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Nils‹ (Abbay) in Wello, im Süden. Relativ gering war im Vergleich die Ost-West-Ausdehnung des Reiches. Im Westen gehörten beispielsweise die Region Begemdir und der Tana-See schon nicht mehr zum Zagwe-Staat; der Tekkeze-Fluss bildete die Westgrenze. Im Osten reichte der Staat kaum bis an den Awash-Fluss; dort hatten sich islamische Staaten gebildet. So stellt sich das von den Zagwe beherrschte Reich als ein relativ schmales Nord-Süd-Band dar, das nur einen kleinen Teil der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea umfasste und dessen südlichster Punkt weit nördlich der heutigen äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba lag.

      Die Region Lasta wird zum neuen Reichsmittelpunkt. Adefa (nördlich von Lalibela) übernahm zunächst die Funktion einer ›Hauptstadt‹. Aber der berühmteste Kaiser der Zagwe, Lalibela (1185 bis 1224/25),2 schuf sich ein besonderes Denkmal, das noch heute das herausragende Monument dieser Epoche und des gesamten ›orbis aethiopicus‹ darstellt. Der ihm zugeschriebene, aus dem Felsen gehauene Kirchenkomplex von Roha (über 300 km nördlich von Addis Abeba) wurde, wie der Ort selbst, nach ihm benannt und entwickelte sich zum Zentrum des Zagwe-Reiches. Lalibela ist vielleicht nicht das älteste Beispiel von aus dem Fels herausgearbeiteten Kirchen, aber bei weitem das Eindrucksvollste.3 Weitere Felskirchen gibt es im Norden im Hochland, von denen einige älter sein mögen.4 Kommt also den Zagwe wohl nicht die schöpferische Originalität zu, diesen Typ von außergewöhnlichem Gotteshaus erstmals geschaffen zu haben, so haben sie doch diese Kunstform in besonderer Weise ausgeprägt und sie in dieser Form zu der Vollendung gebracht, die heute weltweit die bekannteste ist.

      Während im Volksglauben Kaiser Lalibela selbst eigenhändig Kirchenkomplex und Stadt geschaffen hat, muss dies faktisch einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen haben, ist die Anlage doch mit erheblichem Aufwand gestaltet – so sind z. B. auch die Altäre im Kircheninneren aus dem Stein gehauen. Kaiser Lalibela gilt inzwischen als Heiliger und ist in zahlreichen teilweise phantasievollen hagiographischen und künstlerischen Darstellungen, die bis in die Gegenwart angefertigt werden, Teil der religiösen Identität und lebendigen christlichen Tradition am Horn von Afrika geworden.

      Wenn auch der Zagwe-Staat als inlandzentriert und vom Meer abgewandt geschildert wird und als Beispiel für zunehmende Isolierung gilt, hatte das Reich doch Außenbeziehungen – etwa zu Ägypten, dessen koptische Kirche jeweils den Metropoliten ernennen und entsenden musste, oder nach Jerusalem, das im Weltbild der abessinischen Christen eine wichtige Rolle spielte und wo ihre Kirche seit den Tagen des Reiches von Aksum immer vertreten war. Mit den muslimischen Staaten, die sich im Osten gebildet hatten, kam es immer wieder zu Konflikten.

      Zayla – an der Somaliküste unweit der heutigen dschibutischen Grenze – war der Hafen, über den weit gespannte Handelsbeziehungen des Zagwe-Reiches liefen, die damals allerdings weniger intensiv waren als noch in der aksumitischen Epoche. Der arabische Geograph al-Idrisi erwähnt unter anderem Gold- und Sklavenhandel (12. Jahrhundert). Zayla ist in dieser Zeit bereits vom Islam geprägt, befindet sich jedoch in einem Abhängigkeitsverhätnis vom christlichen Zagwe-Staat. In dessen Blickfeld ist auch die (eritreische) Region am Roten Meer, damals »Mitte der Küste« genannt. Möglicherweise waren die Ansätze, Agau jenseits des Mereb (ins heutige Eritrea) umzusiedeln, Teil eines Versuches, nach Norden zu expandieren und die Küstenregion stärker ans Reich zu binden.

      Mit Yetbarak,5 einem Sohn Lalibelas (aber nicht sein direkter Nachfolger), der um 1240 auf den Thron gelangte, fand die Zagwe-Dynastie ihr Ende. Yekunno Amlak, ein amharischer Adeliger, soll eine Revolte von Schewa aus initiiert haben. Er konnte die Macht im Reich an sich reißen, nachdem er den letzten Herrscher der Zagwe-Dynastie 1268 getötet hatte und der letzte Widerstand der Zagwe 1270 endgültig gebrochen war.

