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war nicht da. Angeblich hatte niemand sie gesehen. So fassungslos hatte man Victor Santorro selten gesehen.

      »Aber wir sind zusammen gekommen, man muß uns gesehen haben«, sagte er. »Laura sagte noch, daß uns die Leute so merkwürdig ansehen. Da wußte ich noch nicht, daß wir gesucht werden. Das kann doch nur Jessica inszeniert haben.«

      »Sie irren sich. Mrs. Santorro hat zwar Beschwerde eingelegt, weil Sie mit Laura unbekannten Aufenthaltes waren, aber ihr wurde mitgeteilt, daß Sie das alleinige Sorgerecht beantragt haben. Die Voraussetzungen dafür haben sich geändert.«

      »Wieso? Ihre psychische Verfassung ist für das Kind eine Gefahr.«

      »Darüber wird noch entschieden werden, aber jetzt sollten Sie uns Laura bringen.«

      »Ich weiß doch nicht, wo sie ist«, schrie ihn Victor unbeherrscht an. »Ich habe sie ins Wartezimmer gesetzt, das wird doch wohl jemand bestätigen können.«

      Aber Laura war nirgends zu finden. Zwei Schwestern konnten sich erinnern, das Kind gesehen zu haben, aber die Beschreibungen, die sie gaben, waren so vage, daß man ihnen auch keinen Glauben schenkte.

      Und nun war es Victor, dem kein Glauben mehr geschenkt wurde. Der Bummerang, den er auf Jessica gerichtet hatte, kam zu ihm zurück.

      Laura war es bald zu langweilig geworden, und so ging sie auf Erkundung aus. Es herrschte ein so reger Betrieb auf den Gängen, daß sie nicht beachtet wurde. Für Laura war es eine Erfahrung mehr, daß es so viele kranke Leute gab. Sie fing dieses und jenes über Krankheiten auf, womit sie aber nichts anfangen konnte, bis sie plötzlich aufhorchte, denn hinter einem Tresen unterhielten sich zwei Schwestern. Sie konnten Laura nicht sehen, weil sie nicht über den Tresen gucken konnte. Und Laura wollte auch nicht entdeckt werden, als sie den Namen Santorro gehört hatte.

      »Ich sage dir, daß da etwas Wahres dran sein könnte. Du weißt doch, was alles über seine Ehe geschrieben worden ist, aber welche Frau erträgt denn schon diese Affären.«

      »Wahrscheinlich hat er sie aus dem Weg haben wollen, deshalb hat er sie in die Nervenklinik gebracht. Wundern würde es mich auch nicht mehr, wenn er sie jetzt um die Ecke gebracht hätte. Das arme Kind…«

      Das hörte Laura noch, dann aber huschte sie davon. Ihr Herz klopfte ängstlich, denn was sie da gehört hatte, flößte ihr Furcht ein. Was hatte Daddy wohl mit der Mummy gemacht? Wie konnten die Leute sonst so reden?

      Sie lief hinaus, so schnell die kleinen Füße sie tragen konnten. Sie lief immer weiter, blindlings und ohne zu überlegen, bis sie nicht mehr schnaufen konnte.

      Sie setzte sich auf eine Wiese unter einen Baum, der Schatten spendete. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen und ihr Kopf begann zu schmerzen.

      Sie erinnerte sich an manches, was sie früher erlebt hatte, was verdrängt worden war. Einmal hatte sie gehört, daß Victor schrie: Ich bringe dich um, wenn du das tust.

      Was hatte ihre Mummy tun wollen, wie hatte er so etwas sagen können? Sie hätte sicher nur geträumt, hatte ihre Mummy gesagt, als sie sie gefragt hatte. Sie hatte nie ein böses Wort gegen ihn gesagt.

      »Mummy, ich will zu meiner Mummy«, schluchzte Laura in ihre schmutzigen Hände hinein, die sie vor ihr Gesicht hielt.

      »Hast du dich verlaufen?« fragte eine freundliche Stimme. Sie blickte auf und sah ein hübsches junges Gesicht.

      »Ich will zu meiner Mummy«, flüsterte Laura.

      »Komm, ich bringe dich zu deiner Mummy«, sagte die junge Frau. »Du bist sicher müde und hungrig. Du kommst mit zu uns, und dann rufen wir deine Mummy an.«

      Hungrig war Laura nicht, aber müde. Sie schlief in dem Auto, in das sie gesetzt wurde, auch gleich ein.

      Ihre Gedanken und Ängste waren ausgelöscht.

