, den wir der Hölle wieder zurückgeben!‹

      – ›Ach, edle Herren‹, sagte Milady, ›bedenkt, daß derjenige von euch, welcher mir ein einziges Haar krümmt, zum Mörder wird!‹ – ›Der Henker kann töten, ohne deshalb ein Mörder zu sein‹, sprach der Mann im roten Mantel, wobei er an sein breites Schwert schlug. ›Das ist der letzte Richter, das ist –

      Professor Wolf klappte das Buch zu und stellte es an seinen Platz zurück,

      – alles!‹« Sie sind aber Theoretiker, Herr Doktor, und können einwenden, die Romangestalt bringe lediglich die Meinung des Verfassers zum Ausdruck. Streifen Sie einmal alle Emotionen ab und folgen Sie mir aufs Gebiet der Wissenschaft. Sie haben den Ausdruck ›Henker‹ gebraucht, um Ihrer Verachtung freien Lauf zu lassen. Und doch sollte gerade dieser altüberkommene Ausdruck gerade Ihnen ein Beweis sein, daß der Henker als Sendbote längst vergangener Kulturen in unsere Geschichte eintritt. Die neuzeitliche Genese der Funktion erhellt wohl am besten aus der Schrift ›Zum Ursprung von Richtern und Scharfrichtern‹ von Rudolf Rauscher, Pierwsza drukarnia Lwów, 1930, wo gesagt wird, ich zitiere: »Ihr Ursprung fällt bei uns ins 13. Jahrhundert. Sie waren accusatores publici, von König Przemysl Ottokar II. aus alten Adelsgeschlechtern bestellt, die nach und nach auch zu Richtern und Scharfrichtern wurden.« Gewiß ist es Ihnen nicht entgangen, Herr Doktor, daß sie in dreieiniger Gestalt die gesamte Justiz darstellen, und zwar um hundert Jahre früher, als aus der ersten juristischen Hochschule der erste Doktor der Rechte hervorging. Nichtsdestoweniger bleibt für Sie wie für die verbrecherische Milady der Henker oder amtlich »Scharfrichter« oder neuerdings »Vollstrecker« nichts als ein Mörder. Welch gegenteilige Haltung vertritt dagegen Ihr Kollege Joseph de Maistre, wenn er in seinen ›Soirées de Saint Pétersbourg ou Entretiens sur le gouvernement temporel de la Providence‹ schon 1821 die berühmte Studie über den Henker verfaßt, ich zitiere zumindest ein Bruchstück: »Die Resultante dieses schrecklichen Prärogativs« – ein Prärogativ ist –

      erläuterte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

      – jedes Vorrecht eines Herrschers, das die Mitentscheidung des Volkes ausschließt, zum Beispiel bei der Bestrafung eines Schuldigen, seine Resultante ist also, ich zitiere weiter: »... die unerläßliche Existenz eines Menschen, dazu bestimmt, ein Verbrechen durch Strafen zu ahnden, welche die menschliche Gerechtigkeit festgesetzt hat; und dieser Mensch tritt tatsächlich überall auf, ohne daß man zu erklären vermöchte, wie; denn der Verstand findet in der Natur des Menschen kein Motiv, das imstande wäre, ihn zur Wahl dieses Berufes zu bewegen. Was ist das für ein unerklärliches Wesen, das jedem angenehmen, einträglichen, ehrbaren, ja ehrlichen Beruf einen solchen vorzieht, der seinesgleichen foltert und zu Tode bringt? Sind dieser Kopf, dieses Herz so beschaffen wie die unserigen? Enthalten sie nicht etwas Eigentümliches und unserer Natur Fremdes? Was mich betrifft, so zweifle ich nicht daran. Es ist äußerlich so beschaffen wie wir; wird so geboren wie wir; aber es ist ein Ausnahmewesen, für das es in der Menschenfamilie eine besondere Bestimmung geben muß. Es ist erschaffen wie –

      fuhr Professor Wolf fort,

      – die Welt«, Ende des Zitats. Ich entschuldige mich für geringfügige Ungenauigkeiten, die im übrigen höchstens in der Syntax zu finden sein werden, denn das war mein Habilitationsthema, und ich müßte es bald zur Kenntnis Ihrer –

      sagte Professor Wolf, an Frau Tachecí gewandt,

      – Lízinka bringen. Eine besonders schöne Passage schildert die Beziehung des Scharfrichters zu seiner Arbeit, ich zitiere: »Er trifft auf einem öffentlichen Platz ein, den eine wimmelnde Menge bedeckt. Man bringt ihm einen Giftmischer, einen Vatermörder oder einen Frevler: Er ergreift ihn, streckt ihn, bindet ihn an ein waagerechtes Kreuz, hebt den Arm: Da entsteht eine entsetzliche Stille, man hört nichts als das Knirschen der Knochen, die unter der Barre splittern, und das Wehklagen des Opfers ... Es ist fertig: Sein Herz hämmert, jedoch vor Freude; er applaudiert sich, er sagt sich insgeheim: Keiner rädert besser als –

