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es erst über den Damm, dann kann es die Dammkrone annagen und ein Riesenloch wühlen, durch das dann immer mehr Wasser strömen und durch das Tal in wilder Bahn auf die Weide der Dawes Ranch stürzen wird.

      Großer Gott, höchste Zeit, den Schieber zu öffnen, denkt Nat Thayer besorgt. Er steigt ab, hastet über den Damm, gegen den das Wasser klatscht, zum Drehbalken und löst die Klinke. Dann wuchtet er den Balken herum. Der Schieber zwischen den beiden Sperrwänden hebt sich. Das Loch in der Sperrmauer wird freigegeben. Dann kommt das Wasser im armdicken Strahl durch das Loch geschossen.

      Zu wenig, stellt Nat Thayer fest. Es steigt schneller, als es abfließen kann.

      Er öffnet den Schieber noch um zwei Umdrehungen. Jetzt braust und tost das Wasser in einem breiten Schwall in das Bachbett und ergießt sich rauschend nach Südwesten.

      Das reicht, geht es Old Nat durch den Kopf. Dennoch könnte es für die Dawes-Rinder gefährlich werden. Komm, Alter, wir reiten mal weiter und sehen nach, wo Dawes seine Rinder stehen hat.

      Er sitzt auf, reitet an und hält sich ganz rechts im Tal. In der Mitte glitzert der nun immer breiter werdende Bach. Kein Zweifel, wenn es noch Stunden weitergießt, kann sich der Bach in einen reißenden Strom verwandeln.

      Nat Thayer legt mehr als drei Meilen zurück. Er kann nur im Trab reiten, sieht aber, als er die Dawes-Weide erreicht, keine Rinder in der Talsohle.

      Er hat es geahnt, Gott sei Dank, stellt Nat fest. Dann wird er sie im linken Nebental haben, denke ich. Vielleicht sind seine Söhne dort.

      Es dauert nicht lange, dann hat der Alte den Eingang zum Seitental erreicht und kommt durch das auch hier träge abfließende Wasser. Irgendwo vor ihm ist das Muhen von Rindern in der Nacht. Danach stößt er auf einen neuen Sperrzaun und ein Gatter. Langsam reitet er am Zaun entlang. Rechter Hand liegt die Weidehütte der Dawes. Aber kein Licht schimmert durch die Regenschwaden. Anscheinend ist niemand hier.

      Nat Thayers Laterne brennt schon lange nicht mehr. Gegen den Regen hat die durchlöcherte zweite Haube nicht den Docht abdecken können. In der Laterne steht fingerbreit das Wasser. Fluchend reitet Nat Thayer auf die Hütte zu, als er hinter sich das Wiehern eines Pferdes hört. Es ist nicht weit, muß am Sperrzaun sein.

      »Joe! He, Joe, Abel! Seid ihr hier?« ruft Nat Thayer in den prasselnden Regen hinein.

      »Ich bin es, Nat. He, wo seid ihr?«

      Er kommt im Trab zurück an den Zaun. Und dann hält er jäh an. Vor ihm tauchen drei oder vier Reiter auf. Sie treiben Rinder zwischen sich. Es müssen die Dawes-Männer mit dem Alten sein. Vielleicht haben sie ein paar verlaufene Rinder eingefangen.

      Großer Gott, denkt der Alte, als es vor ihm aufblitzt, das sind ja nicht die Dawes, das sind die Viehdiebe, die seit dem Winter…

      Sie sind höchstens zwanzig Yards entfernt. Und da sie in der Tiefe des Tales stecken, sehen sie den Alten genau gegen den helleren Himmel.

      Drei, vier Feuerlanzen erhellen für Sekunden die nächtliche Szene.

      Verzweifelt versucht der alte Nat noch, sein Pferd herumzureißen, als aber schon seine linke Seite getroffen wird.

      Auch sein Pferd zuckt zusammen, macht einen Satz, während vor Nat Thayer die nächsten Schüsse fallen. Grell fauchen die Kugeln durch das enge Tal.

      Irgend etwas stößt Old Nat Thayer gegen die rechte Brustseite. Er spürt noch, daß ihn die Kugel nach hinten schleudert. Unter ihm springt sein Wallach mit einem Riesensatz los und läßt den alten Mann aus dem Sattel kippen. Und während er schwer zu Boden schlägt und das feuchte Gras ihn aufnimmt, begreift er, daß es ein Fehler war, nach Dawes zu rufen. Im zuckenden Licht der Mündungsfeuer hat er genau gesehen, wie die zwei Männer etwa ein halbes Dutzend Rinder zwischen sich abtrieben. Die anderen beiden haben kaltblütig geschossen.

