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Belladonna. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Belladonna
Год выпуска 0
isbn 9788711506967
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wir sprachen denn auch nicht viel, sondern sahen nachdenklich in das verrückte Treiben vor uns. Die Kerle hatten sich nachgerade in einen förmlichen Rausch hineingebrüllt, ein Haufe verschleierter Türkenweiber watschelte und zeterte dazwischen; die einzigen Vernünftigen waren die Verwundeten, die, etwas abseits, still im Schatten einer Platane lagen. Ihr Anblick tröstete uns. Wir hatten zwar nichts zu essen und zu trinken, dafür aber ganze Knochen und die Aussicht, doch nicht ewig hier sitzen bleiben zu müssen.
Wir kamen sogar rascher weg, als ich dachte. Ein Dampfwölkchen zeigte sich in der Ferne, eine Lokomotive, die aus irgendeinem Grunde nach der nächsten Station gehen sollte, rollte heran und hielt plötzlich, wie verblüfft, hart an der Unglücksstätte. In solchen Fällen wirkt das Trinkgeld, der vielgeschmähte Bakschisch, Wunder. Für eine Medschidje nahm der Führer mich samt der Fremden auf, als er zurückfuhr. Wir befanden uns schon nach wenigen Minuten in der zuvor verlassenen Station Maltape und erreichten, da die Lokomotive beordert wurde, sofort vom Endpunkte der Bahn einen Hilfszug heranzuholen, bald darauf Haidar-Pascha, dicht bei dem Flecken Kadiköi, den wir in ein paar Minuten durchschritten. Von dort ist eine regelmässige Schiffsverbindung nach Konstantinopel. Wir setzten uns an der Landungsbrücke hin, wo wir auf das Dampfboot harrten.
Sie werden im Murray oder Baedeker diese Stelle jedenfalls mit einem Stern bezeichnet finden. Es ist auch in der Tat ein recht schöner Blick über den blauen Bosporus hinüber nach den Kuppeln und Minaretts von Konstantinopel. So aus der Ferne sieht die Stadt berückend aus. Kein Mensch ahnt den Schmutz, den dieser vergoldete Schweinestall in seinem Innern birgt.
Aber wir bewunderten die Aussicht nicht, wir dankten auch nicht, wie es unsere Pflicht gewesen wäre, dem Schicksal für unsere Rettung und sahen nicht, wie die Romanhelden, Hand in Hand in das leise aufdämmernde Abendrot; — nein, — wir wuschen uns! Das war dringend nötig. Über den Staub der Strasse hatte der Qualm der Lokomotive gewissenhaft eine dünne Kohlenschicht gestreut, und durch beides zogen sich, bei mir wenigstens, die Furchen, die der herabrieselnde Schweiss gerissen. Also wir wuschen uns, so gut oder so schlecht es ging, mit Hilfe unserer Taschentücher am Meeresstrande Gesicht und Hände. Nebenbei bemerkt ist das eine zweifelhafte Sache mit dem Seewasser. Nach vollzogener Säuberung trägt man statt des Schmutzes eine Salzkruste, — das ist der ganze Unterschied. Dann klopften und schüttelten wir die Kleider und sahen wieder so weit menschlich aus, als es im Orient nötig ist. Viel gehört ja nicht dazu. Wer sich gewaschen hat, repräsentiert durch diese Tatsache würdig genug die Kultur des Abendlandes.
Olga Féodorowna hatte ihre gelben Handschuhe abgestreift und in die Tasche gesteckt. Mit ausgestreckter Hand zeigte sie mir das Dampfschiff, das aus der Ferne heranplätscherte. Ich für meinen Teil sah nicht auf das Dampfschiff hin. Ich blickte auf die nicht allzu kleine Hand, die mir dieses wies, und sah an ihr, — ob mit Überraschung oder Genugtuung, kann ich wirklich nicht sagen, — einen dicken goldenen Reif. Sie war also verheiratet! Natürlich, dachte ich gleich darauf bei mir, junge Mädchen irren nicht so in der Welt herum. Es ist schon bei einer jungen Frau auffällig genug.