      fuhr Professor Wolf fort,

      – ich.« Nach dieser suggestiven Schilderung komponiert de Maistre die weltbekannte Apotheose, die zum Lebenscredo eines jeden Henkers werden sollte, und die ich deshalb bei jeder Prüfung –

      sagte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

      – abfragen werde. Ich zitiere: »Alle Größe, alle Macht, aller Gehorsam der Welt beruht auf dem Scharfrichter; er ist der Schrecken und das Band der menschlichen Gesellschaft. Man entferne diesen unbegreiflichen Faktor aus der Welt; im selben Moment verwandelt Ordnung sich in Chaos, Throne stürzen, die Gesellschaft verschwindet. Gott, der Schöpfer der Souveränität, ist auch der Schöpfer der Strafe: Er hat unsere Erde auf diese beiden Pole gegründet und läßt die Welt um sie kreisen.« Sie, Herr Doktor –

      sagte Professor Wolf ohne jeden Anflug von Vorwurf oder Hohn, an Doktor Tachecí gewandt,

      – sind sicherlich, wie es sich für Sie geziemt, ein Anhänger der These Jean Jacques Rousseaus, daß der Mensch von Natur aus gut ist, aber von der Gesellschaft verdorben wird, auf der der gesamte sogenannte europäische Humanismus fußt. Nicht zufällig erschien bereits 1764, also nur zwei Jahre nach der Erstausgabe des ›Contrat social‹ von Rousseau, in Monaco das berühmt-berüchtigte Pamphlet des Cesare Beccaria, ›Dei delitti e delle pene‹, was soviel heißt wie ›Über Delikte und Strafen‹ – übersetzte Professor Wolf, an Frau Tachecí gewandt,

      – das mit Hilfe einer gewaltsam logischen Konstruktion nachweist, daß das menschliche Leben nicht zu den Gütern gehört, über die die Gesellschaft verfügen darf, und als erstes die Abschaffung der Todesstrafe vorschlägt. Jedoch, wie Goethe sagt, »grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens –

      zitierte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

      – goldner Baum«! La Révolution, die Rousseaus Theorie von einer neuen Gesellschaft verwirklicht hat, kam nach und nach ohne Marat, ohne Danton und Robespierre aus, ja auch ohne Rousseau, nicht jedoch ohne den Mann, der eine jahrhundertealte Gesellschaft in drei Jahren praktisch ausgerottet hat, und das war der Citoyen Charles Sanson, in der Revolutionszeit Henker von Paris. Er ist der Held der bekannten ›Mémoires pour servir à l’histoire de la Révolution Française‹, die er sogar als Autor signierte, obwohl sich später herausgestellt hat, daß er sein Aushängeschild einem literarischen Anfänger mit dem nichtssagenden Namen Honoré –

      fuhr der Professor fort,

      – de Balzac geliehen hatte. Mit ihm beginnt eine prachtvolle Porträtgalerie von Scharfrichtern, die nicht nur der Schotte Walter Scott um Meisterwerke erweitert hat, sondern auch der Tscheche Karel Hynek Mácha, dessen Romanfragment ›Der Henker‹ den Helden sogar als den letzten Sproß des Königsgeschlechts der Przemysliden präsentiert. »Er war groß, schlank«, schreibt Mácha, »das schwarze Kraushaar, von keiner Kappe gebändigt, bedeckte die ganze Stirn bis zu den dichten Brauen, unter denen zwei flammende Augen aus der Tiefe hervorfunkelten; das übrige Gesicht war von schwarzem Barte bewachsen. Über der schwarzen Gewandung wehte ein roter Mantel, und quer über seinen Rücken hing ein breites –

      zitierte Professor Wolf, und Frau Tachecí schien es, als beschreibe er seine eigene Fotografie aus der Studentenzeit,

      – Schwert mit langem Heft.« Übrigens glaube ich, daß Karel Krejčí in seiner Studie ›Das Symbol von Henker und Verurteiltem in Máchas Werk‹ irrt, wenn er die Zusammenziehung des Typs König mit dem Typ Henker als Zeichen einer zerrütteten Gesellschaftsordnung begreift. Im Gegenteil: Im zweischneidigen Oxymoron ihrer gegenseitigen Anrede »König Henker!« und »Henker König!« klingt abermals die de Maistresche Polarität beider fundamentalen gesellschaftlichen Funktionen an. – Dies ist die Betrachtungsweise verantwortungsbewußter Künstler, die in den genialen Werken von Franz Kafka und Pär Fabian Lagerkvist kulminiert, der völlig zu Recht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dies ist das wirkliche Bild des Henkers, und falls es einzelne gegeben haben sollte, die seiner nicht würdig waren, so gibt Ihnen das als Wissenschaftler nicht das Recht, alles geringzuschätzen, was Tausende von ehrlichen Henkern generationenlang für Vaterland

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