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Monsignore saß weiter gedankenversunken da, während der Zigarettenstummel in seiner Hand gefährlich nah an seine Haut abgebrannt war. Schließlich drückte er ihn im Aschenbecher aus, lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und lauschte.

      Im Hintergrund fuhren die Zeiger der Uhr fort, in gleichmäßigem Takt zu ticken.

      Er betete inbrünstig.

      Doch die Uhr tickte unbeeindruckt weiter.

      ***

      Als Kimball Hayden sein Quartier erreichte, ließ er sich auf der Bettkante nieder. Auf der rechten Seite seines Zimmers stand ein Betstuhl mit ein paar brennenden Kerzen, einer Bank, auf der er noch nie gekniet hatte, und ein hüfthohes Podest mit einer Bibel darauf, die er niemals geöffnet hatte. Auf der linken Seite der Kammer befanden sich sein Bett und ein Nachttisch mit einem Stapel Militärhandbücher darauf. Das Einzige, was einen etwas bewohnteren Eindruck vermittelte. Hoch oben in der Mitte der Zimmerwand gab es ein einzelnes Buntglasfenster mit der Darstellung der Jungfrau Maria, die ihm einladend die Arme entgegenstreckte. Zu gewissen Tageszeiten, wenn die Sonne von Osten nach Westen zog, ließen die Sonnenstrahlen ihre Arme in einem beinahe himmlischen Licht erstrahlen, bereit, ihn mit ihrer Wärme zu umfangen, aber Kimball mied ihren Glanz und das Licht stets, weil er sich nicht als würdig empfand, es zu empfangen.

      Zumindest noch nicht.

       Ich muss mir dieses Recht nämlich erst verdienen.

      In der Schublade des Nachttisches befand sich ein kleines Fotoalbum – eine altmodische Art, Erinnerungen aufzuheben, aber er besaß keinen Computer, um Fotos digital archivieren zu können. Er begann nun, langsam durch die Seiten zu blättern. Es gab Fotos von seinen früheren Einheiten und von alten Freunden, von denen mittlerweile einige tot waren und andere dieses spezielle Leben hinter sich gelassen hatten und nun Familien besaßen. Außerdem enthielt das Album Fotos seiner neuen Einheit … seiner neuen Familie … den Rittern des Vatikan. Er blätterte weiter und sah die bekannten Gesichter von Jungen, die er nach und nach zu Rittern geformt hatte, zu Kriegern, die ihr Leben dem Schutz und dem Wohlergehen der Kirche und ihrer Anhänger verschrieben hatten. In der Mitte des Albums befand sich die Stelle, nach der er eigentlich gesucht hatte. Er ließ das geöffnete Buch auf seinen Oberschenkeln ruhen. Die beiden Seiten, auf die er nun hinuntersah, waren Ezekiel gewidmet, beginnend mit seiner Rekrutierung als kleiner Junge, Schnappschüssen seines Trainings, bis hin zu dem Tag, als er zum Vatikanritter ernannt worden war. Kimball wurde plötzlich bewusst, dass der Junge nur auf einem einzigen Bild lächelte, und selbst dieses Lächeln schien unecht zu sein.

       Habe ich deine Seele denn so sehr gequält?

      Mit den Fingerspitzen strich Kimball über Ezekiels Bilder.

      Als Ezekiel fünf Jahre alt gewesen war, hatte Kimball dessen Großvater umgebracht. In dem Versuch, sein Gewissen reinzuwaschen, hatte Kimball den Jungen anschließend mit der Unterstützung von Bonasero Vessucci, dem heutigen Papst, aufgenommen, um ihn zu einem Vatikanritter zu formen, obwohl Vessucci immer dagegen gewesen war, weil er in dem Kind eine dunkle Seite vermutet hatte. Trotzdem hatte er sich Kimballs Wunsch gefügt, weil er gehofft hatte, dass es auf diese Weise vielleicht beiden gelingen würde, ihre Wunden zu heilen.

      Ezekiel wuchs jedoch mit einem Zorn heran, den er gut zu verbergen wusste und der erst dann an die Oberfläche trat, als er sich für reif genug hielt, selbst zu morden. Er wandte sich daraufhin mit Kampfkünsten gegen Kimball, der zwar sein Mentor, zugleich aber auch der Mann war, der seinen Großvater getötet hatte, und vernichtet ihn beinahe.

      Aber es war Kimball gewesen, der am Ende siegreich war, doch letzten Endes hatte er sich gezwungen gesehen, das Kind zu töten, das er selbst zu einem Ritter des Vatikan gemacht hatte.