      *

      Zehn Tage war Jessica nun schon in München, und sie hatte sehr viel erledigen können. Sie wohnte immer noch im Hotel Novara. Geld hatte sie genug, und mit den Mietern ihres Hauses hatte sie sich einigen können, als sie ihnen erklärte, daß sie das Haus verkaufen wolle. Sie waren selbst an dem Kauf interessiert, mußten sich aber noch Geld beschaffen. Jessica wollte ihnen, nach Rücksprache mit Julians Anwalt, entgegenkommen, wenn sie eine größere Anzahlung leisten konnten, den Restbetrag in monatlichen Raten abzahlen zu lassen.

      Das war soweit geregelt, als Julian vor drei Tagen eine längere Reise antreten mußte. Er hatte Jessica verschwiegen, daß er nach Amerika fliegen würde. Er wollte nicht Hoffnungen in ihr wecken, die sich vielleicht nicht erfüllen würden.

      Kollberg lag noch im Klinikum im Koma, aber sein Zustand hatte sich stabilisiert. Dr. Norden wurde auf dem laufenden gehalten und informierte Jessica über den Stand der Dinge.

      Er hatte indessen das Gutachten von Dr. Hatkins über Jessicas Therapie bekommen, und Jessica war zu ihm in die Praxis gekommen, um es sich auch anzuschauen.

      »Sie wurden mit einer Kopfverletzung und schwersten Blutergüssen eingeliefert, Jessica, und Santorro behauptete, daß Sie die Treppe herabgestürzt wären.«

      »Vielleicht hat er mich noch runtergestürzt, nachdem er mich bewußtlos geschlagen hatte«, sagte sie bitter.

      »Sie hätten das auch Dr. Hatkins erzählen müssen.«

      »Ich stand unter einem Schock, und es ist nicht gerade angenehm für eine Frau, zu sagen, daß sie von ihrem Mann verprügelt wird, wie es unter Asozialen üblich sein mag.«

      »Sie werden nicht glauben, wie oft es auch in den Kreisen vorkommt, die man zur besseren Gesellschaft zählt. Aber das wird ja nun vorbei sein für immer.«

      »Ich weiß noch immer nicht, wo Laura ist«, sagte sie bebend. »Herr Kühne hat mir gesagt, daß er alles in die Wege geleitet hat, eine Spur zu finden. Es soll auch Presseveröffentlichungen geben.«

      Daniel Norden wußte von Julian Vreden, daß er diesbezüglich schon alles in die Wege geleitet hatte.

      Auch davon sollte Jessica nichts erfahren, bevor sich nicht ein Erfolg abzeichnete. Jedenfalls war Daniel von Julian genau informiert worden, was er zu unternehmen gedachte.

      »Santorro kann doch nicht spurlos verschwinden«, sagte Jessica. »Immerhin war er doch ziemlich bekannt, und er hatte nicht nur Freunde, die ihn decken würden. Jetzt jedenfalls nicht mehr, da sein Stern im Sinken begriffen ist.«

      »Sie müssen noch Geduld haben, Jessica. Kühne wird sicher einiges in Erfahrung bringen.«

      »Es wäre vielleicht doch besser, wenn ich wieder rüberfliegen würde.«

      »Sie sollten jetzt abwarten, ob Sie mit Kollberg sprechen können.«

      Jessica war skeptisch, ob das überhaupt noch etwas bringen könnte, aber die Ereignisse sollten sich nun überstürzen. Sie bekam einen Anruf aus der Klinik, daß Kollberg aus dem Koma erwacht sei.

      Sie fuhr sofort hin und sprach erst mit dem behandelnden Arzt, der ihr sagte, daß die Gefahr keineswegs gebannt sei, da postoperative Folgen nicht auszuschließen wären.

      »Wie können die sich äußern?« fragte sie.

      »In einer Lungenembolie oder einer Thrombose. Es ist ein Wunder, daß er überhaupt am Leben blieb.«

      Vielleicht soll ihm noch bewußt werden, was er anderen Menschen angetan hat, dachte Jessica.

      Als sie dann aber an seinem Bett stand, dachte sie, daß er schwer zu büßen hatte. Leere Augen starrten sie an, und langsam erwachte darin ein ungläubiges Staunen.

      »Jessi?«

      »Ja, ich bin es.«

      »Du bist hier?«

      Sie griff zögernd nach seiner Hand. Sie wollte es eigentlich nicht, aber er sollte spüren, daß sie wirklich da war.

      »Ich wollte dich noch einmal sehen«, sagte sie langsam, »den Menschen, dem ich vertraute,

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