ТОП просматриваемых книг сайта:
Belladonna. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Belladonna
Год выпуска 0
isbn 9788711506967
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ich habe mich entsetzlich geärgert heute mittag,“ sagte Olga plötzlich, „diese Zollbeamten sind wahrhaft erschreckend. Als einzelne Dame ist man da ganz wehrlos ... Nein, nein, entschuldigen Sie sich nicht! Sie konnten mir als Fremder doch nicht helfen. Aber hätten Sie gesehen, wie die Menschen mit meinen Sachen umgingen! Meine Kleider sind zerdrückt, meine Spitzenwäsche zerrissen ... es ist ein Greuel! Übrigens, —“ sie sah mich von der Seite blinzelnd an, „Sie kamen ja sehr schnell davon?“
„Ja, ich beeilte mich,“ erwiderte ich kurz.
„Und hinterliessen mir nicht einmal Ihre Adresse! Wie unvorsichtig!“
„Nun, wir fanden uns ja rasch wieder zusammen, Olga Féodorowna.“
„Gewiss,“ sagte Olga harmlos, „einen Fremden hier zu ermitteln ist eine Kleinigkeit.“
„Mit Hilfe der Polizei,“ erwiderte ich, sie fest anblickend.
„Warum der Polizei? ... Mit ihr hat man nicht gern zu tun. Jeder der jüdischen Kommissionäre, die sich hier überall herumtreiben, bringt Ihnen für einen Rubel in einer Stunde die Namen aller Reisenden, die in den grösseren hiesigen Hotels abgestiegen sind.“
„Und wenn diese Reisenden sich falche Namen beilegten?“
„Das können sie nicht. Sie müssen ja ihren Pass auf die Polizei senden.“
Sie hatte recht. Ich schwieg einen Augenblick und sagte dann langsam: „Ich bin besorgt um Ihren Mann, Olga Féodorowna. In Jaffa soll die Cholera herrschen. Der Dampfer läuft schon seit vierzehn Tagen den Platz nicht mehr an.“
„Ganz recht,“ sagte Olga, ohne mit der Wimper zu zucken, „Ossip Timoféitsch sprach schon davon. Er wird bis Port Said fahren müssen und dann den Landweg einschlagen. Nun, um so gottgefälliger ist sein Werk.“
„Olga Féodorowna,“ — ich sah sie ernst an — „lebt Ossip Timoféitsch wirklich?“
„Hoffentlich lebt er!“ Olga führte unbefangen das dampfende Teeglas zum Munde. „Denken Sie, welch Unglück für mich, wenn mir der Mann im fernen Land stürbe!“
„Ich meine ... ist Ihr Mann wirklich in ...“
„Lassen wir Ossip Timoféitsch! Er ist nicht sehr interessant ... ich versichere es Ihnen!“
„Und doch begleiten Sie ihn so häufig auf seinen Reisen? Man sagte mir, dass Sie auf den Dampfern ...“
„Ach ... endlich ...!“ rief hier Olga plötzlich, stand auf und winkte mit erhobenem Sonnenschirm. „Da kommen meine Freunde, mein Onkel und ein guter Bekannter von uns!“
Zwei Herren von unverkennbar russischem Typus tauchten aus dem Menschengewühle vor unserem Tischchen auf, lüfteten ihre Mützen und streckten mir ohne weiteres, nach der Sitte des Landes, die unbehandschuhte Rechte entgegen. Sie nahmen neben uns Platz. Es war ein jüngerer Mann, gross und schlank, mit wehendem Vollbart und den edeln Zügen eines Apostels, und ein Greis, ein kleines, etwas unsauberes Männchen, mit spärlichem Haare, meckernder Stimme und sanftem Lächeln um den zahnlosen Mund.
„Gut, dass wir uns fanden,“ sagte Olga zu mir, während die beiden Tee bestellten, „wir hatten uns hier verabredet. Es wird nur mit der Unterhaltung schwer gehen. Sie verstehen wohl beide, was man auf deutsch sagt, aber sie können nicht deutsch sprechen.“
Nun, — das findet man bei vielen Russen. Ihre vielgerühmte Sprachkenntnis beschränkt sich ja in Wirklichkeit nur auf die Fürsten- und Gelehrtenkreise.
„Entschuldigen Sie einen Augenblick,“ sagte Olga und begann mit ihren Freunden ein lebhaftes russisches Gespräch. Ich verstand kein Wort davon und hatte Zeit, mir die Sache zu überlegen.
