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Die Haimonskinder. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die Haimonskinder
Год выпуска 0
isbn 9788711508978
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
Es war ein großer, niedriger, langgestreckter Raum, und man sah sofort, daß er mehreren Zwecken dienen mußte, aber das störte in keiner Weise. Wohn-, Eß- und Studierstube, Musikzimmer und Arbeitsraum für die Hausfrau: gutgelaunt ist dies alles zu vereinigen. Besonders gut gefiel Ron die eine Ecke; sie war durch das Klavier, das mit der Schmalseite an der südlichen Fensterwand stand, an einer Seite, durch einen niedrigen Tisch von der Zimmermitte her, abgeteilt. Das Klavier war an der Rückwand mit grünem Rupfen bespannt und mit ein paar hübschen Bildern behängt, und auf dem Klavier, auf dem Tischchen und der Fensterbank grünte und blühte es von Zimmerpflanzen, so daß der Pfarrer, der dort zweifellos an dem runden, polierten Tisch seine Predigten schrieb, ganz im Grünen saß, den Blick durch das Fenster hindurch übers Dorf hinweg nach den sanftblauen Höhen jenseits des Waldes gerichtet ...
„Hier muß man wundervoll arbeiten können“, sagte Ron tiefatmend, „hier möchte ich gleich sitzen.“ „Ja?“ fragte Anders lächelnd. Da aber entdeckte sie die Ofenecke und geriet in ein noch größeres Entzücken.
Ein Ofen — welchem Menschen unserer Zeit ist dies noch etwas anderes als ein notwendiges Übel, das Platz wegnimmt und im Sommer von rechtswegen hinausgeworfen gehörte, im Winter eigentlich auch, denn in ein ordentliches Haus gehört Zentralheizung. Dieser Ofen aber war etwas anderes, er war sozusagen die Seele des Zimmers. Ron hatte noch nie einen solchen gesehen.
Er war breit wie ein indisches Grabmal, jedenfalls wie sie sich ein solches dachte, behäbig wie eine Matrone und braun wie ein Bunzlauer Topf. In halber Höhe verjüngte er sich, so daß dort ein Sims herumlief, und seine Kacheln hatten ihre Entstehung keiner Fabrik zu verdanken, das war jedem Laien klar. Sie waren quadratisch, nach innen gewölbt und trugen in der Mitte einen knallblauen Klecks. Schon um dieser Kleckse willen mußte man sich in den Ofen verlieben. Und erst recht wegen der Bank, die um ihn herumlief, weißgescheuert, durch jahrzehntelangen Gebrauch abgewetzt und mit ein paar bunten Kissen belegt.
„Nein, so was Nettes. Meinen Sie, daß man das lernen könnte? Ich meine, solch einen Ofen zu mauern, oder wird so etwas nicht mehr hergestellt heutzutage?“ fragt Ron voller Eifer. Sie sah im Geiste ihr kleines Chausseehaus vor sich. Natürlich, viel Platz wegnehmen tat solch ein Ding, aber wie schrecklich gemütlich mußte es sein! Diese eisernen Öfen, die nur solange wärmten, wie man sie füttert, und gefährlich waren sie auch, wenn man die Kinder alleinlassen mußte. Dagegen solch ein Dickbatz, der hielt die Wärme wohl den ganzen Tag und noch die Nacht dazu. Und wenn er einmal zugeschraubt war, konnte nichts passieren.
„Wollen Sie Ofensetzer werden?“ fragte Anders lächelnd, aber Ron kam gar nicht dazu, zu bemerken, daß er sie in diesem Augenblick ansah wie ein Erwachsener ein Kind; sehr, sehr liebevoll, aber auch ein klein wenig belustigt.
„Nein, das heißt, ja, jetzt am liebsten. Eigentlich kann das doch gar nicht so schwer sein, wenn man überhaupt mauern kann“, sagte sie. „Und mauern kann ich schon, ich habe es schon getan, nach Feierabend, ja, und nicht nur einmal. Es ist wirklich nicht so schwer, wie es immer heißt. Jeder Handwerker tut immer, als wäre das seine das schwierigste, und es ist ja im Grunde schön, daß er das tut, denn er meint eben, man müsse es richtig machen, und das finde ich in Ordnung. Nur keine Pfuscharbeit; ja, aber sehen Sie, um solch einen Ofen zu setzen, muß man sicher ganz firm sein im Handwerk — und mindestens drei Jahre gelernt haben, wenn das überhaupt reicht.“
„Nun, ihr jungen Scheunendrescher, habt ihr auch einen entsprechenden Hunger mitgebracht?“ fragte es in diesem Augenblick hinter ihnen, und Ron konnte gleich Anders’ Großmutter begrüßen, die eine große Suppenterrine auf den Tisch gestellt hatte und ihr jetzt die Hand schüttelte — kräftig wie ein Mann. Großmütterlich war an dieser Frau eigentlich nur das Haar, das grauweiß in lauter Locken um das frische und rotbackige Gesicht lag. Ron hatte mit dem Begriff Großmutter bisher immer etwas Stilles, Abgeklärtes verbunden, eben das, was ihre Großmutter gekennzeichnet hatte. Diese Großmutter hier schien noch mitten im Leben und keineswegs darüber zu stehen, so tatkräftig und sprühend wie sie war.
