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sich der Eindruck auf, dass man es bei der Duden-Grammatik mit einem Paradebeispiel für Wissenschaftsstil zu tun hat.

      Betrachtet man allerdings die Ellipsen-Kapitel im Auflagenvergleich, lassen sich dennoch – nicht nur, wie zu erwarten, auf der Substanzebene anzusiedelnde – bemerkenswerte Unterschiede erkennen:4

Auflage 2. Aufl. (1966: 606–610) 4. Aufl. (1984: 636–639) 5. Aufl. (1995: 682–686), 6. Aufl. (1998: 709–713) 7. Aufl. (2005: 909–919), 9. Aufl. (2016: 905–916)
Kapitelüberschrift Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) Ellipse (Ersparung von Redeteilen) Die Ellipse
Allgemeines Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) ist ebenso eine Abweichung von der grammatischen Norm […]. Es wäre aber falsch anzunehmen, daß dem Sprechenden bei dieser Abweichung von den grammatischen Grundverhältnissen immer die voll ausgeformte syntaktische Form vorschwebt, aus der er dann bewußt einzelne Teile ausläßt. […] Nicht immer müssen die syntaktischen Strukturen, die wir in den vorangehenden Kapiteln behandelt haben, ganz ausgefüllt werden. Vielmehr können Ersparungen auftreten, die sich in erster Linie nach pragmatischen (den Redezusammenhang betreffenden) und grammatischen Gesichtspunkten unterscheiden lassen. Nicht immer müssen die abstrakten syntaktischen Strukturen, die wir in den vorangehenden Kapiteln behandelt haben, in konkreten Sätzen auch ganz gefüllt werden. Vielmehr können – aus unterschiedlichen Gründen – verschiedene Positionen unbesetzt bleiben. Die Ellipse ist ein Mittel, die Kommunikation von störender Redundanz zu entlasten. Der Fachausdruck geht auf ein altgriechisches Wort zurück, das mit „Auslassung“ übersetzt werden kann. Diese Übersetzung ist allerdings missverständlich, wenn man „Auslassung“ normativ auffasst: Elliptische Äußerungen sind nicht in dem Sinne „unvollständig“, dass man sie eigentlich vervollständigen müsste. […]
exemplarischer Vorkommensfall In gewählter Sprache wird gelegentlich auch um des Wohlklangs willen das Hilfszeitwort ausgelassen: [Beispiele] […] Dichter verwenden diese Auslassung [von Satzteilen] gern als Stilmittel: [Beispiele] In der Literatur werden Redeteile häufig aus stilistischen Gründen erspart. Vor allem wird die Auslassung des pronominalen Subjekts und des Hilfsverbs gern als Stilmittel verwendet: [Beispiele] Ellipsen in diesem Sinn [nichtbesetzte und vom Sprachteilhaber als Auslassung empfundene Position eines Satzbauplans] liegen z.B. in folgenden – literarischen – Beispielen vor: […] Hier ist das pronominale Subjekt bzw. das Hilfsverb aus stilistischen Gründen ausgelassen. [Der Verweis auf Ellipsen in literarischen Texten fehlt ab der 6. Auflage, in der auf das häufige Vorkommen in dialogischer Rede hingewiesen wird.] [Der Verweis auf Ellipsen in literarischen Texten fehlt in den beiden jüngsten Auflagen, in der 9. Auflage werden Ellipsen in Dialogen, Ellipsen bei Notizen, Kurznachrichten oder bei Überschriften und andere Ellipsen in gesprochener Sprache behandelt.]
(lexikalische) Rezeptionssteuerung Beachte: […] Beachte noch: […] Beachte aber noch: […] Man beachte hier: […] Hier ist allerdings zu beachten: […] […] sind einige Regeln zu beachten: […] Man beachte, dass […]. Besondere Fälle: […]