Sollten das Nihilisten sein? Möglich wäre es schon! Der Jüngere hatte tatsächlich etwas Romantisches, eine weiche, müde Stimme, schön gepflegten Bart und lange, auffallend saubere Hände. Die Melancholie seines Gesichtsausdruckes stand in merkwürdigem Gegensatz zu der riesenhaften Kraft, die sich im Spiele seiner Muskeln zeigte, als er einen der Tische nebenan mit freiem Arm zu sich heranhob, um sein Teeglas daraufzustellen. — Ganz anders war der Alte; der hatte etwas Lauerndes in seinem Wesen, etwas heimtückisch Wohlwollendes, hinter dem sich Gott weiss was verbarg.
Aber bald beschäftigte mich eine andere Entdeckung noch weit mehr. Olga Féodorowna war, — das musste ich nach den ersten Minuten erkennen, — verliebt in den jüngeren Fremdling, den sie Arkad Wassiljéwitsch nannte; oder sie tat doch wenigstens so! Ihr Gesicht hatte sich gerötet, in den grauen Augen lag ein feuchter Glanz, und ein sanftes, fast unterwürfiges Lächeln spielte um den sonst so spöttisch zuckenden Mund. Ich war tief betroffen. Meine dumpfe Eifersucht liess mich alle Einzelheiten ihres Benehmens erkennen, und wie die beiden so plaudernd dasassen, vom Zigarettenrauch umschleiert, die Köpfe zueinander geneigt und in dem weichen, klangvollen Russisch fast gleichzeitig zu einander sprechend, schienen sie alles um sich her vergessen zu haben und nur noch an ihre Liebe zu denken.
Der Greis, der Porphyr Porphyrowitsch angeredet wurde, blickte mit einem gewissen rätselhaften Wohlwollen auf die Gruppe, während ich mir erregt meine Zigarette anzündete. Arkad bemerkte dies. Er beugte sich höflich vor, um mir Feuer zu reichen, und in diesem Augenblicke sah ich durch das Glimmen des Streichholzes deutlich, wie der Alte und Olga einen blitzschnellen Blick des Einverständnisses tauschten. Der Blick schien mich nur zu streifen. Es war, als haftete er auf dem ahnungslosen Arkad, der, von den beiden abgewandt, mir das Hölzchen hielt.
Diese Wahrnehmung bildete für mich nur das letzte Glied einer Gedankenkette, an der ich schon die ganze Zeit schmiedete. Irgend etwas bereitete sich hier vor; das war klar! War Olga, wie ich annahm, wirklich eine Agentin der Polizei und im Einverständnisse mit dem alten Fuchs, so musste der junge Russe offenbar ein Nihilist sein, den sie in’s Garn gelockt hatte! Und so sah er auch aus. Er hatte etwas von einem Karl Moor an sich ... ein eleganter, melancholischer Revolutionär. Dann hatte auch Olga einen Grund, mich einzuladen! Die Gegenwart eines Fremden, eines Ausländers, musste ja in Arkad jeden Verdacht verscheuchen, dass er sich seinen geborenen Feinden gegenüber befinde.
Ehrlich gesagt, ich war meiner Sache gar nicht sicher, und sie kam mir durchaus nicht geheuer vor. Aber es lag doch ein eigener Reiz darin, sich in fremdem Lande auf solch geheimnisvollen Pfaden zu bewegen. Und ich riskierte ja nichts. Gerade gegenüber lag mein Hotel, ich selbst trug einen Revolver bei mir, Menschen ringsum ... was sollte da vorfallen? So blieb ich denn sitzen, erwartungsvoll wie der Jäger auf dem Anstand.
„Entschuldigen Sie,“ wandte sich Olga zu mir, „es ist recht unhöflich von uns, Sie zehn Minuten lang mit unserem Russisch zu langweilen. Ich hatte soviel von Konstantinopel zu erzählen. Aber sagen Sie, bitte, sind Sie einverstanden, wenn wir jetzt dinieren? Es fängt schon an zu dunkeln.“
„Ich bedaure,“ erwiderte ich unschlüssig, „ich möchte mich nicht weit vom Hotel entfernen.“
„Das ist auch gar nicht nötig,“ meinte Olga und wies auf ein grosses, gerade vor uns liegendes Restaurant, „gehen wir dorthin, besser können Sie es nicht treffen.“ Und damit schob sie ihren Arm in meinen. Die beiden Russen gingen voraus.
Diese Vertraulichkeit befremdete mich wieder. ‚Am Ende‘, stieg es in mir auf, während wir langsam durch das Gewühl schritten, ‚sind das alles nur Hirngespinste, ist Olga nichts mehr oder weniger als eine der vielen fahrenden Schönheiten des Ostens?‘ In diesem Augenblick