      »Viehdiebe«, murmelt er und spürt den brennenden Schmerz in seiner Brust und der linken Seite.

      Er bewegt müde den Arm und schafft es, in die Tasche zu greifen. Sein Taschentuch holt er heraus, legt es auf die Brustwunde und preßt dann die Hand in die stechende Seite. Zweimal versucht er aufzustehen, aber er schafft es nicht.

      O Gott, denkt der Alte, das ist nun mein Ende. Ich wollte nie im Bett sterben. Jetzt hat es mich erwischt, doch ich lebe vorläufig noch. Cliff wird sicher noch eine Stunde warten und dann nach mir sehen. Vor zwei Stunden kann er nicht hier sein.

      *

      Bill Cooley hebt den Kopf, sieht zur Tür. Die Schritte kommen durch den Gang, verharren.

      »Bill«, fragt Cliff draußen, »schläfst du schon?«

      »Nein. Wer soll bei dem verdammten Wetter schlafen können?«

      Dann kommt Cliff herein, die Lampe in der linken Hand. Er kann mit dieser Hand alle Gegenstände halten, den Arm bewegen, aber viel Kraft hat er nicht darin.

      »Bill, wenn ich daran denke, daß Dad so verdammt allein da draußen in dem Dreckwetter ist… Ich mache mir Sorgen.«

      »Um Nat braucht sich kein Mensch Sorgen zu machen«, sagt Bill Cooley und setzt sich auf, stopft seine Pfeife, grinst und fährt dann fort: »Du kennst deinen Vater immer noch nicht gut genug, Junge. Er kommt überall durch. Sicher, jetzt ist er alt, aber seine Erfahrungen kann ihm niemand nehmen. Als wir herkamen, er und ich, da hatten wir zehn Rinder. Damals gehörte das Land hier Don Aurelio de Pietas Cordoba. Nat blieb hier und fing an, sein Haus zu bauen, als sie kamen und ihn verjagen wollten. Wäre er nicht so hart gewesen, hätten sie es geschafft. Er spuckte ihnen vor die Stiefel. Und als sie ihn nicht in Ruhe ließen, kaufte er sie sich – mit dem Colt in der einen und der Bibel in der anderen Hand. Mach dir keine Sorgen, Cliff.«

      »Er war wieder bei mir oben.«

      Bill zuckt zusammen, nickt dann.

      »Und?«

      »Das letzte Bild von Ray fehlt. Bill, ich denke, er wollte weniger nach dem Staubecken sehen, als vielmehr mit seinen Gedanken allein sein. Er zeigt nie, was er fühlt, er verkriecht sich in sich selbst.«

      »Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Cliff. Nat ist kein Mann, der jemals über Gefühle redet. Du kannst wetten, daß ihm die Sache von damals leid tut, schon seit Jahren. Aber etwas sagen? Eher beißt er sich die Zunge ab.«

      Cliff starrt vor sich hin, nimmt die Laterne wieder.

      »Ich reite ihm nach, Bill.«

      »Was? Junge, wir sind ja erst richtig trocken geworden. Nat lacht dich aus, wenn du ankommst. Bei dem Wetter jagt man keinen Hund raus. Bleib hier, Nat kommt schon!«

      »Ich weiß nicht, mein Gefühl sagt mir, daß ich ihn jetzt nicht im Stich lassen sollte.«

      Cliff verläßt den Raum und steigt die Treppe nach oben. Einige Sekunden liegt der alte Bill Cooley still. Dann setzt er sich auf die Bettkante und seufzt.

      Ist doch seltsam, denkt er. Ein komisches Volk, diese Thayers. Sie zeigen immer erst, daß sie richtig zusammenhalten, wenn es gefährlich wird. Die reden manchmal tagelang nicht miteinander. Man könnte meinen, sie wären Fremde. Und dann merkt man plötzlich, daß sie einen verdammt ausgeprägten Familiensinn haben.

      Old Bill steht auf, zieht sich an und tritt in den Flur, als Cliff herunterkommt.

      »He, was willst du denn, Bill?«

      Der Alte krault seinen Vollbart und grient.

      »Soll ich dich vielleicht allein lassen? Wenn dir was passiert bei dem Wetter, reißt mich Nat in der Luft auseinander. Komm schon, Junge, reiten wir.«

      »Bill, so jung bist du auch nicht mehr.«

      »Hör bloß auf, dir über mein Alter Gedanken zu machen. Feines Wetter, genau richtig für einen kleinen Ritt, was?« Er kichert. Ihm macht es nichts aus, ein paar Meilen zu reiten. Im Stall nimmt er eine von den Sturmlaternen, deren Kappen weit über das Glas ragen. In die Dinger kann kein Regenwasser eindringen.

      Fünf Minuten später sind sie unterwegs.

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