Gleich darauf kam auch Anders’ Vater, und sie setzten sich. Es gab eine wundervolle Suppe, und Großmutter Wiemann füllte den jungen Leuten unaufgefordert immer wieder auf: „Es kommt noch was nach, aber erst muß die Terrine leer sein!“
Ron hatte ganz vergessen, daß sie ihren „Sing-Sing“ noch trug — sie war gar nicht dazugekommen, sich deshalb zu entschuldigen. Und Anders stellte aufatmend fest, daß Ron in keiner Weise zusammenzuckte oder ein Lächeln verbiß, als Großmutter die ihm sonst vor Fremden recht peinlichen Kosenamen seinem Vater und ihm gegenüber gebrauchte. Ron verstand wie mit einem sechsten Sinn dies Zimmer und seine Bewohner. Anders fühlte eine aufschießende Freude, die ihm völlig neu war; und er wurde, entgegen seiner sonstigen Art, beinahe gesprächig. Es war ein wunderbares Mittagessen, eins, wie es Ron lange, lange nicht genossen hatte.
„Nicht nur wegen der Suppe und der Äpfel im Schlafrock, genau so machte sie unsere Mutter“, beteuerte sie am Schluß, „sondern überhaupt. Ein gedeckter Tisch — und Blumen darauf, und das alte Geschirr.“ Es war das Strohhalmmuster, das sie auch zu Hause gehabt hatten, für den täglichen Gebrauch. „Wir tun wochentags auch keine Decke auf“, sagte Frau Wiemann in herzlich tröstendem Ton, „aber bei so nettem Besuch — und überhaupt, wenn der Schnuck da ist, ist bei uns Feiertag. So, aber jetzt mach’ ich meinen Sonntagsnicker, und wer mich stört, auf den wird scharf geschossen. Sind Sie um vier noch da, Fräulein Haimon? Da gibt’s Kaffee und sogar Kuchen, aber erst —“
„O nein, vielen vielen Dank“, sagte Ron und erinnerte sich erschrocken der anderen Welt, die ja doch die ihre war. Dies hier war eine frühere, eine für sie versunkene. „Ich muß zu meinem kleinen Bruder, schleunigst, bitte mir nicht übelzunehmen.“
Sie erzählte. Frau Wiemann nickte ihr zu.
„Also nehmen Sie den Kuchen mit. Nein, keine Widerrede, was ich sage, wird getan. Sorg dafür, Schnuck, verstehst du? Und wenn nicht heute, sehen wir Sie vielleicht ein andermal wieder, Fräulein Ron? Es würde mich freuen!“
Eine Viertelstunde später lief Ron mit langen Schritten und brennenden Backen dem Lindicht zu. Sie mußte immer wieder bremsen und sich in ein gesittetes Tempo zwingen, damit sie die inzwischen kalt gewordene Struvesche Suppe nicht verschüttete, aber es fiel ihr schwer. Wenn jetzt Matthias einigermaßen vernünftig war und nicht solche seltsame Anwandlungen bekam, wie manchmal, und wenn Wolf inzwischen nicht auf die Nase gefallen oder sonstwie verunglückt war, und wenn — ach, tausend, tausend Wenn’s. Aber sie konnten doch einmal wirklich eintreffen, diese tausend Wenn’s, und dann, ja, dann war es heute ein wirklich schöner Sonntag. Um dieselbe Zeit, in der Ron am Samstag abend so fröhlich und voll des Erlebens ihrem Chausseehaus zugestrebt war, saß Christine mit zitterndem Herzen und zusammengekrampften Händen an Ullas Bett. Es war so still um sie her, daß sie glaubte, ihr eigenes Herz klopfen zu hören. Aber je stiller es draußen wurde, desto wilder und verzweifelter war es in ihr. Es war, als habe sie den letzten Halt verloren.
Das lag an ihr selbst, wenigstens glaubte sie so und sie konnte sich deshalb um so weniger fangen. Sie hatte sich gestern nachgegeben, und das soll man nicht. Vater hatte immer gesagt: „Wenn es euch mal ganz schlecht geht, dann haltet euch an euerer Pflicht fest. Solange wir das tun, können wir nicht abgleiten.“ Sie, Christine, hatte dies Wort nie vergessen, aber sie hatte nicht danach gehandelt, gestern nicht. Und nun übermannte es sie.
Es war so verführerisch gewesen. Ulla war fortgelaufen am Morgen, und Ron und Wolf würden vor Sonntagabend nicht wiederkommen. War es wirklich nötig, daß sie, Christine, da im Morgengrauen aufstand und ihre Sklavenarbeit verrichtete, scheuerte, putzte, aufräumte, was niemand sah, was keinem Freude machte, was morgen und übermorgen wieder staubig und unordentlich sein würde?
Christine hatte von jeher gern geputzt. Ihr Stübchen zu Hause, das sie mit Ron zusammen bewohnte, war immer ein Schmuckstückchen gewesen, und das war ihr Verdienst, immer hatte sie es getan. Ron kam und ging, sie machte wohl ihr Bett selber, aber alles andere hatte sie, Christine, getan und wirklich