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dem einen Gesetz und dem einen Glauben widersprach, sehnte sich der älteste Meister des Triumvirats nach einem weltweiten Putsch, basierend auf den Werten des Dritten Reiches. Die Ansichten Hitlers waren nie sehr weit von seinen eigenen Gedanken oder Vorstellungen abgewichen, sodass er die Welt des Führers als seine eigene ansah.

      Es würde eine viel bessere Welt sein, dachte er.

      Als der Krieg irgendwann verloren und die meisten Kinder verwaist waren, hatte Wilhelm seine Truppe trotzdem zusammengehalten, weil er insgeheim immer noch gehofft hatte, dass das Reich noch nicht ganz verloren war. In den meisten Menschen war dieser Glaube allerdings zu dieser Zeit schon erloschen. Wenn die Jungs in seinen Reihen den Wunsch geäußert hatten, zu gehen, waren sie entweder erschossen oder auf der Stelle erhängt worden, und dabei war es immer Wilhelm persönlich gewesen, der den Abzug betätigt oder seine Hand an der Schlinge gehabt hatte.

      Doch eines Tages hatte es einen Jungen gegeben, der sich ihm entgegengestellt hatte, ein Dreizehnjähriger, dem offenbar jegliche Grausamkeiten fremd waren und der nie seine Hand gegen einen anderen hätte erheben können. Aber er war ein guter Redner und ein begnadeter Soldat gewesen, dem die anderen vertrauten und folgten, weil er eine vollkommen andere Art von Glauben vertrat als Gunter Wilhelm. Statt Gesetz und Religion ließ er einen Glauben in den anderen Kindern aufflammen, der lange unter den Maximen des Dritten Reiches vergraben gewesen war. Jetzt, wo alle danach trachteten, durch Euthanasie ein perfektes Regime zu bilden, gab er ihnen Hoffnung, in Zeiten, als alles hoffnungslos schien. Er wies ihnen einen Weg ins Licht, heraus aus der obszönen Schwärze des Hitlerreiches.

      Das hatte Wilhelm natürlich zutiefst beunruhigt, denn dieses dreizehnjährige Kind untergrub damit seine gesamte Autorität, und er wusste ganz genau, dass sich alle stets jenen Anführern zuwenden würden, von denen sie sich die besten Antworten oder Lösungen erhofften.

      Wilhelm verlor daraufhin mehr und mehr an Macht und seine Worte wurden immer unwirksamer. Er hatte sein Team an einen Jungen verloren, der nie wirklich an das Reich geglaubt hatte.

      Nur wenige waren ihm letzten Endes geblieben, um an dem Traum des Führers festzuhalten. Die meisten hatten sich von ihm abgewandt und angefangen in Wilhelm den wiedergeborenen Teufel zu sehen.

      Als der Krieg schließlich endete und die Kriegsverbrecher aus Deutschland flohen, um in anderen Ländern unterzutauchen, hatte Wilhelm seinen loyalen Gefolgsleuten versprochen, dass er das Dritte Reich wiederaufbauen und zu neuem Leben erwecken würde. Doch all seine Getreuen waren im Laufe der Jahre von Krankheiten gezeichnet oder vom Tod dahingerafft worden, bis schließlich nur noch drei von ihnen übrig geblieben waren … das jetzige Triumvirat.

      Tief im Gewirr der Tunnel gab es einen Bereich, der den Meistern als Wohnquartier diente. Die Räume waren großzügig und mit einigem Luxus ausgestattet … ein großes Bett, eine alte Stereoanlage, auf der sich klassische Musik von Bach und Beethoven abspielen ließ, eine Kommode mit feinen Spirituosen und Gläsern, einer umfangreichen Bibliothek und anderen Dingen, mit denen sich die Freizeit ausfüllen ließ. Auf dem Sims eines unechten Kamins, dessen kunstvolle Verzierungen den Kampf der himmlischen Heerscharen gegen die gefallenen Engel darstellten, standen mehrere Fotos, von denen einige allerdings aufgrund ihres Alters bereits vergilbt waren. Wilhelm blieb jetzt vor dem Kaminsims stehen und fuhr mit seinem Finger, der so lang und dünn wie eine Kralle war, über die Bilderrahmen. Auf einem speziellen Bild ließ er seinen Finger ruhen und griff anschließend nach dem Rahmen. Es handelte sich dabei um eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie, deren Ränder sich trotz des schützenden Rahmens langsam aufzulösen begannen. In der unteren linken Ecke befand sich außerdem ein weißer Fleck, wo der Film einst Blasen geworfen und sich gelöst hatte. Dem Foto tat es jedoch keinen Abbruch, da sich der Fleck an einer unwichtigen Stelle befand.

