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können; tatsächlich war er als Hilfsarbeiter eingestellt worden, und mit dieser Tatsache konnte er nicht fertig werden. Sie hatte sich tief in sein Bewußtsein eingefressen. Er haßte geradezu den hellblauen Kittel, den er wie die meisten anderen Angestellten des Supermarkts tragen mußte und durch den er sich förmlich degradiert fühlte.

      Arnold Miller war 43 Jahre alt; seine Figur hatte sich durch die körperliche Betätigung der letzten Monate gestrafft, sein Bauchansatz war verschwunden, Beine und Arme waren muskulöser geworden. Dennoch wirkte er älter als er war. Tiefe Falten hatten sich auf der Stirn und zwischen Nase und Mund geprägt; die Lippen hatten sich in einer dauernden Grimasse des Mißmutes herabgezogen. Sein schwarzes Haar mit den weißen Schläfen, die seiner Erscheinung etwas Soigniertes gaben, begann schütter zu werden.

      Er hatte die bunte Wand bis zur Brusthöhe errichtet und trat einen Schritt zurück, um sie zu begutachten, als er, über den Stapel hinweg, ein Augenpaar auf sich gerichtet fühlte. Er kämpfte gegen den Impuls, sich abzuwenden, hob den Kopf und sah geradewegs in das Gesicht eines ehemaligen Stammtischfreundes, des Garagenbesitzers Alf Scheuringer.

      Beide Männer waren sekundenlang peinlich verlegen. Scheuringer, ein riesiger Mann, kam sich lächerlich vor mit dem Einkaufswägelchen, auf das er alle möglichen Waren geladen hatte, mindestens so sehr wie Arnold Miller, der die Situation des anderen durchaus nicht als komisch empfand.

      »Hallo, Miller«, grüßte Scheuringer unsicher, »lange nicht mehr gesehen.«

      »Hm, hm«, machte Arnold nur, da er darauf nichts zu sagen wußte.

      »Na ja, gewöhnlich komme ich ja auch nicht hierher«, entschuldigte sich Scheuringer unbeholfen, »aber wenn man drei Kinder hat und das vierte unterwegs … also dann muß man schon hie und da seiner Alten unter die Arme greifen.«

      »Glückwunsch!«

      »Wieso? Ach ja. Aber noch ist es ja nicht soweit.«

      Es entstand eine quälende Pause.

      »Und wie geht es dir?« fragte Scheuringer endlich.

      »Du siehst es ja.«

      Scheuringer sah sich um und mimte Anerkennung. »Toller Laden. Gar nicht schlecht. Hat dein Schwager dich hier untergebracht?«

      Arnold Miller nickte.

      »Hochanständig.«

      Dieser Meinung war Arnold nicht, hütete sich aber zu widersprechen.

      »Wenn du dich an mich gewandt hättest«, behauptete Scheuringer, »ich hätte bestimmt auch was für dich gehabt.«

      »So? Wirklich?« Arnold Miller konnte sich nicht länger zurückhalten. »Den Eindruck hatte ich damals aber nicht.«

      Scheuringer, von schlechtem Gewissen geplagt, brauste auf. »Willst du dich etwa beklagen?!«

      »Nicht im mindesten.«

      »Dazu hast du auch, weiß Gott, kein Recht. Schließlich hast du dich ganz allein in die Scheiße geritten … oder?«

      »Das habe ich nie geleugnet.«

      Scheuringer besänftigte sich. »Natürlich hat Kienzel sich wie ein Schwein benommen. Das steht außer Frage. Der kann sich bei uns nicht mehr blicken lassen.«

      »Meinetwegen braucht ihr ihn nicht zu schneiden.«

      »Gar nicht deinetwegen. Der hat sich selber rausgespielt.«

      Arnold hatte genug von dem fruchtlosen Gespräch und bückte sich, um weiter zu bauen.

      Scheuringer schob den Drahtwagen auf Armeslänge von sich und zog ihn wieder heran. »Du hättest ihm seinen Gewinnanteil aber auch nicht …« – er suchte nach dem passenden Wort –, »… vorenthalten sollen.«

      Arnold schichtete wortlos weiter.

