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oft ganze Familien dieser mageren, gelben Tagediebe hausen. Sie kläffen und belfern ringsumher, aber sie wagen keinen Angriff. Auch die scheusslichen Bettlergestalten sind jetzt von den Strassen verschwunden, das Gebrüll der Verkäufer und Pferdetreiber ist verstummt, Konstantinopel liegt in tiefer Ruhe; das heisst, es ist jetzt nicht mehr Lärm, als nachmittags auf einem mittleren deutschen Jahrmarkt. Und darüber ragt in grauen Massen der uralte Genueser-Turm zum Nachthimmel empor, in der Ferne glitzert der pfeilschnell flutende Bosporus und leuchten die weissen Minaretts, — die Traumstimmung des Orients liegt über der Landschaft. Olga aber wandte sich zu mir und sagte einfach: „Ich habe einen furchtbaren Hunger.“

      Und nicht lange darauf sassen wir in Yannis Restaurant an der Grande Rue; vor uns schäumte das echte Münchener Bier, der griechische Kellner brachte die Speisekarte, und wir, — wir dachten gar nicht mehr daran, dass wir uns vor wenigen Stunden noch fremd gewesen waren. Wir lachten und plauderten, und ich glaube fast, dass uns mancher für ein Ehepaar auf der Hochzeitsreise hielt.

      Allmählich wurde Olga ganz ausgelassen. Sie bestellte Champagner, um unsere Errettung zu feiern, sie trällerte ein Kosakenlied vor sich hin und schüttelte sich vor Lachen über einen etwas angeheiterten englischen Kapitän, dem der Kellner beim Zahlen mit ernstem Gaunergesicht eine Sammlung aller wertlosen Münzen des Orients aufhalste. Eine Zigarette zwischen den schmalen Lippen, sah sie belustigt um sich. Ihr ganzes Gesicht sprühte vor Heiterkeit, nur in den Augen blieb der ernste, beinahe forschende Ausdruck. Und sie gefiel mir immer mehr. Sie war nicht eigentlich schön oder wenigstens nur in einzelnen Augenblicken schön, aber es war etwas so Unbestimmtes an ihr, etwas Fesselndes und Geheimnisvolles, das den meisten Frauen abgeht. Wie sie so dasass, rauchend und lachend, konnte man sie für eine Zigeunerin halten, und doch verriet wieder jede Bewegung, jedes Wort die Dame der guten Gesellschaft. Freilich würde eine solche sich in Europa nicht mit einem fremden Herrn zeigen, aber schliesslich ... eine Russin ... und ausserdem ... die Seltsamkeit der Umstände entschuldigte viel.

      Olga schwieg wieder einmal, was, wie gesagt, ihre merkwürdigste Eigenschaft war. Nachdenklich lächelnd blies sie den Zigarettenrauch von sich und sah den bläulichen Wolken nach.

      „Wo mag Ihr Mann jetzt sein?“ erkundigte ich mich plötzlich.

      „Wer?“ ... Olga Féodorowna fragte das ganz zerstreut und setzte dann schnell hinzu: „Ach so ... mein Mann! ... Der Himmel allein weiss es, wo er ist! Irgendwo auf dem Wege nach Palästina ... Nun ... Gott mit ihm!“

      Und wieder huschten zuckend die Schlänglein um ihre Mundwinkel.

      „Olga Féodorowna,“ bemerkte ich ernst, ihr Champagner eingiessend, „niemand zwingt Sie, mir die Wahrheit zu sagen.“

      „Und doch tue ich es,“ meinte sie gelassen. „Gott sieht die Lüge. Oder glauben Sie etwa wirklich, dass ich lüge?“ — Eine Beleidigung schien sie darin nicht zu finden. — „Nun, so kommen Sie doch mit nach Odessa! Dort werden Sie meine Verwandten treffen. Man wird Ihnen alles bestätigen, wird Ihnen Odessa zeigen.“ — Und schon wieder halb träumerisch: „Es ist eine schöne Stadt.“

      Kommen Sie mit nach Odessa! — Wie sich solch ein Gedanke doch blitzschnell in den Kopf bohrt. Ohne dass ich es wollte, begann ich ihn zu erwägen. Zu tun hatte ich in Konstantinopel nichts mehr; ich konnte jeden Augenblick abreisen, und da ich mit der Zeit nicht zu geizen brauchte, kam es auf den Umweg nicht an.

      „Man fährt in sechsunddreissig Stunden von hier nach Russland,“ liess sich die Stimme der Versucherin wieder vernehmen. „Morgen mittag geht die ‚Rossija‘ aus dem Hafen ab. Bis dahin können Sie bequem Ihren Pass auf dem russischen Konsulate visieren lassen. Um zwölf muss man an Bord sein, um eins wird der Anker gelichtet, um drei sind wir im Schwarzen Meer und um vier“ — ein leichter Seufzer — „seekrank.“

      „Und warum reden Sie mir zu, Olga Féodorowna?“

      „Oh,“ sagte sie halb verächtlich, „es ist ja geradezu eine Schande, so nahe an unserem heiligen Russland zu sein und es nicht kennenzulernen! Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet für heute; darum lade ich Sie ein, in meine Heimat zu kommen. Sie werden es nicht bereuen. — Aber wie Sie wollen! — Nein, sagen Sie jetzt gar nichts mehr. Ich will nichts mehr hören! Es wird sich ja zeigen, wer morgen an Bord der ‚Rossija‘ ist!“