      Kimball schloss die Augen und gab sich dem Gefühl hin, dass Trauer ähnelte, wenn auch nicht von so großer Intensität. Als er die Augen wieder öffnete, klappte er das Fotoalbum zu und legte es vorsichtig wieder in die Schublade zurück. Anschließend ließ er sich auf sein Bett sinken, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte das Bild der Jungfrau Maria an, die bereitwillig die Arme nach ihm ausstreckte. Das Licht brach in goldenen Strahlen durch das Buntglasfenster und kleine Staubpartikel trieben wie Feenstaub umher.

      Kimball streckte die Fingerspitzen nach den Lichtstrahlen aus, hielt aber wenige Zentimeter vor dem leuchtenden Schein inne. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens zog er sie wieder zurück und starrte an die Decke.

      Noch nicht, sagte er sich. Noch verdiene ich deine Gnade nicht.

      Irgendwann schloss er die Augen und sank in einen dringend benötigten Schlaf.

      Kapitel 3

       Rom

      Die beiden Männer, die in einem kleinen Lokal etwa zwei Kilometer westlich der Vatikanstadt saßen, schienen vollkommen emotionslos zu sein. Ihre Bewegungen wirkten seltsam automatisiert und einstudiert, beinahe steif, wie die alter Männer. Sie waren allerdings erst Ende zwanzig und von kräftiger Statur, mit schlanken, muskulösen Körpern.

      In ihren Köpfen hörten sie tiefe Stimmen, die sie führten und anleiteten. Das Flüstern und Raunen in den leisen deutschen Worten motivierte sie eher, als dass es sie behinderte.

      Die Männer saßen zwar getrennt voneinander da, waren sich der Anwesenheit des jeweils anderen jedoch bewusst. In etwa fünfzehn Minuten würden sie sich in die Vatikanstadt begeben, um dort der jeden Mittwochvormittag stattfindenden Papstaudienz beizuwohnen, und wenn der richtige Moment gekommen war, würden sie ein Attentat auf den Papst verüben.

      Der Mann, der näher an der Tür saß, griff jetzt in seine Manteltasche und zog eine Pistole aus einem speziellen Hartplastikgemisch hervor, die für Metalldetektoren unsichtbar war. Sie war in der Lage, zwei Kugeln zu fassen, deren Patronenhülsen und Zünder zu geringe Mengen Metall enthielten, um die Sensoren anschlagen zu lassen. Zwei Kugeln verringerten aber natürlich ihre Erfolgsaussichten, denn somit besaß er nur zwei Chancen, einen tödlichen Schuss abzugeben.

      Er überprüfte die Waffe unauffällig, indem er den Schlitten zurückzog und die eine Kugel in die Kammer lud. Wenn die erste Kugel abgefeuert worden war, würde sich die zweite selbst nachladen.

      Nachdem er die Waffe wieder in seiner Jacke verstaut hatte, blickte er hoch und sah, dass der zweite Mann seine Waffe ebenfalls unter dem Tisch durchlud. Mit einem leichten Kopfnicken, das bestätigte, dass alles nach Plan verlief, stand der Mann an der Tür auf, warf ein paar Euroscheine auf den Tisch und verließ das Lokal.

      Weniger als eine Minute später folgte ihm sein Komplize.

      ***

      Bonasero Vessucci, besser bekannt unter dem Namen Papst Pius XIV, zog gerade eine traditionelle weiße Mozetta an und legte einen Schulterkragen mit der dazu passenden Kappe an, der Zucchetto, wobei ihm mehrere Bischöfe halfen.

      Bonasero bereitete sich damit für die päpstliche Audienz vor, bei der er immer vor die Menschen trat, die sich auf dem Petersplatz versammelt hatten. Durch die geöffneten Türen, die auf den päpstlichen Balkon hinausführten, konnte er bereits das Stimmengewirr der wartenden Massen hören.

      »Ein wirklich wunderschöner Tag«, sagte einer der Bischöfe, der gerade eine Falte der Mozetta glattstrich. »Nicht eine einzige Wolke ist am Himmel zu sehen. Aber es ist sehr schwül.«

      Bonasero lächelte. Er genoss die Audienzen und das Bedürfnis der Menschen, Gott ein wenig näher zu sein, indem sie den höchsten christlichen Thron besuchten, sehr. Er liebte es, diesem Wunsch zu entsprechen, denn auf diese Weise konnte er jedem der Anwesenden einen unvergesslichen Moment bescheren. »In meinem Alter ist jeder Tag ein wunderschöner Tag, Alberico«, scherzte der Pontifex.

      Der Bischof quittierte diesen Scherz mit einem sanften Lächeln. Nachdem er einen Schritt zurückgetreten war, um die päpstliche Tracht noch einmal in der Gesamtheit zu begutachten, nickte er zufrieden. »Sie sind bereit, Eure Heiligkeit. Der Sicherheitsdienst wird Sie jetzt zu Ihrem Mobil bringen.«

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