      Die Zagwe-Epoche ist mit ca. 130 Jahren weit kürzer als die vorhergehende knapp tausendjährige aksumitische oder die salomonische, die damals beginnt und einen Zeitraum von sieben Jahrhunderten ausfüllen wird. Lange galten die Zagwe im offiziellen Geschichtsbild als Usurpatoren, welche die (angeblich) rechtmäßige, auf alttestamentarische Zeiten zurückreichende salomonische Dynastie vorübergehend verdrängt hatten. Dieser historische Mythos soll die gewaltsame Machtergreifung durch Yekunno Amlak, der in Anspruch nahm, die Legitimität wieder hergestellt zu haben, begründen und rechtmäßig erscheinen lassen. Erst im Laufe der Jahrhunderte wurden die Zagwe rehabilitiert und fanden ihren positiven Platz im Geschichtsbild des abessinischen Reiches, wurden Zagwe-Herrscher als Heilige6 verehrt. Ihre Kirchenbauten bleiben bis heute eindrucksvolle Monumente des sakralen Charakters politischer Macht und bezeugen ihre Verwurzelung im christlichen Kontext des Horns von Afrika.

      3 Sieben Jahrhunderte salomonische Dynastie – zwischen christlichem Nationalmythos und imperialer Kontinuität

      Ein Staat und seine Legende

      Yekunno Amlak wurde Erbe des Zagwe-Reichs, dessen gewaltsames Ende er herbeiführte (1270). Er ist der der Gründer der salomonischen Dynastie1 bzw. nach dem historischen Mythos derjenige, der die salomonische Dynastie ›wiedereinsetzte‹: Denn er ist es auch, der seine Herkunft – und damit die Legitimität der von ihm begründeten Dynastie – auf König Salomon und die Königin von Saba sowie deren Sohn Menilek I. zurückführt. Diese Abstammungstheorie, obwohl völlig fiktiv, hat sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten als akzeptierte offizielle Staatslehre und Grundlage des religiös-politischen Geschichtsbewusstseins.2

      Yekunno Amlak ist auf Kirchenfresken aus dem 13. Jahrhundert, die noch erhalten sind, dargestellt und gilt als Erbauer und Stifter vieler Gotteshäuser. Zahlreiche Rituale, darunter archaische aus aksumitischer Zeit, verleihen den salomonischen (wie bereits zuvor den Zagwe-) Herrschern einen quasi-religiösen Nimbus und tragen zu einer Verflechtung der politischen und religiösen Sphäre bei. Sie sollen eine Kontinuität zum Reich von Aksum konstruieren, die ebenso fiktiv ist wie der mythische Anspruch einer Abstammung vom jüdischen König Salomon und einer Königin von Saba.

      Ausformuliert findet sich diese Staatsideologie und Legitimationsdoktrin für die salomonische Dynastie in einem ausführlichen Text, der unter dem Titel »Kebre Negest«, ›Ruhm der Könige‹, bekannt geworden ist.3 Das anonyme Buch, das ursprünglich keinen Titel trug, ist als ›historischer Roman‹ bezeichnet worden und als ›ideologisches Instrument‹ zur Legitimierung der salomonischen Dynastie (zunächst gegenüber der Zagwe-Dynastie).4 Es ist im frühen 14. Jahrhundert entstanden und stellt bis heute ein hoch angesehenes und weitgehend unbestrittenes christliches ›Nationalnarrativ‹ dar, welches das Horn von Afrika bzw. das abessinische Reich in der christlich-jüdischen Tradition verwurzelt. ›Kebre Negest‹5 stellt zwar keine Quelle für reale historische Abläufe dar, ist aber ein primäres Zeugnis für Mentalität, Selbstverständnis und historisches Bewusstsein des christlichen Abessinien.

      Kernstück des vielfältigen Textes, der aus einem breiten Spektrum von Quellen schöpft, ist die alttestamentarische Erzählung von der Reise der Königin von Saba, Makedda,6 im 10. Jahrhundert v. Chr. vom Horn von Afrika nach Jerusalem zu König Salomon, um von dessen sagenhafter Weisheit zu profitieren. Dort wendet sie sich vom traditionellen südsemitischen Sternenkult ab und dem Judentum zu. Salomon und Makedda7 zeugen einen Sohn (deshalb ›salomonische‹ Dynastie), Menilek, der bei seiner Mutter am Horn von Afrika aufwächst. Im Alter von 22 Jahren reist er zum Vater nach Jerusalem, besteht aber darauf, mit dem Segen des Vaters zur Mutter zurückzukehren, um dort die Herrschaft zu übernehmen. Begleitet wird er auf der Heimreise von Söhnen der führenden Persönlichkeiten des jüdischen Staates, welche die Bundeslade aus dem Tempel Salomons mitnehmen, die in der weiteren Geschichte des christlichen Abessinien eine wichtige symbolische Rolle spielt. Als ›Löwe von Juda‹ wird König Menilek I. als Erbe und Träger der Würde und Legitimität des wahren, alten Israel dargestellt. Schon früh erkennt die Führungsschicht des Reiches später in Jesus den Messias – im Gegensatz zu den Israeliten im Heiligen Land – und wird nicht erst durch spätere Missionierung christlich. Deshalb ist es wichtig für das Selbstverständnis des salomonischen Reiches, in den Traditionsmythos auch das Reich von Aksum einzubeziehen. Priester und hohe Beamte im Reich sind Abkommen der Begleiter Menileks I., die dieser aus Israel mitgebracht hatte.

      Dieser Traditionsmythos, der Staat und Kirche eng verbunden

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