      Die Unterschiede, die im Auflagenverlauf einen Stilwandel erkennbar machen, betreffen vor allem die Handlungsmuster Akademischmachen und Exemplifizieren. Wie man sieht, markiert vor allem der Übergang von der 4. zur 5. Auflage einen grundlegenden Perspektivwechsel: Schon der Vergleich der Überschriften verdeutlicht eine andere Gewichtung im Anspruch auf Fachsprachlichkeit und fachwissenschaftliche Genauigkeit, da in den jüngeren Auflagen der grammatische Gegenstand „Ellipse“ ohne vorherige Erläuterung (z.B. als Suchbegriff) als bekannt vorausgesetzt, im Blick auf die Begriffsgeschichte und die damit verbundenen Implikationen aber reflektiert wird. Ungeachtet dessen wird durchgehend in hohem Maße auf grammatische und in Teilen auch sonstige sprachwissenschaftliche Terminologie zurückgegriffen und von ihrer Beherrschung ausgegangen. Unterschiede zeigen sich des Weiteren darin, dass bis zur 4. Auflage unter anderem auf das Vorkommen von Ellipsen in literarischen Texten verwiesen wird und Ellipsen auch als Stilmittel ausgewiesen und gekennzeichnet werden. Darin kommen zum einen der lange Zeit in der Grammatikschreibung übliche Rückgriff auf literarische Vorbilder (mit dem Verweisen auf bzw. Illustrieren an literarischen ‚Vorzeigetexten‘) und zum anderen die rhetorisch-stilistische Begriffstradition, die das Verständnis ebenfalls lange Zeit dominiert oder zumindest mitgeprägt hat, zum Ausdruck. Die jüngeren Auflagen, die auf Ellipsen als Stilmittel (z.B. in literarischen Texten) nicht (mehr) hinweisen, sind erkennbar um wesentlich mehr Differenzierung im Blick auf den Sprachgebrauch bemüht, was sich auch im Exemplifizieren durch die Verwendung authentischer Belege aus Gebrauchstexten, also in einem stärkeren Bezug zur Lebenswirklichkeit – und damit vermutlich auch in besserer Nachvollziehbarkeit für die Rezipienten – niederschlägt.

      Man kann die hier erkennbaren Veränderungen insofern als Stilwandel auffassen, als sich der charakteristische Textmusterstil zumindest partiell durch Bemühungen um Genauigkeit und Differenzierung nach Bestimmtheitsgraden von Aussagen im Laufe der Zeit verändert – eine Entwicklung, die gegenstandsbezogen vor allem durch die Berücksichtigung auch gesprochener Sprache und der Beziehungen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie durch Einflüsse aus der Text(sorten)linguistik, methodisch vor allem durch korpuslinguistische Analysen bedingt ist. Im Blick auf das Gestalten manifestiert sich dieser Textmusterwandel darin, dass das Bemühen um angemessene sprachgebrauchsbezogene Differenzierung auf der Ausdrucksebene angezeigt wird, wie es etwa folgende Beispiele aus der 9. Auflage erkennen lassen:

       (36) […] ist die Akzeptanz dieser Konstruktion allerdings etwas geringer. (Wöllstein/Dudenredaktion 2016: 910)

       (37) Wenn […], schwankt die Beurteilung. So lehnen manche die Einsparung von Pluralformen ab; stattdessen würden sie die ausformulierte Version verwenden oder eine ganz andere Konstruktion wählen. (Wöllstein/Dudenredaktion 2016: 910)

      Solche Weisen des Gestaltens sind auf das aus der jeweiligen Art der Gestaltung erschließbare Selbstverständnis, mit dem Grammatik dargestellt und vermittelt werden soll, zu beziehen. Sie belegen die deskriptive Grundhaltung, mit der dem Nutzer und Sprachteilhaber Unterschiede im Sprachgebrauch und in der Beurteilung von Akzeptabilität und Angemessenheit verdeutlicht werden. Dabei fällt im Vergleich mit früheren Auflagen der Duden-Grammatik auf, dass die Autorenteams in der Einstellung zu Normfragen und Zweifelsfällen bis Ende der 1990er Jahre mit einem explizit formulierten normativen Anspruch auftreten. Dass z.B. im Vorwort zur 1. Auflage noch von „Sprachpflege“ gesprochen oder im Vorwort zur 3. Auflage als Aufgabe genannt wird, „die Zweifelsfälle aus dem Systemzusammenhang zu erklären und zu werten“ (Grebe 1973: 5 [Vorwort]), dürfte kaum überraschen, aufschlussreich ist aber, wie dieses anfänglich sprachpflegerisch-wertende Selbstverständnis sukzessive zugunsten einer deskriptiven Haltung aufgegeben wird. Im Vorwort zur 4. Auflage beispielsweise heißt es:

      „Dem Umstand, daß das sprachliche System nicht homogen und stabil ist, versucht die Duden-Grammatik durch eine differenzierte, der unterschiedlichen Strukturiertheit entsprechende Darstellung und eine offene Norm gerecht zu werden. […] Das Bekenntnis zu einer grundsätzlich deskriptiven Orientierung bedeutet auf der anderen Seite keinen Verzicht auf normative Geltung […]. Die Duden-Grammatik führt auch die präskriptive Tradition fort, sie bleibt nicht bei der Deskription stehen, sondern klärt […] auch Normunsicherheiten und wirkt den Zentrifugalkräften in der Sprache entgegen.“ (Drosdowski 1984: 8f. [Vorwort])

      Fast identisch findet sich diese Positionierung auch im Vorwort zur 5. Auflage, allerdings an der aus heutiger Sicht nicht mehr

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