Olga Féodorowna schien das zu fühlen. Die Weiber erraten ja häufig ganz instinktiv unsere Gedanken. Sie schüttelte die Haare aus der Stirn und stiess einen leichten Seufzer aus. „Ich habe viel geweint in diesen Tagen,“ sagte sie ganz unvermittelt zu mir. Eine kurze Pause; dann fuhr sie fort: „Ich musste mich gestern von meinem Manne trennen. Er reiste nach Palästina weiter.“
„In Geschäften?“
„In Geschäften?“ wiederholte sie halb unwillig, halb befremdet. „Erbarmen Sie sich! ... In Geschäften nach Palästina? — Welcher Gedanke! ... Natürlich eine Wallfahrt!“
„Verzeihen Sie! Ich konnte es nicht wissen, ich war niemals in Russland.“
„Mein Mann ist Grosskaufmann,“ sagte Olga, ohne auf meine Entschuldigung zu hören, „erster Gilde; aber trotzdem gehört er zu den Strenggläubigen. Schon lange drückten ihn seine Sünden, und nun entschloss er sich endlich zu der Reise. Er erlaubte mir, ihn bis Konstantinopel zu begleiten, von wo ich mit dem nächsten Dampfer wieder zurück nach Odessa fahren sollte.“
„Und warum gingen Sie nicht mit ihm?“
„Ach, der Weg ist weit und so beschwerlich! Sie sehen ja, was es für ein Land ist, diese Türkei. Er wünschte es auch gar nicht.“
„Nun, Sie haben gewiss auch nichts zu büssen.“
„Wir sind alle Sünder,“ sprach Olga langsam, indem sie sinnend über das Meer blickte; „aber, was wollen Sie?“ — und damit wandte sie mir mit kindlich schalkhaftem Lächeln ihr Gesicht zu, — „er fastet ja für uns beide, mein Ossip Timaféitsch.“
Sie war in diesem Augenblick wirklich reizend. Der Seewind spielte leise in ihren kurzen Haaren und trieb ein flüchtiges Rot in ihr gelblich-blasses Gesicht; um die Mundwinkel zuckte es im Übermut, als krümmten sich da tausend kleine Schlangen, und dabei blickten die Augen gross und ernst, wie die eines Kindes, ruhig auf mich hin. Ich sah sie an und sagte so schlicht als möglich: „Ich hätte Sie an Stelle Ihres Mannes nicht allein gelassen.“
„Allein?“ rief sie halb spöttisch; „Sie sind ja bei mir. Und morgen fahre ich nach Odessa zurück, zu meinen Verwandten. Aber da ist das Dampfschiff, — kommen Sie!“
Auf dem Schiffe war es ziemlich voll. Es begann zu dämmern. So gingen wir hinunter in die Kabinen, wo ein böses Getümmel herrschte. Ein Trupp Gesellschafts-Reisender befand sich an Bord. Sie hatten Feze aufgesetzt statt eines praktischen Strohhuts, so dass Sonne, Wind und Staub den Gesichtern zusetzten; sie bestürmten den Impresario, die Männer suchten nach Bier, die Frauen medisierten über eine anscheinend bevorstehende Verlobung, — es hatten sich offenbar feindliche Parteien in der kleinen Reiseherde entwickelt, — vereinzelte Kinder quiekten, das Ganze war ein unangenehmes Ding. Olga hatte sich in eine Ecke gesetzt, schlürfte Tee und sah sich schweigend und spöttisch die Sache an. Sie redete überhaupt nicht viel. Eine merkwürdige Frau! Andere hätten an ihrer Stelle Bände von dem erlittenen Abenteuer erzählt. Aber diese Blasiertheit war bei ihr nicht gemacht. Sie musste unverkennbar schon viel erlebt haben, und doch war sie, wie sie sagte, fern von der Welt zu Hause, zu Sarátow, an den Ufern der Wolga, und wollte jetzt auch wieder über Odessa und Moskau dahin zurück.
Ich hielt es für angemessen, ihr auch einiges über meine Persönlichkeit zu sagen. Zu interessieren schien es sie nicht. Ein Kaufmann, der in Geschäften von Hamburg nach Konstantinopel und zurück fährt, das ist allerdings eine alltägliche Sache: „Sie sind das erstemal im Orient?“ fragte sie zerstreut, „... ich auch. Nehmen Sie sich nur in acht. Es wird einem hier alles gestohlen. Mir hat man meine Uhr genommen, mein Portemonnaie, — und was weiss ich sonst noch!“
„Daran sind die unpraktischen Damenkleider schuld,“ meinte ich; „ich möchte den Dieb kennen lernen, der mir mein Portefeuille abknöpft! — Sie sehen, ich habe es an einem Lederriemen um den Hals hängen. Man müsste mich schon gerade totschlagen, um ...“
Ein starkes Krachen belehrte uns in diesem Augenblicke, dass wir den Hafen von Konstantinopel erreicht und die Dunkelheit dazu benutzt hatten, längsschiffs an einen vor Anker liegenden mächtigen Indienfahrer anzurempeln. Wie ein gereizter Elephant schaukelte das uns turmhoch überragende Fahrzeug hin und her. Wütend brüllte es von dort herab, kräftige Flüche antworteten von uns unten, ein paar Balken unserer Bordwand splitterten ab und fielen in das plätschernde Wasser. Dann war der kleine Zwischenfall erledigt. Wir legten an und stiegen in Galata ans Land.
Die unterirdische Strassenbahn, die von hier nach Pera, dem Europäer-Viertel, hinaufführt, war nicht mehr in Betrieb. Wir mussten zu Fuss die steile Treppengasse überwinden. Es war ja selbstverständlich, dass auch Frau Olga in einem der dortigen Hotels wohnte, und zufälligerweise war es dasselbe, in dem auch ich abgestiegen.
Durch den Einbruch der Dunkelheit