      Und mit diesen beinahe triumphierend gesprochenen Worten steckte sie sich eine neue Zigarette an und sah gleichmütig ins Leere. Es war schon spät. Nur wenige Gäste sassen noch an den kleinen Tischen. Mit einer raschen Bewegung stand Olga auf. „Lassen Sie uns ins Hotel gehen!“

      Ich zahlte. Sie sah zu und bemerkte lächelnd: „Ich gebe Ihnen auf dem Schiffe meinen Anteil wieder.“ Dann schritt sie an meinem Arme zu dem nahen Hotel. Auf der Treppe drückte sie mir kräftig die Hand. „Auf Wiedersehen!“ Und damit war sie verschwunden.

      Ich schätze, dass ich diese Nacht wenig geschlafen habe. Um Sonnenaufgang war ich schon wieder wach und trat ans Fenster. Der Morgennebel umhüllte noch die Stadt, das Meer, die Minaretts. „Lá illahê illehâ!“ ertönte es von einem der Türmchen, und vom nächsten scholl dröhnend die Antwort: „Mahomed rasûl Allâhi!“ Allah ist Allah, Herr Mohammed ist sein Prophet! Und aus der Ferne verklang es: „Eine Stunde bis zum Tode!“ ... „Beten ist besser als Schlaf!“ und wiederum: „Allah ist Allah!“

      Bei Allah ... mein Entschluss stand fest! — So fest und unerschütterlich, wie es nach meiner Erfahrung eben nur der schrankenlose Eifer bewirkt, mit dem wir unsere hervorragend törichten Streiche ausführen. Und es kam auch nicht das geringste Hindernis, auf das ich halb noch heimlich hoffte. Die Rechnung wurde bezahlt, der Pass mit Hilfe eines Backschisch unerhört schnell visiert, ein Billett erstanden, und um zwölf Uhr stieg ich, aus einem regellosen Gewirre von Lastkähnen und brüllenden Bootsleuten auftauchend, das Fallreep empor an Bord der ‚Rossija‘.

      Olga Féodorowna, die ich den Morgen über nicht gesehen hatte, promenierte bereits auf dem Hinterdeck. Ohne einen Schimmer von Erstaunen hielt sie mir gelassen die Hand hin. „Guten Morgen! Wie haben Sie geschlafen?“ ... Das war alles.

      Ich erwiderte auch nicht viel. Ihre Zuversicht verdross mich wirklich ein wenig. Schweigend standen wir nebeneinander und sahen in das bunte Treiben unter uns. Um unser Schiff, einen grossen schlanken Dampfer, schwammen Hunderte von Nussschalen, Frachtboote, Kähne mit Hotelgästen und deren Gepäck, die Schaluppen der Steuerbehörden, niedere Kaïks mit Dragomans und Händlern, früchtebeladene Jollen ... ein tolles Gewirr. Und dazwischen rasselt und dröhnt der Dampfkran, schreien die Matrosen, läuft alles auf Deck wild durcheinander, bis endlich das Signal ertönt, der Anker rasselnd und schlammtriefend aus der Tiefe emporsteigt und mit erschütterndem Ächzen die Schraubenflügel ihre Umdrehung beginnen.

      Und dann glitten wir den Bosporus hinunter, vorbei an den zahllosen im Sonnenglanze schimmernden Palästen und Dörfern, an den kahlen, leuchtenden Hügelketten, dem lieblichen Flecken Bujukderé, weiter und immer weiter dem Schwarzen Meere zu. Schwere Windstösse verkündeten seine Nähe. Weisse Schaumspritzer tanzten auf den blauschwarzen Wogen, — ‚die Hasen kommen heraus‘, sagt nach Olgas Versicherung der Russe —, die Rahen knarrten, und im Kielwasser schnalzten in tollen Sprüngen die Delphine. Bald begann das Schiff leicht zu schwanken. Erst wankte es zögernd hin und her, als ob es nicht recht wisse, auf welche Seite es sich legen solle; dann versuchte es einmal, die Spitze unter die anrollenden Wellenkämme zu schieben, steckte gleich darauf plötzlich wieder den Bug so tief als möglich in die Flut und entschied sich schliesslich endgültig zu einer wunderlichen Bewegung, die, halb aus Rollen und halb aus Stampfen bestehend, die Kajütenlampen in der Linie einer schrägen Ellipse pendeln liess.

      Ich hatte bemerkt, dass Olga Féodorowna immer bleicher wurde. Ihr Gesicht nahm einen müden leidenden Ausdruck an, sie seufzte wiederholt schwer auf. Plötzlich reichte sie mir die Hand: „Adieu ... ich lege mich hin ... ich werde seekrank.“ Und damit ging sie in ihre Kabine und wurde seekrank; ich aber, dem das Meer noch nichts anhaben konnte, blieb recht missmutig zurück. Der Himmel hatte sich umzogen, der Wind pfiff, das Schiff rollte, und aus der Ferne zog blitzschnell eine graue, prasselnde Wand herauf. Eine Regenbö ging über uns nieder, so dass ich machte, dass ich hinunter in den Salon kam.

      Was

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