      Danach fuhr er mit dem Finger über das Bild, das die schmutzverschmierten Gesichter seiner Hitlerjugend-Einheit zeigte. Die Gesichter trugen kein Lächeln zur Schau, nicht einmal eine Spur davon, in das sich eines hineininterpretieren lassen würde. Jeder der Jungen stand stoisch vor den Ruinen Deutschlands. Doch der Blick von einem Jungen schien zu leuchten und im Glanze einer Vision zu erstrahlen, die nicht die Vision Hitlers gewesen war. In diesem Blick lag eine Hoffnung, und er offenbarte eine Seele, etwas, das viele in dieser Gruppe seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatten.

      Er fuhr mit der Fingerspitze über das Bild und tippte schließlich mit seinem Fingernagel auf die entsprechende Person.

       … Tipp … Tipp … Tipp …

      Dann hielt er inne und seufzte.

      »Franz Kleimer-Schmidt«, sagte er leise. Und dann noch einmal: »Franz … Kleimer-Schmidt.«

      Anschließend legte er den Rahmen mit dem Bild nach unten auf den Kaminsims, lief zu seinem Grammofon und gab sich den beruhigenden Klängen Beethovens hin.

      Kapitel 6

      Als der Attentäter das Wort ergriff, tat er es auf eine seltsam flache und monotone Weise. Als er Kimball ansah, konnte dieser erkennen, dass die Pupillen des Mannes nur Stecknadelkopf groß waren. Damit sollte verhindert werden, dass durch sie irgendetwas in seine Gedankenwelt eindringen konnte.

      Kimball trat jetzt einen Schritt nach vorn und neigte den Kopf zur Seite, so als versuche er, die Wirklichkeit dieser Situation zu begreifen.

      »Pinchas«, war alles, was er sagen konnte.

      Doch der Attentäter blieb schweigend sitzen.

      »Wieso?«, fragte Kimball fassungslos.

      Pinchas beugte sich nach vorn. »Seine Tötung wurde mir von den Meistern befohlen«, antwortete er gleichgültig. Dann kehrte er sofort wieder in seine meditative Haltung zurück.

      »Von wem?«

      Pinchas schwieg erneut.

      »Du bist vor drei Jahren an Bord der Shepherd One gewesen«, sagte Kimball verwirrt. »Das Flugzeug stürzte ab, und seitdem galten alle Personen an Bord als vermisst.«

      Pinchas wirkte, als hätte er ihn gar nicht gehört, er schien komplett abwesend zu sein.

      »Pinchas!«

      Der Attentäter verharrte weiterhin regungslos in seiner sitzenden Haltung.

      Als Kimball drohend einen Schritt auf ihn zu trat, reagierte Pinchas darauf, indem er seine Fäuste ballte. Kimball hielt sofort inne. Pinchas war ein erprobter Kämpfer, ein Vatikanritter mit außerordentlichen Fähigkeiten, an die nur wenige heranreichten. Die Tatsache, dass eine handfeste Auseinandersetzung in den Räumen der Vatikanpolizei nicht erlaubt war, trug nur noch mehr dazu bei, dass sich Kimballs Zorn weiter aufbaute.

      »Rede mit mir, Pinchas! Wieso sollte jemand Bonasero umbringen wollen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!« Und wo zur Hölle hast in den letzten drei Jahren gesteckt?

      So viele Fragen, auf die es keine Antwort zu geben schien.

      »Pinchas!«

      Der Attentäter schloss nun die Augen und flüsterte: »Die ehrwürdigen Meister.«

      »Wer sind diese Meister, von denen du die ganze Zeit erzählst?« Die Frustration in Kimballs Stimme war jetzt so offenkundig, dass er schließlich von Pater Auciello hinausgeschickt werden musste.

      Nachdem sich die Tür hinter ihnen beiden geschlossen hatte, sah Pater Auciello an Kimballs Gesichtszügen, wie der Zorn mehr und mehr die Kontrolle über ihn übernahm.

      »Das ist nicht Pinchas«, erklärte der Priester ruhig.

      »Natürlich ist das Pinchas.«

      »Nein, Kimball. Der Pinchas, den wir kannten, ist verschwunden. Dieser Mann dort drin«, sagte er und deutete auf die Zelle, »ist nur ein Faksimile des Mannes, den wir einst kannten.«

      »Was zur Hölle soll das denn nun schon wieder bedeuten?«

      »Während der drei Jahre, seit das Flugzeug abgestürzt ist, muss ihm irgendetwas widerfahren sein. Wir waren der festen Überzeugung, dass alle bei dem

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