      Scheuringer ließ nicht locker. »Sag mir bloß: Was hast du wirklich mit dem Geld gemacht?« – »Spekuliert.«

      Jetzt machte Scheuringer eine Pause. »So?« fragte er dann gedehnt. »Das ist aber das Neueste. Davon hast du nie ein Wort erwähnt. Auch bei deinem Prozeß nicht.«

      »Ich habe es verspekuliert«, gab Arnold zu, »es wäre zu kompliziert gewesen, das zu erklären. Ich wollte nicht noch andere mit reinreißen.«

      »Ach so? Naja, das klingt ganz plausibel. Sehr anständig von dir.«

      »Alles andere hätte mir auch nichts geholfen.«

      »Auch wieder wahr. Immerhin bist du mit einem blauen Auge davongekommen. Strafe durch die Untersuchungshaft verbüßt… mehr kann man doch nicht verlangen.«

      Arnold sah den Freund vergangener Tage nur an.

      »Na ja, und alles andere wird auch eines Tages wieder in Ordnung kommen«, sagte der rasch, »du mußt nur ein bißchen Geduld haben. Irgendwann wird Gras drüber wachsen.«

      »Ja, sicher«, stimmte Arnold ihm ohne Überzeugung zu.

      »Na dann. Alles Gute. Grüß dein Weib!« Schon im Fortgehen wandte sich Alf Scheuringer noch einmal um. »Sag, warum schaust du nicht wieder mal im ›Goldenen Löwen‹ vorbei?«

      »Kann ich machen«, erklärte Arnold, obwohl er sehr wohl wußte, daß diese Aufforderung nicht ernst gemeint war; die Herren vom Stammtisch würden höchst unangenehm berührt sein, wenn er es wagen wollte, sich bei ihnen blicken zu lassen.

      »Wir würden uns freuen«, log Scheuringer und machte, daß er davonkam.

      Arnold verzog verächtlich die Lippen. Er bedauerte nicht, daß er diesem Kreis nicht mehr angehörte. Er hatte ihn einst für eine verschworene Männergemeinschaft gehalten. Heute wußte er, wie sehr er sich darin getäuscht hatte. Der Stammtisch im ›Goldenen Löwen‹ war nichts weiter als eine durch Konventionen, gesellschaftliche Vorurteile und geschäftliche Beziehungen lose zusammengeklammerte Gruppe von Herren, die jeder nur auf den Vorteil, den Gewinn und das Ansehen der eigenen Person ausgerichtet waren. Sie kannten weder Toleranz noch Mitleid.

      »Papiertiger«, sagte er laut und wußte selber nicht, wo er diesen Begriff aufgeschnappt hatte.

      Arnold war wieder ganz in seine Arbeit vertieft, als Egon Kasparek im Verkaufsraum erschien, Egon, der Schwager Leichtfuß und schwarzes Schaf der Familie, zehn Jahre jünger als Arnold und doch zu seinem Vorgesetzten avanciert, eine Tatsache, die er nie hervorstrich und die Arnold doch nicht vergessen konnte, denn der andere trug den weißen Kittel des gehobenen Personals.

      Dieser Kittel, blütenweiß und leicht gestärkt, umflatterte ihn, vorne offen, und ließ einen hellgrauen Anzug, ein leuchtendblaues Hemd und eine kühn gemusterte Krawatte sehen. Egon mit dem blonden Bärtchen, dem blonden, leicht gewellten Haar und den sehr blauen Augen – Sabines Augen – wirkte schick, jung und unternehmungslustig, obwohl er selber Sorgen genug hatte.

      Aber er besaß ein Talent, alles Mißgeschick an sich abgleiten zu lassen. Schon dies allein nahm Arnold ihm übel.

      Egon Kasparek blieb einen Augenblick neben Arnold stehen und beobachtete ihn bei der Arbeit, während er mit dem Nagel seines rechten Zeigefingers über seinen kleinen Schnurrbart strich.

      »Na?« fragte Arnold; er war nicht darauf aus, ein Lob zu hören, aber die schweigende Nähe machte ihn nervös.

      »Sehr hübsch, ja…« Egon zögerte. »Nur … anscheinend hast du vergessen …«

      »Was?« Schon stieg Arnold das Blut zu Kopf.

      »Wir wollen doch die Fünf-Kilo-Trommeln loswerden… für die werben wir mit Sonderpreisen, die Zweier gehen sowieso.«

      »Das weiß ich.«

      »Ich dachte, du hättest es vergessen«, sagte Egon mit bemühter Freundlichkeit, »denn sie gehören natürlich auf die rechte Seite genau in Griffhöhe. Wir haben schon mehrmals darüber gesprochen.«

      Arnold wußte, daß der Schwager recht hatte; es war Alf Scheuringers

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